Liebster Freund,
Wie sehr dank’ ich Dir für Deinen lezten Brief, für die übersandten Bücher, absonderlich für die beiden Gedichte; das Schicksal ist unübertrefflich schön, und ich lese es immer wieder, und lache wieder von neuem; es ist so treffend und tiefsinnig. Ich habe mich aber nicht enthalten können, es Wilhelm zu zeigen, und ich denke, Dein Verbot wird sich ja wohl nicht bis auf ihn erstreckt haben. Daß ich so faul im Schreiben bin, mußt Du mir vergeben, ich kann nicht anders, so sehr ich mich auch oft quäle. – Mit der grösten Freude habe ich die Kritiken wieder durchgelesen, und mit Andacht habe ich den Hercules studirt, und glaube ihn nun zu verstehn. Was werden die Menschen, die leutseeligen, wieder sagen, daß Du mich so dreist aufführst? Es muß ihnen am Ende unbegreiflich werden, daß wir uns nicht irre machen lassen, oder sie müssen uns dadurch zu begreifen anfangen: besonders hast Du die wahre Art, so gar keine Rüksicht auf die Umgebung zu nehmen, so gar nicht zu thun, als dürften es sich die andern auch einfallen lassen, daß sie mit sprechen wollten. – Um Hardenberg bin ich sehr betrübt, ich verberge es vor mir selber, was ich fürchte und wie ich mich härme, es hat mir mit diesen Winter verdorben. Die rechten Menschen sterben, die Lumpen leben Gott und dem Teufel zum Trotz. Nach Berlin geh ich nun nie wieder, das ist fest beschlossen, äusser zum Besuch, denn ich werde hier immer melankolisch: warum sollte denn auch die Umgebung, die Natur nicht wenigstens auf uns wirken, wie Wein? Hier sitz ich immer bei Wasser und Brei gefangen, und wenn ich hier bleiben müste, würde ich ohne Zweifel allen Muth verliehren. Ich fühle immer bestimmter, wie nothwendig meiner Existenz die Natur ist, und hier ist man so natürlich, daß schon deswegen von keiner Natur die Rede sein kann: der Schwulst der Berge, die Inkorrektheit von Bächen und Wäldern, der Schwung der Anhöhen ist die ewige Poesie, die ich nie zu lesen müde werde, und die mich stets begeistert. Du wirst wissen, daß ich wenigstens nach Dresden ziehe, d. h. auf einige Zeit, mein eigentlicher Plan ist, nach dem Frieden auf etliche Jahre nach Italien zu gehn. – Du scheinst froh zu sein, viel zu arbeiten. Ich habe vieles angefangen, und nichts zu Stande gebracht. Ich habe den Homer und manches von den Alten wiedergelesen, und ich kann sagen, daß ich nun erst weiß, nicht, was es vielleicht an sich soll, aber wenigstens gewiß, was sie mir sollen. Besonders hat Homer ein geheimes tiefes Grauen in mir geweckt, das bisher sich nur zuweilen unbestimmt in mir geregt hat, ich habe wahrzunehmen geglaubt, wie allenthalben das Innre der Natur aus ihm spricht, und an einigen Stellen fast unmittelbar, ich sehe in ihm Ruinen von alten Zeiten und Erinnrungen von grossen untergegangnen Geschlechtern, Sagen, die wie aus einem Meerstrudel wieder aus der Tiefe heraufgeworfen worden, die Riesengebeine in ihm so nahe, und unbekannte Geschöpfe, wie man sie wohl in Gebirgen findet. Ich fühle nun die Umwandelungen der Mythologie, und möchte jezt mit Dir darüber sprechen, es ist nichts Vergangenes, nichts Damaliges, es ist noch so, und muß sein. Ich kann es Dir nicht ausdrücken, wie mir alles in der Welt immer mehr Eins wird, wie ich gar keine Unterschiede von Räumen oder Zeiten mehr statuiren kann, es wird mir Alles bedeutend, und alles was Geschichte giebt und Poesie, so wie alle Natur, und alles in mir, sieht mich aus einem einzigen tiefen Auge an, voller Liebe, aber schreckvoller Bedeutung. – Ich setze voraus, daß Du mich ganz verstehst, und hier keine Exaltation vermuthest, sondern es ist mein wahrer poetischer Ernst, und darum habe ich Dir mein Gefühl am liebsten mittheilen mögen. Dies Gefühl scheint mir unmittelbar die uralte Zeit beseelt zu haben, im lyrischen Aeschylus finde ich noch göttliche Spuren, im Sophokles beginnt ein neues Geschlecht, die Kunst kommt zum Bewußtsein ihrer selbst, und nach ihm entsteht wohl erst, was die meisten Menschen so griechisch nennen. Ich bin mit meiner Niobe fertig, wie wir beide den Ausdruck nehmen, und wenn Du oder Wilhelm nicht eilt, eine Tragödie zu schreiben, so werde ich sie auch zuerst aufgeschrieben haben: Wilhelm soll mich erst noch in den alten Silbenmaassen unterrichten. – Das Romantische ist ein Chaos, aus dem sich nothwendig wieder eine Gewisheit, wenn man es so nennen will, entwickeln muß. Alle meine Plane fallen immer mehr in’s Ungeheure, und ich lerne es ordentlich, mit jeder neuen Idee weniger populär zu werden: ich habe diesen Winter nicht viel gethan, auch nicht viel gelernt, aber ich bin vieler Dinge inne geworden.
