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Friedrich Schleiermacher to Friedrich von Schlegel

Berlin d.7t. Febr 1801.
Froh bin ich gewesen über alle Maaßen endlich einmal etwas von Euch zu hören; es hatte mir ungebührlich lang gedeuchtet und mir war wirklich bange daß Euch irgend Fatalitäten vorgefallen wären. Von den meinigen kann ich Dir weiter nichts sagen, es sind eigentlich Kleinigkeiten, die einen aber doch harceliren: jezt ist es so ziemlich vorbei damit. Eins war wol keine Kleinigkeit daß mir nemlich durch eine Intrigue eine Stelle entgangen ist, auf die ich ziemlich gewiß gerechnet hatte; indeß ist auch im Grunde nicht viel dran verloren. Daß ich es sogar nicht möglich zu machen weiß Euch zu besuchen ist ärger als Alles, aber was ist zu machen?
Die Annahme Deiner Hypothesen betreffend so glaubst Du auf der einen Seite zu viel, auf der andern zu wenig von mir; nemlich in Rüksicht des Einzeln[en] zu viel und in Rüksicht des Ganzen zu wenig. Ich habe es mit den νομοις [Nomois] gar nicht so gemeint als hielte ich sie schon für unächt, auch besagt die Stelle die ich Dir angeführt habe das nicht, sondern nur daß er sie aus dem Wachs ins Reine gebracht habe, und fragte sich also, wie weit sie auf dem Wachs gewesen wären und was er im Reinen dazu gemacht habe. D[ie]se Stelle widerlegt gewißermaßen sogar D[eine]n Einwurf wenn Platon die Νομους [Nomous] geschrieben haben sollte. Auch möchte ich Dich fragen ob nicht die größten Indikationen da sind daß Platon noch zulezt die Politik für sich bestehend behandeln mußte? und ob die Νομοι [Nomoi], wenn Du bloß die Grundstriche in Betrachtung ziehst seiner unwürdig wären? – Eben so könnte ich noch an der Priorität des Phädrus zweifeln ohne daß dadurch Dein ganzes System für mich einstürzte. Denn ich bin mit Deinen Grundsäzen ganz einstimmig. Indeß ist dies mit dem Phädrus nicht der Fall, es wird mir im[m]er einleuchtender daß er gewiß einer der ersten ist und folgl[ich] daß er bei Sokrates Leben geschrieben ist. Du hast noch eine Dir sehr zu Statten kommende Zeitbestimung vergeßen neml[ich] das Alter des Isokrates der mit Platon wo ich nicht irre nur 3 Jahr auseinander ist. Die Prophezeihung auf ihn wäre moutarde après Diner und noch etwas ärgeres wenn der Dialog später geschrieben und die Scene nur in frühere Zeit verlegt wäre. Nur ein Bedenken habe ich noch nemlich die, ich weiß nicht bei wem, aber bei einem notablen Schriftsteller vorkomende Behauptung daß Phädrus nicht Sokrates coaevus gewesen sein könne. Solche Anachronismen macht man wenigstens nicht wenn die Leute noch leben. Indeß möchte ich darauf nicht appuyiren und Du siehst also was den Phädrus betrift daß mein Gewißen auf keine Weise verlezt wird. Mit dem νεανιευεσθαι das muß ein Mißverstand sein. D[ie]ses verstehe ich wol und habe es gewiß nicht gegen Dich angeführt[.] Daß der Parmenides der erste in s[eine]r Gattung ist, leidet mir auch keinen Zweifel (obgleich ich glaube daß er nur nach Sokrates Tode geschrieben ist weil es viel wahrscheinlich[er] ist daß er den Eleatiker Hermogenes erst nach Sokr[ates] Tode gehört hat als vorher) also habe ich auch gegen ihn nichts einzuwenden. Ueber den Protagoras kann ich jezt noch nichts sagen bin aber aus meinen Reminiscenzen, wie sie mir jezt zu Gebote stehen sehr D[eine]r Meinung[.]
