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Dorothea von Schlegel to Heinrich Eberhard Gottlob Paulus

Am 1ten September 1801.
Ehe ich zu den Geschäften des täglichen Lebens gehe, will ich mich zuerst zu einem Geschäft wenden, was ich meinem bessern Gefühle nach, freylich nicht bis heute hätte verschieben müßen woran mich aber jedesmal wieder meinen Willen und Vorsatz eine gewisse Schüchemheit und Mißtrauen verhinderte. Das Datum des heutigen Tages, giebt mir endlich den Muth dazu! Wenn ich mich nicht mit einem lebhaften Gefühl der Dankbarkeit des Tags erinnerte den wir voriges Jahr so vergnügt in Ihrem Kreise verlebten, und so mancher andern Freuden, die ich Ihrer Güte und Ihrem Wohlwollen verdanke, ich wäre ein Ungeheuer an Undankbarkeit; und gewiß ich bin nicht undankbar; ich werde es nie, nein niemals vergessen; die Rührung dieses Augenblicks sey Ihnen und mir Bürge.
Die kurze Zeit die ich noch in Jena seyn werde, ist der Vollendung meiner Arbeiten geweiht; ich werde selten ausgehen, meine Freundin nur selten sehen können. – Möchte aber nur alsdenn die Erinnerung jener Zeit, wo ich so oft, und so willkommen in Ihrer Familie zubrachte, nicht durch die bittre Empfindung getrübt werden, daß ich Ihnen Verdruß machen konnte, daß Sie sich über mich zu beklagen haben! – O wenn Sie mir Alles verzeihen könnten, so wie ich alles vergessen habe, was mich beleidigte! – Können Sie verzeihen, wollen Sie mich wieder in Ihr Vertrauen aufnehmen so geben Sie mir zum Zeichen der Aussöhnung jenen fatalen Brief zurück, daß ich ihn vernichte, oder vernichten Sie selbst ihn. Sie werden ihn niemals als Dokument gegen mich gebrauchen müßen, oder wollen, denn gewiß, keine meiner Handlungen wird Sie jemals dazu nöthigen. Und wenn Sie wirklich glauben wollen gegen mich auf Ihrer Hut seyn zu müßen, wovon könnte am Ende dieser Brief wohl ein Dokument seyn? Er enthält doch weiter Nichts, wie scheinbar gültig auch Ihre Beweise seiner Bosheit seyn mögen, Nichts weiter, als die flüchtigen Resultate von verschiedenen Beobachtungen Ihres häußlichen Lebens, und von einigem was Dalton uns aus seinen Gesprächen mit Ihnen unschuldig mittheilte, auf geschrieben in einer halb muthwillig ausgelassnen, halb durch allerley Widersprüche aufgereitzten, verstimmten Laune, an Friedrich mitgetheilt, dem Einzigen dem ich es je mitgetheilt haben würde, und vielleicht, ja wahrscheinlich gewiß, von uns beyden geschwind vergessen! Welche boshafte Absicht könnte man in so unbesonnener Mittheilung wohl finden wollen? und großer Gott! welche boshafte Absicht könnte ich jemals gegen Sie haben?
Noch ein Grund warum ich Sie sehr bitten muß mir jenen Brief zurück zu geben, ist – Sie selbst und Friedrich! Bedenken Sie welchem Verdruß ich Sie beyde aussetzen muß, wenn ich mich genöthigt sähe, Friedrich zu bewegen, daß er sich seines Eigenthums, und meines Rechts anzunehmen hätte! –
O ich bitte Sie sehr um Verzeihung! Verzeihen Sie alles, und vertilgen Sie jedes Andenken dieser häßlichen Begebenheit von der Erde, und aus Ihrem Gedächtniß. Sie werden es niemals zu bereuen finden, daß Sie verziehen haben. Ich nenne mich in dieser Hoffnung, und mit den heißesten Wünschen für Ihr Wohl, Ihre Freundin
D Mendelsohn.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 1. September 1801
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Heinrich Eberhard Gottlob Paulus ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 284‒285.
Language
  • German

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