Vergieb mir mein Geschwätz, wenn es Dich in einer Stunde überrascht, in der es Dich leicht stören mag. Ich freue mich unendlich, Dich nach Ostern wieder zu sehn, wenn es auch nur auf wenige Tage ist: komm doch nach Dresden, wenn Du irgend kannst, wenn auch nur auf kurze Zeit. Ich sehe Wilhelm viel, ausser ihm und Bernhardi den Mahler Buri, der ein eigentlicher Künstler ist, und den Architekten Genelli, den Du auch etwas kennst. Dieser Mensch sollte über Kunst schreiben, wenn er die Sprache hätte, wie Du über Poesie, denn in den Grundsätzen und Foderungen, daß nur das Höchste gelten soll, möchtet ihr wohl übereinstimmen. Der strengste Rigorismus ist nur die einzig würdige Art, die Kunst zu behandeln, und ich sympathisire recht mit ihm in dem Haß gegen die Propyläen, die schlimmer sind wie die schlimmsten Stümper, und auch recht klassische Stümper hervorbringen werden. Was sagst Du zu der wohlgezogenen Antike, Paläophron und Neoterpe? Man könnte ihr immer auch im Weimarschen Park begegnen und man würde sich nicht wundern.
Lebe recht wohl, bleibe gesund. Die Trennung hat ein Gutes, daß man noch bestimmter fühlt wie man liebt und verehrt: möchte Dir mein Andenken eben so lieb bleiben, wie mir das Deinige ewig sein wird. – Grüsse die Veit, ich habe den Florentin in einem Briefe an sie weitläuftig rezensiren wollen, aber es soll nächstens geschehn. – Bist Du wohl so gut, die Einlage an Frommann zu geben?
Der Deinige.
L. Tieck.
Wie sehr dank’ ich Dir für Deinen lezten Brief, für die übersandten Bücher, absonderlich für die beiden Gedichte; das Schicksal ist unübertrefflich schön, und ich lese es immer wieder, und lache wieder von neuem; es ist so treffend und tiefsinnig. Ich habe mich aber nicht enthalten können, es Wilhelm zu zeigen, und ich denke, Dein Verbot wird sich ja wohl nicht bis auf ihn erstreckt haben. Daß ich so faul im Schreiben bin, mußt Du mir vergeben, ich kann nicht anders, so sehr ich mich auch oft quäle. – Mit der grösten Freude habe ich die Kritiken wieder durchgelesen, und mit Andacht habe ich den Hercules studirt, und glaube ihn nun zu verstehn. Was werden die Menschen, die leutseeligen, wieder sagen, daß Du mich so dreist aufführst? Es muß ihnen am Ende unbegreiflich werden, daß wir uns nicht irre machen lassen, oder sie müssen uns dadurch zu begreifen anfangen: besonders hast Du die wahre Art, so gar keine Rüksicht auf die Umgebung zu nehmen, so gar nicht zu thun, als dürften es sich die andern auch einfallen lassen, daß sie mit sprechen wollten. – Um Hardenberg bin ich sehr betrübt, ich verberge es vor mir selber, was ich fürchte und wie ich mich härme, es hat mir mit diesen Winter verdorben. Die rechten Menschen sterben, die Lumpen leben Gott und dem Teufel zum Trotz. Nach Berlin geh ich nun nie wieder, das ist fest beschlossen, äusser zum Besuch, denn ich werde hier immer melankolisch: warum sollte denn auch die Umgebung, die Natur nicht wenigstens auf uns wirken, wie Wein? Hier sitz ich immer bei Wasser und Brei gefangen, und wenn ich hier bleiben müste, würde ich ohne Zweifel allen Muth verliehren. Ich fühle immer bestimmter, wie nothwendig meiner Existenz die Natur ist, und hier ist man so natürlich, daß schon deswegen von keiner Natur die Rede sein kann: der Schwulst der Berge, die Inkorrektheit von Bächen und Wäldern, der Schwung der Anhöhen ist die ewige Poesie, die ich nie zu lesen müde werde, und die mich stets begeistert. Du wirst wissen, daß ich wenigstens nach Dresden ziehe, d. h. auf einige Zeit, mein eigentlicher Plan ist, nach dem Frieden auf etliche Jahre nach Italien zu gehn. – Du scheinst froh zu sein, viel zu arbeiten. Ich habe vieles angefangen, und nichts zu Stande gebracht. Ich habe den Homer und manches von den Alten