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Friedrich von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Du hast nun heute so viel zu lesen daß es fast sündlich wäre Dir noch mehr zu thun zu geben. Aber einiges mußt Du Dir noch gefallen lassen. – Erst über Deine Predigten. Weißt Du wohl daß ich sehr geneigt [bin], sie für Dein bestes Werk zu halten, nämlich als Werk, und das gar nicht aus Wiedersetzlichkeit, sondern aus reiner Zuneigung. Sie sind so voll Ruhe, und frei von jedem Schein von Gezwungenheit. –
Daß ich solche Scheu gehabt, Deinen Brief zu beantworten, mußt Du mir nicht übel deuten. Es ist unglaublich wie weit Kar[oline] ihren indirekten Wirkungskreis bei W[ilhelm]s Schwäche oder Stärke im Glauben zu verbreiten weiß. So sind auch in Deinem Briefe manche Dinge, die Du auf Glauben von dem Gläubigen angenommen hast; was Dir nicht zu verargen ist, aber mir mußte die Quelle gleich sichtbar sein. Es paßt ganz darauf eine Stelle aus dem Balbier von Sevillia – „Verleumden – ach sie kommen von Herrn Basile“ – Eben so untrüglich giebt sich mir zu erkennen, was von K[aroline] in Betreff auf mich sich herschreibt. Und so konnte ich, so werth mir der Beweis Deiner Freundschaft war, in dem was Dich zum Briefe veranlaßt hatte, nichts sehen, als einen neuen Versuch Kar[olines] auch Dich wenn es möglich wäre über mich zu täuschen oder noch lieber mit mir zu entzweien, wie sie es bei Fichte Tieck pp bei allen meinen Freunden gethan, jedoch W[ilhelm] ausgenommen bis jezt ohne Erfolg. – Ich fühlte nun gewiß die Nothwendigkeit ja die Pflicht mich bei Dir zu reinigen: aber es ist ein hartes Geschäft sich entschuldigen zu müssen. Man denkt leicht der andre hätte es einem wohl sparen können. Eine absolute Unrichtigkeit findet sich in Deinem Briefe: „ich habe Kar[oline] nicht besucht seit sie wieder hier ist.“ – Es ist solches allerdings und zwar sehr förmlich geschehn, und nach allen den offenbaren Grobheiten und geheimen Streichen die sie sich gegen mich erlaubt hat, war dies allerdings etwas ganz außerordentliches. Es war auch kein unbedeutender Besuch; es hieß wohl das am deutlichsten die Anerbietung eines äußerlich guten Vernehmens thun. Sie hat das aber weder verstanden noch anerkannt noch erwiedert und so ists dabei geblieben. Es war auch das gar nicht ihre Absicht, wie Du sicher glauben kannst sonst würde ich um W[ilhelm]s willen gern dem geringsten Anschein von Hoffnung und Wiederherstellung die Hand geboten haben; sondern lediglich mich und W[ilhelm] zu trennen; weil ich der einzige bin dessen Einfluß sie bei W[ilhelm] für bedeutend genug hält, um ihn einigermaßen gefürchtet zu haben.
Daß sie alles auf die V[eit] zu schieben sucht als sei es ein Zwist zwischen dieser und ihr, nicht ursprünglich mit mir, in welchem Sinne auch W[ilhelm] Dir Winke gegeben hat – laß Dir doch ein einziges Faktum sagen [–] ist durchaus ungegründet und eine eigentliche Lüge, da sie selbst wissen muß, daß es nicht so ist, wenn sie nicht alles Bewußtsein verlohren hat. Das einzigemal das[s] etwas nicht sowohl einem groben Zwist ähnliches als eine Entfernung zwischen ihr und der V[eit] vorfiel, das war lange nach dem sie mir in dürren Worten alle Feindschaft angekündigt hatte, und die Veranlaßung eben daß sie ihre Wuth gegen mich gar nicht in Zaum halten konnte, und dabei die allergemeinsten Schicklichkeiten übertrat.
Wärst Du nur hier, so würde ich Dir leicht von allem einen klaren Begriff geben können[.]
