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Ludwig Tieck to Friedrich von Schlegel

Dresden den 23 ten April. 1801.
Liebster Freund,
Seit zwölf Tagen bin ich hier, und habe Dir mit jedem Tage schreiben wollen, und bin immer nicht dazu gekommen. Es ist nun auch eben so gut, denn ich hätte Dir nur Besorgniß machen müssen, ohne sie heben zu können, was jezt nicht der Fall ist. Die Ernst nehmlich, Deine Schwester, ist so eben von einer sehr gefährlichen Nervenkrankheit auf den Weg der Besserung gekommen, sie ist schon fast ohne Hofnung gewesen, ich habe sie aber gestern gesehn, und sie geht nun schon wieder und fühlt sich gestärkt, und der Arzt ist ihrer völligen Genesung gewiß. Sie läßt Dich herzlich grüssen, und hat Dir schon seit lange schreiben wollen, es erst ihrer Krankheit wegen aufgeschoben, und ist nachher zu schwach geworden, jezt hat sie mir aufgetragen, Dir ihren Unfall zu melden, und Dich zugleich zu beruhigen. Sie ist noch schwach, und muß sich vor allen lebhaften Eindrücken hüten, aber der Arzt will doch, daß sie mit dem ersten guten Wetter nach Pilniz gehen soll, woraus Du sehn kannst, daß für diesen Augenblick die Gefahr völlig überstanden ist. Schon vor mehreren Tagen habe ich sie einmal besucht, und ihre Lebhaftigkeit bewundern müssen, ich freue mich ihrer Genesung und ihrer nähern Bekanntschaft ausserordentlich: die kleine Auguste hat etwas sehr Feines und Sinniges, wenn sie nur nicht von schwachem kränklichen Naturell ist; schreibe aber davon nichts der Mutter, sie möchte sich ängstigen, daß das Kind auf mich den Eindruck gemacht hat. – Wie gern, liebster S[chlegel], wäre ich noch zu Dir nach Jena gekommen! Allein es sind allerhand Umstände eingetreten, die mich gezwungen haben, diese schöne Reise für jezt noch aufzugeben, am meisten meine Gesundheit, die ich dem abwechsel[n]den, unzuverlässigen Wetter nicht anvertrauen darf, ich leide sehr leicht an Coliken, die mitunter gefährlich werden. Komm doch hieher, Pfingsten, wenn Du kannst, dann triffst Du Bernhardi’s auch noch hier, die den 10 oder 12ten May ankommen werden, mit Schütz. Deine freundliche Einladung nehme ich an, das versteht sich, wenn auch nicht für jezt, doch wohl für den Herbst, es ist am natürlichsten, wenn Du Platz hast, daß ich bei dir wohne, was ich auch jezt ohne alle Rüksicht thun würde, Wilhelm hatte mir gesagt, Du seist sehr eng logirt, und er drang mir das Versprechen ab, bei Caroline zu wohnen, und nicht bei Fromman[n], Du weist, wie er in solchen Fällen ist, und wie schwach ich bin, Ja zu sagen, ohne es nachher so genau zu nehmen. Er ist darinn wunderlich, ich habe in Jena einmal offenherzig mit ihm über C[aroline) und sein Verhältniß gesprochen, mich seitdem nie wieder nach ihr erkundigt, ausser daß ich sie im Herbst einmal grüssen und ihr mein Beileid bezeigen ließ, und er zwang mich nun in B[erlin], Briefe und Urtheile von ihr zu sehn und zu hören, er schreibt ihr posttäglich, und scheint nicht zu fühlen, wie komisch das alles wird. Mir war es sehr fatal, es ihm versprochen zu haben, besonders, weil er ein so grosses Gewicht darauf sezte, woraus ich schliesse, daß es ein Auftrag von ihr ist, und irgend eine Absicht zu klatschen oder zu hetzen, was mich aber bewogen haben würde, durchaus nicht, bei ihr zu wohnen. Glaube aber nicht, daß mich dies bewogen hat, die Reise aufzugeben, es wäre zu kleinlich, sondern meine Kränklichkeit und eine nothwendige Arbeit haben mich gezwungen: ich habe auch Wilh[elm] hierüber meine aufrichtige Meinung geschrieben. – Das wünschte ich recht von Herzen, daß Dein Zwist mit Schelling auf irgend eine Weise wieder beigelegt werden könnte: es ist doch wie eine Krankheit, und hindert. Wie es mögl[ich] ist, sehe ich nicht ein, da er schwach ist, und C[aroline] unbedingt glaubt, und sie gewiß diese Trennung gern sieht. – Was Wilh[elm] für Absichten mit Hardenbergs Buch hat, weiß ich nicht recht, Du giebst sie in Deinem Briefe nicht an: er wollte, daß ich den Roman beendigen sollte, wovon ich ihm die Unmöglichkeit, ja die Unschicklichkeit vorzustellen suchte, er sah es nicht ein, und so gab ich ihm endlich nach, um nicht zu streiten, weil es ja nur auf mich ankömmt, es nicht zu thun. Ich bin ganz Deiner Meinung, daß alles, was er zurückgelassen, für ein Heiligthum, von uns, seinen Freunden zu achten ist. Wilh[elm] und Schl[eiermacher] werden doch nicht gar ändern, weglassen, oder