wiedergelesen, und ich kann sagen, daß ich nun erst weiß, nicht, was es vielleicht an sich soll, aber wenigstens gewiß, was sie mir sollen. Besonders hat Homer ein geheimes tiefes Grauen in mir geweckt, das bisher sich nur zuweilen unbestimmt in mir geregt hat, ich habe wahrzunehmen geglaubt, wie allenthalben das Innre der Natur aus ihm spricht, und an einigen Stellen fast unmittelbar, ich sehe in ihm Ruinen von alten Zeiten und Erinnrungen von grossen untergegangnen Geschlechtern, Sagen, die wie aus einem Meerstrudel wieder aus der Tiefe heraufgeworfen worden, die Riesengebeine in ihm so nahe, und unbekannte Geschöpfe, wie man sie wohl in Gebirgen findet. Ich fühle nun die Umwandelungen der Mythologie, und möchte jezt mit Dir darüber sprechen, es ist nichts Vergangenes, nichts Damaliges, es ist noch so, und muß sein. Ich kann es Dir nicht ausdrücken, wie mir alles in der Welt immer mehr Eins wird, wie ich gar keine Unterschiede von Räumen oder Zeiten mehr statuiren kann, es wird mir Alles bedeutend, und alles was Geschichte giebt und Poesie, so wie alle Natur, und alles in mir, sieht mich aus einem einzigen tiefen Auge an, voller Liebe, aber schreckvoller Bedeutung. – Ich setze voraus, daß Du mich ganz verstehst, und hier keine Exaltation vermuthest, sondern es ist mein wahrer poetischer Ernst, und darum habe ich Dir mein Gefühl am liebsten mittheilen mögen. Dies Gefühl scheint mir unmittelbar die uralte Zeit beseelt zu haben, im lyrischen Aeschylus finde ich noch göttliche Spuren, im Sophokles beginnt ein neues Geschlecht, die Kunst kommt zum Bewußtsein ihrer selbst, und nach ihm entsteht wohl erst, was die meisten Menschen so griechisch nennen. Ich bin mit meiner Niobe fertig, wie wir beide den Ausdruck nehmen, und wenn Du oder Wilhelm nicht eilt, eine Tragödie zu schreiben, so werde ich sie auch zuerst aufgeschrieben haben: Wilhelm soll mich erst noch in den alten Silbenmaassen unterrichten. – Das Romantische ist ein Chaos, aus dem sich nothwendig wieder eine Gewisheit, wenn man es so nennen will, entwickeln muß. Alle meine Plane fallen immer mehr in’s Ungeheure, und ich lerne es ordentlich, mit jeder neuen Idee weniger populär zu werden: ich habe diesen Winter nicht viel gethan, auch nicht viel gelernt, aber ich bin vieler Dinge inne geworden.
Vergieb mir mein Geschwätz, wenn es Dich in einer Stunde überrascht, in der es Dich leicht stören mag. Ich freue mich unendlich, Dich nach Ostern wieder zu sehn, wenn es auch nur auf wenige Tage ist: komm doch nach Dresden, wenn Du irgend kannst, wenn auch nur auf kurze Zeit. Ich sehe Wilhelm viel, ausser ihm und Bernhardi den Mahler Buri, der ein eigentlicher Künstler ist, und den Architekten Genelli, den Du auch etwas kennst. Dieser Mensch sollte über Kunst schreiben, wenn er die Sprache hätte, wie Du über Poesie, denn in den Grundsätzen und Foderungen, daß nur das Höchste gelten soll, möchtet ihr wohl übereinstimmen. Der strengste Rigorismus ist nur die einzig würdige Art, die Kunst zu behandeln, und ich sympathisire recht mit ihm in dem Haß gegen die Propyläen, die schlimmer sind wie die schlimmsten Stümper, und auch recht klassische Stümper hervorbringen werden. Was sagst Du zu der wohlgezogenen Antike, Paläophron und Neoterpe? Man könnte ihr immer auch im Weimarschen Park begegnen und man würde sich nicht wundern.
Lebe recht wohl, bleibe gesund. Die Trennung hat ein Gutes, daß man noch bestimmter fühlt wie man liebt und verehrt: möchte Dir mein Andenken eben so lieb bleiben, wie mir das Deinige ewig sein wird. – Grüsse die Veit, ich habe den Florentin in einem Briefe an sie weitläuftig rezensiren wollen, aber es soll nächstens geschehn. – Bist Du wohl so gut, die Einlage an Frommann zu geben?
Der Deinige.
L. Tieck.