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Friedrich von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Dresden den 25ten Februar 1802
Ich hatte vor einigen Tagen einen rechten Schrecken da ich mir Deine Einleitung zum Phaedr[us] nehmen wollte, sie noch einmal zu lesen, in Rücksicht auf die zum Parmenides, die ich eben niederschreiben wollte, und sie zu meinem Erstaunen nicht bei dem übrigen, was Du mir gesandt hast, fand. Ich hoffe nur, Du hast sie bloß vergessen; bei mir kann sie nicht verlohren gegangen sein. Alles hat sorgfältig eingewickelt und zugeschlossen gelegen, bis ich das Gesuchte vermißte.
Du wirst noch einige Kleinigkeiten angemerkt finden, von derselben Art meistens wie die auf welche Du schon Rücksicht genommen hast. – Sollte ich noch eine allgemeine Bemerkung für die Zukunft machen, so ist es, daß Du aus Furcht vor Hellenismen oft weniger concis bist, als Du sonst gewiß sein würdest.
Folgendes habe ich unterdessen beobachtet, vermuthet, ausgedacht und herausgebracht. Vom Parmenides fehlt nur der Schluß, oder richtiger wohl die ganze lezte Hälfte des Werks. Das zeigt sich deutlich aus dem Vergleich der dialektischen Massen über das ἑν [hen] mit der Anlage des Ganzen im προοιμιον [prooimion]. So schließt Plato nicht, am wenigsten wenn er so angefangen hat. Es ist als ob der Phaedrus etwa mit der ersten Gegenrede des Sokr[ates] gegen den Lysias schlösse. Ganz genau ist der Vergleich nicht, aber er macht deutlich, und hätten wir d[en] Parmenides ganz, so möchten wir ihn dem Phaedrus sehr ähnlich finden. Sichtbar ists noch jezt, daß er eben so sehr wie dieser auf die Methode ging, das ἑν und ειδος [eidos] pp sind wie dort Liebe, Besonnenheit und Wahnsinn. – So machen die drei wieder ein großes Ganzes Phaedr[us] Parm[enides] und Protagoras.
Vom Philebus scheint es mir eben so möglich daß er nicht vollendet sei, als daß das fehlende verloren sei. – Er bezieht sich offenbar auf die zweite Masse der Republik, aber so daß er auf diese gefolgt sein muß. Da Plato der Tradition nach in der lezten Zeit seines Lebens sogar an der Republ[ik] noch retouchirte, so hat dieser Gedanke um so mehr für sich. Daß er stückweise arbeitete, oft das spätere eher, sehen wir an den Fragm[enten] von Timaeos und Kritias.
Am Gorgias möchte ein προοιμ[ιον] [prooimion] gewesen und verloren gegangen sein. Am Kratylus kann vorn und hinten etwas verloren sein. – Die Stellen vom Euthyphron und Euthydemus sind Beziehungen auf das Verlohrne[.]
Euthydemus und Meno können nicht von Plato sein. – So wie im lezten gelehrt wird, denkt Pl[ato] nicht über die αναμνησις [anamnesis] und das εἰ διδαϰτον ἡ αρετη [ei didakton he arete], und so wie im ersten, mit dem ohnehin d[ie] Stelle im Kratylos im Streit ist, die der Verfasser des Euthyd[emos] eben so mißverstanden haben mag wie der des Euthyphr[on] die Erwähnung desselben im Kratyl[os] – kann Pl[ato] gegen die εριστische [eristische] φσ [Philosophie] nicht polemisirt haben, da wir in andern authentischen Werken vor Augen sehen wie er es thut. –
Vom Laches und Lysis läßt sich auch nicht behaupten daß sie vom Plato wären. Die übrig bleibenden schließen sich desto fester an einander.
I. Phaedrus, Parmenides[,] Protagoras.
II. Theätetus, Gorgias, Sophist und Politikus
III. Republik, Philebus, Timaeos und Kritias
Außerdem noch als eben so gewiß Symposium[,] Kratylos, Phaedros [recte: Phaedon]. – Aber diese schließen sich nicht so fest an, nirgends weder in sich noch mit jenen. – Sie sind gleichsam ausser der Reihe, wie Du meintest daß welche von den mir für unächt geltenden vom Pl[ato] geschrieben sein könnten. Aber im Styl und Methode, haben sie einen bestimmten Zeitcharakter[.] Phaedon gehört wenigstens danach zur ersten Epoche, Kratylos unstreitig zur zweiten. Der Gorgias ist nothwendig zwischen Theät[et] und Sophistes. Ich habe ihn darauf ganz eigentl[ich] noch einmal geprüft.
Kannst Du mir helfen, warum Parmen[ides] p.77. I[inea] 10. ἑπτα ἡμων [hepta hemon] steht, da doch nur fünf interlocutores genannt sind. Auch verstehe ich p.75. I[inea] 6. – αλλα συ μεν ειπες των συμβεβηϰοτων τι nicht. – Wie interpretirst Du das? –
Heute hoffe ich nun endlich gewiß auf den Protagoras.
Den Phaedrus schickst Du wohl gleich an Frommann, oder mir mit der Einleitung zurück? –
Ich gäbe in einer Rücksicht etwas darum Du wärest jezt nicht in Berlin. Dann wollte ich Bernhardi schriftlich auseinandersetzen welch ein ungeheurer Esel er ist. So muß ich aber fürchten, er macht Dir nur neuen Verdruß. Es kostet mich rechte Ueberwindung.
Du hast doch den Oktavianus nicht versäumt? Was hältst Du davon?
Dor[othea] hat Dich sehr lieb. Mit ihrer Gesundheit steht es leidlich. – Die Herz grüße und ich danke für Ihren Brief werde nächstens antworten. – Heute kann ich Eleonoren nicht schreiben, das wäre Sünde, Du siehst es gewiß gleich diesem eilfertigen Brief an. –
Ich umarme Dich herzlich.
Friedrich.
Die unächten Plat[onischen] Dialoge sind wahrscheinlich von sehr verschiednen Autoren; eine Parthie vielleicht vom Hermodoros dem Schüler des Pl[ato] der seine Bücher verkauft hat, geschmiedet. Dann mögen noch andre darunter gekommen sein die νομοι [nomoi] vielleicht vom Xenokrates, die schönsten kleinen vom Speusippus oder sonst einem zierlichen Philosophen.
Wie viel Zuhörer hat Fichte?
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 25. Februar 1802
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 333‒335.
Language
  • German

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