Was die gewaltsame Einmischung in W[ilhelm]s Verhältnisse betrifft, so ists leicht mich davon zu reinigen. – Als ich nach J[ena] kam, war ich genug mit mir selbst beschäftigt. Es that mir aber wohl daß Kar[oline] und Schell[ing] mich um die Wette liebten bewunderten und beinah vergötterten. Ich sah auch wohl daß sie sich sehr interessirten, das fiel mir aber nicht auf, hatte doch Kar[oline] mit mir und später mit Hardenb[erg] in einem Verhältniß gestanden was bei aller Lebhaftigkeit bloß freundschaftl[ich] war, und dem mir dieses zu gleichen schien. So arglos war ich, daß ich wirklich als den Tag nach W[ilhelm]s Abreise nach Leipz[ig] geschah was ich nun wohl merken mußte aufs äußerste überrascht war. Ich würde nicht geschwiegen haben, aber Kar[oline] kam mir zuvor; ich fand das gut, und beruhigte mich völlig bei der lauten Verheißung daß alles bald nach Recht und Schicklichkeit verbunden und getrennt werden sollte – sprach also gar nichts darüber, so daß W[ilhelm] mir einmal ausdrücklich vorwarf ich triebe die Discretion ins Kolossale. Erst später als ich leider sah, daß das nur Lügen seien, und Kar[oline] beide behalten und beide benutzen wollte, und sah wie schrecklich W[ilhelm] dadurch zerrüttet ward und noch zerrüttet werden würde – Erst damals also fing ich an, mit W[ilhelm] über sein Verhältniß insgeheim zu reden, nicht aber ohne vorher leise angefragt zu haben, ob ihm solche Gespräche lieb sei[e]n. Weit entfernt das abzulehnen foderte er mich aufs lauteste auf damit fortzufahren, und gab mir die heiligsten Versprechungen niemals sollte es Kar[oline] gelingen, ihn mistrauisch gegen mich zu machen. –
Gegen Karol[ine]s Liebe zu Schell[ing] hätte ich nichts haben können, wär sie so grade gewesen wie Schell[ings]. Aber ihr krummes Wesen, ihre unlautere Künstelei sehen und alle Achtung vor ihr verlieren war freilich nothwendig eins und dasselbe. Du mußt hiebei bedenken, daß Kar[oline] mehr als W[ilhelm]s Frau für mich war, daß sie zugleich lange Zeit in einem nahen Verhältniß mit mir stand. Und der Teufel hohle solche Verhältnisse wenn man sich gar nicht um den andern bekümmern soll. – Du wirst um diesen plötzlichen Tod meiner Freundschaft für Kar[oline] zu erklären, mir erlauben voraus zu setzen daß es sehr edle außerordentliche Naturen giebt von so hoher Corruptibilität, daß sie sich in einem Moment vom guten zum bösen Princip wenden können. Solche sind Kar[oline] und Schell[ing]. Da ich kam, stand Sch[elling] besonders vielleicht in dem einzigen schönen Moment seines Lebens. Aber leider mußte auch sein Benehmen mir sehr misfallen und Thatsachen haben mich überzeugt, daß seine anfängl[iche] Unschuld und Rechtlichkeit bald verloren ging.
Läugnen will ich es nicht, daß ich aufs stärkste W[ilhelm]s Trennung von K[aroline] wünschte, daß ich mich in Hoffnungen verlohr über das neue Leben das ihm mit der Freiheit aufgehen sollte; daß ich laut und leise ihm dazu rieth, und bei der bewußten Gelegenheit sagte ich das alles Kar[olinen] sehr offen. Also hassen mag sie mich, wenn ihr das Ursach zum Haß ist, daß ich W[ilhelm] gern von ihr getrennt hätte, gern mehr dazu gethan hätte, hätte ich nur gekonnt. Also hassen mag sie mich nur lügen sollte sie nicht, wenn sie es anders lassen konnte, da es ihr bei der jetzigen Duplicität freilich zur andern Natur geworden sein muß.
W[ilhelm] und Schell[ing] hatten außer dem schweren Verhältniß beide eine sehr starke Antipathie gegen einander, die beide oft mit Ruhe eingestanden und oft sehr laut offenbart haben. Es gab also Scenen genug. Bei einer derselben foderte mich W[ihelm] gewaltsam auf, nun mich auf der Stelle entweder für Sch[elling] oder für ihn zu entscheiden. Ich stand aber nicht an, und war dadurch die Veranlaßung daß Sch[elling] nicht mehr an den MittagsTisch kam. Ohne Beleidigung von meiner Seite, ich sprach bloß nicht mit ihm und that als sei er nicht da; worin mir natürlich Dor[othea] und auch Tiecks folgten[.] Kar[oline] ging wüthend auf mich los, und da ich ihr mit grosser Gelassenheit offenherzig meine Denkart zeigte, so kündigte sie mir alle Freundschaft auf und alle Feindschaft an, und da sie bald danach krank ward, so gab sie nicht undeutlich zu verstehen, daß ich Schuld sei, und der Aerger sie krank gemacht. – Die Krankheit machte leider meine Hoffnungen zu nichte. Ich hatte gehofft jener Zwist sollte in der ersten Hitze zu einem solchen eclat werden, daß die bloße Nothwendigkeit des procédés das herbeiführte, was im Grunde für alle Theile das beste war. W[ilhelm] ist von der Seite des Mitleidens am leichtesten zu fassen. Kar[oline] gewann dadurch schon wieder festen Fuß, Zeit und spannte alle Kräfte an; und bald mußte ich zu meinem Erstaunen sehn, daß W[ilhelm] sich in dem Verhältniß der Unpartheilichkeit zwischen mir und Kar[oline] zu sein dünkte: Du kennst mich genug um zu wissen, daß ich nun zu stolz war, mich mit ihm zu erklären, und es mußte sich leider einige Verachtung in die noch übrige Theilnahme mischen.
Noch einen Umstand muß ich erwähnen der nicht wenig beigetragen Kar[oline] bei mir zu vernichten. Es war die Absicht die sie ohne Scheu an den Tag legte, Aug[uste] mit Schell[ing] zu verheirathen. Eine so bestimmte Absicht bei einem so jungen Mädchen in diesem Verhältniß erfüllte mich [mit] einem unbeschreiblich[en] Abscheu, wie Blutschande vielleicht die welche daran glauben. Ueber die Reinheit dieses Motivs werde ich mich nie vertheidigen. W[ilhelm] sprach oft mit gleichem Abscheu gegen mich davon[.]
Metadata Concerning Header
  • Date: [vor Mitte September 1801]
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 287‒290.
Language
  • German

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