zusetzen wollen? Ich gestehe, daß ich das Buch ungern zurückgelassen habe, Bernh[ardis] sollen es mir mitbringen, Schl[eiermacher] nahm es noch in den lezten Tagen, und hat es fast seit einem Jahr versäumt, zu lesen. – Dieser betrübte Verlust unsers Freundes hat mich etwas mit bestimmt, die Reise zu lassen. Du glaubst nicht, wie mich dieser verhaltene Schmerz schon seit dem Winter gestört, geängstigt, fast zerrüttet hat: ich kann nicht davon sprechen, und mich so erleichtern. So wie ich von seiner Krankheit hörte, hielt ich ihn für gestorben, ja seit ich ihn kenne, sah ich ihn als einen Todten an, und meine Ahndung hat mich nicht geirrt: doch hat mich diese Vorempfindung keinesweges abstumpfen können, ich war vorbereitet, um den Schmerz schon im voraus zu fühlen. Es ist bei mir nicht die Trennung, die Entfe[rn]ung, was mich zerschneidet, denn darüber kann man sich leicht beruhigen, sondern es ist meiner Seele, und so wird es Dir auch sein, was dem Körper ein verlohrnes Glied ist: er war uns nothwendig, er war eins mit uns, Gedanken und Liebe hatten eine gemeinschaftliche Wurzel, für so vieles fehlt mir nun das Element, in dem es Leben gewinnen könnte, mir ist, als hätte die Liebe in mir einen Riß bekommen, es ist kein Verlust mehr, der mir bloß als Mensch geschehn ist. Wenn ich von dem Einfluß, von dem Wirken der Gestirne auf mich und mein Leben gern überzeugt bin, wenn ich die Freundschaft der Pflanzen, des Himmels und Wassers zu mir empfinde, so muß ich ja noch inniger den unmittelbarsten nothwendigsten Einfluß, den Athem fühlen, den befreundete Seelen in mich ergiessen; und so ist er uns nicht für jezt, nein für immer gestorben. Unser Leben muß ein gemeinschaftliches sein, wenn wir uns anders angehören, und so ist der grausamste Schnitt in diese Einheit geschehn. Lange nachher habe ich oft seine Gedanken und Gefühle verstanden, wie bei mir erst alles tiefe Wurzel fassen muß, und spät zum Vorschein kommt, so daß er mir oft unvermuthet in einem Worte, in einer neuen Bedeutung aufgeht, und so wäre die Einigkeit, der gegenseitige Bund, und die nothwendige Eigenheit eines jeden immer schöner geworden: denn man könnte sich gar nicht verstehn, wenn man ganz dasselbe dächte und fühlte; es muß immer ein Annähern bleiben, damit jedes Wort in uns wieder einen neuen Weg suchen kann. – Vergieb mir mein verwirrtes Geschwätz. Wie wünscht’ ich Dich hieher, oder mich zu Dir! Grüsse Ritter recht herzlich: ich habe recht geschildert, wie es mir mit seinen Gesprächen noch immer ergeht, die wenigen, die ich mit ihm gehabt, und die ich so gut behalten habe. Hebe zum Herbste etwas von Deinem Weine auf, so wie von Gedichten und Gesprächen. Grüsse die Veit, ich wünsche daß der 2te Florentin bald erscheint. Aus Deinem Briefe seh ich, daß die Idee, die neuen Silbenmaasse statt der alten einzuführen, bei Dir keine vorübergehende war. Wenn ich Dir Recht gebe, so dürfte ich die Niobe nur anfangen. Ich bin für mich sicher, auch fast, daß Sie Dir gefällt, – aber weiter weiß ich noch keinen. Was ich gefallen nenne, daß sie ihnen recht ist, und nicht anders sein könnte. Nun wir uns sobald noch nicht sehn, schreibe mir doch einmal etwas Weitläuftiger, wenn Du die Laune dazu hast, denn ich halte es jezt ordentlich für Sünde, sich zu einem Briefe an einen Freund zu quälen: lieber soll man gar nicht schreiben. Du siehst, daß ich meiner Theorie folge. Ich schicke Dir hier einige Gedichte, die ich im vorigen Herbst zugleich mit den Sonetten im Poet[ischen] Jour[nal] schrieb, ich habe sie Dir schon immer schicken wollen, und schob es auf, weil ich sie Dir vorlesen wollte: sie sind für den Almanach. Schicke sie mir bei Gelegenheit wieder, und Dein Urtheil darüber, besonders, ob Du sie dunkel findest: ich halte sie nicht dafür, ausser, daß eben nichts so dunkel ist, als der Trieb, weshalb wir dichten, und alles, was wir im Zusammenhange ansehn, das wird eben dunkel durch das Licht, das wir hineinbringen, und muß es werden, weil wir es sonst nicht erkennen. Die Erleuchtung des gewöhnlichen Verstandes ist dabei satanisch, d.h. platt. – Lebe recht wohl, sei vergnügt, gesund, poetisch, und vergieb Deinem
herzlichsten Freunde,
L.Tieck.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 23. April 1801
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 262‒265.
Language
  • German

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