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Friedrich Schleiermacher to Friedrich von Schlegel

Berlin d. 27t. April 1801
Da hast Du mir freilich wieder einmal geschrieben lieber Freund; aber ich kann nicht sagen, daß ich was unsere und Deine litterarischen Angelegenheiten betrift sonderlich davon erbaut wäre. Ja wenn ich aufrichtig sein soll muß ich Dir gestehen, daß Du durch die Art wie Du den Platon und meinen Antheil daran behandelst das Mögliche thust, um mir die Lust zur ganzen Sache zu verleiden. Ich bot diesem Werke so gern die Hand, nicht weil ich glaubte daß es durch meinen Beitritt beßer werden würde, sondern weil ich mich innerlich freute etwas gemeinschaftliches mit Dir zu vollbringen, und nebenbei weil ich hoffte die Rüksicht auf diese Gemeinschaft würde Dich zu etwas mehr Ordnung und Stätigkeit in der Sache bewegen. Beides ist wie ich sehe gar nicht der Fall; Du treibst den gewohnten Wechsel zwischen eilfertigen Anstalten und langen Zögerungen, zuversichtlichen Verheißungen an den Verleger und leeren Vertröstungen eben so ungestört als ob Du allein interessirt wärest. Und mit der Gemeinschaft will es auch nicht viel sagen. Auf meine Thätigkeit nimmst Du keine Rüksicht: keine Zeile Erwiederung auf Alles was ich schon gegen Dich geäußert habe, kein Schatten eines Urtheils über Alles was Du nun schon seit länger als einem Monat von mir in Händen hast so daß ich nicht einmal weiß, ob Du es schon gelesen hast oder nicht. Dies liegt über alle Entschuldigung hinaus denn wie kann ich weiter arbeiten ehe ich nicht weiß ob ich nicht vielleicht Deiner Meinung nach auf einem ganz falschen Wege bin? Weder der Boccaz noch die Correcturen, noch der Tribut des Frühlings kann dies rechtfertigen. Und von Deinem Thun erfahre ich gar nichts. Kein Wort davon ob Du schon etwas am Parmenides gearbeitet hast oder nicht, ob Du die Abhandlung über das Studium noch voranschiken willst wie ich wiederholt gebeten habe oder nicht; ja nicht einmal was schon da ist – ich meine die Dissert[ation] die denn doch Ideen enthalten muß – theilst Du mir mit, welches ich, wenn ich nicht so hohe Begriffe von Deiner Nachläßigkeit hätte eher für absichtlich halten müßte, besonders da Du nur eben ein Paket an Wilhelm geschikt hast. Du wirst begreifen, daß wenn ich mir dieses so Vier oder Fünf Jahre hindurch immer fortgehend denke, mir, wie Du meine Natur kennst, die Haare dabei zu Berge stehn müßen. Hiezu kommt noch daß ich bis diesen Augenblik nicht weiß, wie Du in Hinsicht auf die litterarische Welt meinen Antheil betrachten und kundgeben willst. Du siehst leicht, daß wenn ich von Deiner Arbeit gar keine Kenntniß habe (und ich sehe nicht ein, wie Du es bei diesen Zögerungen möglich machen willst mir irgend etwas vorher zu schiken) auch von den Veränderungen die Du in meiner Arbeit vornimmst nicht erfahre, ich eigentlich gar keine öffentliche Verantwortlichkeit übernehmen kann, und es also ganz unnüz wäre meinen Namen zu nennen.
Uebrigens prostestire ich noch einmal gegen jeden Gebrauch der Anmerkungen zum Phaidros wie sie jezt sind. Heindorfs Bearbeitung wird so bald noch nicht erscheinen, also muß alles was sich auf denselben bezieht anders eingerichtet werden, und da er jezt wieder so gesund ist, daß man von ernsthaften Dingen mit ihm reden kann, so ist es billig eine Art von Rüksprache mit ihm darüber zu nehmen.
Und nun lieber Freund habe die Liebe gegen mich und nimm dies Alles nicht herber als ich es gesagt habe: es sind Klagen deren ich mich nicht erwehren kann, die aber der Freundschaft gar keinen Eintrag thun. Mit dem Protagoras bin ich fast fertig, und würde es schon ganz sein, wenn ich nicht d[ie]se Zeit her mit Amtsgeschäften überladen gewesen wäre, und noch dazu mich mit Fremden hätte befassen müssen. Deinen Bogen müßte ich erst abschreiben ehe ich Dir ihn wiederschiken könnte und dazu habe ich seit dem Empfange Deines Briefes noch keine Zeit gehabt. Aus diesem Bogen zu schließen (denn weiter hast Du mir ja noch nichts darüber geschrieben) denkst Du Dir die Ordnung des 2t. Theils so: Euthyphr[on] Theages Criton Phaidon. Denn in Deine zweite Periode wirst Du Dich doch nicht versteigen wollen. Du weißt daß ich von der Unächtheit des Theages und der Aechtheit der Apologie überzeugt bin und diese würde also meiner Meinung nach zwischen den Criton und Phaidon zu sezen sein. Jedoch versteht sich daß Du Deine Zweifel gegen sie so stark als immer möglich ist vortragen wirst, so wie ich auch gegen das Uebersezen des Theages nicht bin, wenn Du mir nur erlaubst den Beweis seiner Unächtheit so stark zu führen als ich kann. Ueberdies habe ich noch einen Verdacht daß der Menexenus noch in die erste Periode gehören möchte und noch nicht das Herz einem Zeugniß des Alterthums abzuläugnen daß der Lysis noch zu Lebzeiten des Sokrates geschrieben worden. Indeß bin ich über Beides noch nicht im Reinen, will mich aber baldmöglichst darauf appliciren. Der Lysis hätte auf d[ie]sen Fall freilich beßer noch im ersten Theile gestanden. Was diesen betrift so ist es mir übrigens jezt beinahe gewiß daß der Protagoras früher ist als der Parmenides, ja ich möchte vermuthen der lezte sei erst in Megara geschrieben, und also nach Sokrates Tode. Doch gebe ich Dir dies nur als Vermuthung und mache keinen Anspruch daß deshalb etwas geändert werde; denn die Beziehung dieser 3 auf einander ist mir so klar als sie Dir nur sein kann.
Von den Frühlingsopfern hat Wilhelm (den ich jezt leider gar nicht sehe weil er bei Schüz wohnt) neulich Zwei gelesen, die mich sehr erfreut haben. Ich möchte Dir manches darüber schreiben wenn heute noch Zeit wäre – aber ich muß noch Vieles versparen. Denke Dir nur, daß das grade das Beste ist, und daß ich mir nur die unangenehmen Ideen erst habe vom Halse schaffen wollen. Leider ist an eine Reise zu Euch vor der Hand nicht zu denken. Mein erstes Sonett ist für gar keines zu rechnen, und was Du mit meinen Predigten willst begreife ich wirklich nicht, da es ganz ordentliche Predigten sind praetereaque nihil. Wenn Du hineinsehen willst, so leihe sie Dir doch nach der Messe aus einem Jenaschen Buchladen ich habe wahrhaftig kein Exemplar mehr, als die Aushängebogen die auf dem grauesten Papiere gedrukt sind. Lessing, Hardenb[erg] und Alles Andre auf ein andermal.
Ich überlaße Dir ganz, was Du mir vom 2t. Theil geben willst, weil es mir völlig gleich gilt[.]
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 27. April 1801
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 267‒269.
Language
  • German

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