Daß Du die Ordnung nicht als etwas apodiktisches aufstellen willst, welches sich sehr wol in Absicht auf die Grundsäze aber nie in Absicht auf die Anwendung im Einzelnen thun ließe ist mir sehr lieb. Nächst d[ie]sem wünschte ich es auch daß Du meinen Rath das für unächt Dir geltende nicht von der Uebersezung auszuschließen erwägen mögest. Wie steht es denn nun aber bei Dir mit dem Uebersezen? Bei mir wird bestimt der Phädrus im Laufe d[ie]ses Monates so fertig als ich ihn machen kann; ich arbeite ihn jezt zum zweiten Mal durch und kann also dies sehr gewiß sagen. Sehr schön wäre es doch wenn zur Ostermesse ein Band erscheinen könnte, und wenn dies dadurch entschieden werden kann, wiederhole ich gern mein Anerbieten den Protag[oras] noch zu übernehmen. Den könnte ich noch fertigen aber den Parmenides nicht. Ohnehin werde ich Dich wol bitten müßen für den zweiten Band (in so fern d[ie]ser auch noch dies Jahr erscheinen sollte) den größten Antheil zu übernehmen: denn es ist mir mit dem, was ich Dir, wo ich nicht irre neulich schon von Dialogen schrieb sehr Ernst. Ich habe einige im Kopf und ich denke wenn sie mir noch ein Paar Monate im Kopf herumgegangen sind werden sie auch aufs Papier kommen. Sie sollen was das Ausgearbeitete betrift weit beßer sein als Alles was ich bis jezt gemacht habe, und ich denke auch sonst tüchtig genug.
Dein Lesen habe ich mir ohngefähr so gedacht wie Du es mir beschreibst. Neugierig wäre ich zu sehn was Du über die Elemente seitdem aufgeschrieben hast; daraus könnte ich gewiß viel lernen. – Keinesweges aber Du aus meinen Predigten. Wie kommst Du auf die wunderliche Idee? Es sind ja ganz ordentliche Predigten, wie sie wirklich in Kirchen gehalten werden, und auch sämmtlich von mir wirklich gehalten worden sind; daraus ist gar n[icht]s zu lernen, außer für die Candidaten des h[eiligen] Predigtamtes[.]
Mein Platonisiren mit Heindorf geht seinen bedächtigen Gang fort, keine Kleinigkeit wird außer Acht gelaßen und es geschieht wirklich etwas für den Text; auch hat H[ein]dorf den besten Willen einzudringen. Wir lesen so nach der Zweibrüker Ausgabe weg und werden bald mit dem ersten Band zu Ende sein. Bei alle diesem Lesen fange ich denn auch an die ersten Materialien zu etwas Großem zu sammeln, nemlich zu einem Wörterbuch über die alte Philosophie. Erstaunst Du nicht über das Projekt? Es gehört wol auch zu dem was nothwendig ist, und soll über die alte Philosophie und ihr Verhältniß zur neuen manche ganz neue Lichter aufsteken. Aber freilich so wie ichs machen will kann erst in zehn Jahren vom wirklichen Fertigmachen die Rede sein; auch wird es wol das größte und schwerste sein, was ich überhaupt jemals mache. Philosophie und höhere Grammatik sollen sich darin so einander durcharbeiten, als es vielleicht noch nicht geschehn ist.
Dein Lied auf Schiller hat mir viel Spaß gemacht. Man sagt hier auf Ostern käme schon wieder ein neues Trauerspiel von ihm; ich für mein Theil habe noch nicht einmal die Maria Stuart gesehen. Tiek – der über Wilhelms Nichtkommen eben so ängstlich als verdrießlich ist – läßt Dich bitten bei Absendung der Kiste wenn sie noch nicht abgesendet ist die Six old plays[,] den Wekherlin und die guerras civiles de Grenada, die sämmtlich auf der Adresse nicht erwähnt waren, ja nicht zu vergeßen. Mit seiner Schrift über die Leute, die mir im Ganzen genommen vortreflich gefällt ist er immer auch noch nicht fertig.
Dorotheen schreibe ich nächstens, heute ist mirs platt unmöglich[.] Grüße sie indeß herzlich und sage ihr daß Alles bestellt sei. Es traf sich grade glükl[ich] daß ein Paar Tage nach Ankunft der Florentine die Levi Sachen nach Wien schikte[.]
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 7. Februar 1801
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 228‒230.
Language
  • German

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