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Friedrich von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Geliebter Freund,
Du erwartest vielleicht Entschuldigungen. Aber ich habe größere Lust mit Vorwürfen anzufangen. Warum sendest Du mir nicht Dein erstes Sonett? – Warum nicht Deine Predigten, die ich zu großem Erstaunen im Meßkatalog finde. – Wie mich Euer Beginnen mit Hard[enbergs] Nachlaß empört hat, wird Dir W[ilhelm] sagen. Ich begreife es gar nicht von Euch, und finde den bloßen Gedanken sündlich und unverzeihlich. –
Noch ist der Bocc[accio] nicht ganz fertig, und der Frühling hat auch seinen Tribut in einigen Gedichten gefodert. Könnte ich nur den ganzen Sommer nichts als dichten, ich wollte viel machen. Nächst der Luc[inde] sind mehre Dramas an der Tagesordnung, und ich denke es soll leicht damit gehn.
Zu den dranschandequalfühlloseviehischen Vorlesungen habe ich für den Sommer wenigstens keine Lust. Man kriegt es gar zu schlecht bezahlt, und das einzeln und mit Noth. Auch mag ich nicht wieder ohne Comp[endium] lesen und kanns doch jetzt nicht zwingen. In die Gewalt habe ich das Lesen bekommen, und das ist viel. Meine Parthei ist eher klein als groß; aber die für mich sind, sind es mit Leib und Seele, und einige erschienen mir doch so, daß ich gesinnt sein konnte, es eben so zu erwiedern. Nur ist die Menge selbst der Leidlichen zu sehr durch den alten Kinderbrei von Objekt und Subjekt verderbt, und dadurch werden auch die Guten gehemmt.
Also Poesie und Plato, Plato und Poesie ist für jetzt an der Tagesordnung. Den Bocc[accio][,] die 3 oder 4 Correcturen Tags muß ich erst vom Halse haben, aber dann gehts ernstlich über den Plato. Hoch erfreulich ist mir daher Dein Fleiß am Protag[ogaras]. – Schick mir jenen Bogen wieder, er dient mir wenigstens zum Leitfaden. Die Einleitung aber mußt Du mir hoch anrechnen, und also auch beim 2ten Theile Deine Hülfe nicht entziehen. Frommann war zwar sehr betrübt über die Nichtfertigwerdung hat sich aber doch gut genommen, wünscht nun sehr zwei Theile gleich nach einander zu drucken, und ist mit Ernst dabei, welches löbliche Vergeltung verdient. – Es ist also immer nicht zu früh wenn ich vorläufig mit anfrage, ob Du meine Ordnung für d[en] 2ten Theil noch billigen kannst? –
Worüber ich Dir noch Lust hätte, ganz heftig den Krieg zu machen, ist daß Du meinen Lessing für formlos hältst da mußt Du paradoxe Ansichten von Form haben. Du scheinst das für Nothbehelf zu halten, was ich für den Triumph der Beredsamkeit, wie ich sie in solchen Sphären geben kann, ansehe. Wenn der Lessing formlos ist, dann ist es die Elegie gewiß auch. Die Form des Ganzen ist ganz wie die des alten Bruchstücks nur in größerm Maaßstabe und alles Individuelle beiseite gesetzt, dieselbe wie die Grundlinien von Less[ings] Form.
Man muß wohl gegen solche Ansicht etwas polemisch gestimmt [werden], weil auch dergl[eichen] verkehrten Begriffen von Fertigsein, Fortsetzen, Vollenden solche Greuel entspringen können wie das mit Hard[enbergs] Roman. Und ihr solltet doch darum mißtrauisch dagegen sein, weil Ihr sie bei allen denen finden müßt, die Ihr verwerft.
Daß Dich der Afterd[ingen] so beschäftigt und freut, freut mich wieder gar sehr. Ach könnte ich Dir nur mehr von ihm sagen, und könnte ich nur wieder einmal mit Dir sprechen leben und sein. Ich fühle recht oft das Bedürfniß dazu. – Rittern geht es so schlecht, daß es störend wird. Es ist traurig durch das Wenige was man thun konnte, fast sich selbst geschadet zu haben, und doch nicht helfen zu können. – Für das Innere unserer äußeren Existenz ist durch H[ar]d[en]b[er]gs Tod eine Lücke entstanden, die vielleicht nie ersetzt werden kann. Es ist schmerzlich bei einer so schönen Begebenheit mit Unzufriedenheit an sich selbst und sein Leben denken zu müssen. Doch würdest Du es verzeihlich finden! –
R[ittern] wünschte ich Deine Freundschaft. Er ist noch sehr mit sich beschäftigt fast zu sehr. Du würdest ihm gut thun, und ihm wenigstens zu einer klaren Anschauung von objektivem und allgemeinem Sinn verhelfen.
Kürzlich ist ein Messerschmidt hier gewesen, derselbe der an W[ilhelm] ein Carmen Saeculare geschickt. Sag W[ilhelm] nur, gegen diesen erscheine Winkelmann verständig, Brentano gelassen, und die ganze Klinkelei als eine herabgestimmte Nachbildung von ihm. Er sagte mir einmal auf der Straße da ich ihn frug wo er hin ginge, er ginge der Sonne nach, mit einem stieren Blick daß ich dachte jetzt ginge es los. Doroth[ea] meinte, es wäre zu wünschen daß diesen die Hitze nicht träfe denn er wäre reif, sonst möchte er überreif werden. In der That hat er am ersten das Ansehen es wirklich zum Tollhause zu bringen. Ihr könnt also denken daß er sich nächst Schiller am meisten auf mich gelegt. Doch verehrt er W[ilhelm] auch mächtig, und ein Vers von d[ie]sem ist ihm zur fixen Idee geworden, der Vers im Sonnett auf D[on] Q[uixote] – Der Weltlauf trat sie da mit harter Pfote. – In allen seinen Gesprächen geht nun Weltlauf und Pfote als Grundton durch. An Schulken[n]tnißen fehlts ihm nicht zum Beweis daß diese Kinder der Zeit nicht allein leiden sondern daß ihre Unwissenheit eine Epidemie ist[.]
Von Ast selber ist recht viel zu hoffen, aber mit seiner Schrift ists nicht so eilig; sage das auch H[eindorf] nebst herzlichen Grüßen. Doch sollt Ihr sie mit nächstem haben[.]
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 17. April 1801
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 258‒260.
Language
  • German

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