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Friedrich von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Dresden. Den 12ten April
Geliebter Freund,
Ich muß nur heute noch wenigstens einige Worte an Dich schreiben, um Dich in Berl[in] zum leztenmal zu treffen. Wir sind in Gedanken immer bei Dir und wünschen sehr, recht viel von Dir zu hören.
Fromm[ann] schreibt mir so eben, er habe eine Anweisung auf 80 Th[aler] an Dich geschickt. Hast Du sie erhalten? – In diesem Falle wünschte ich fast, daß die 200 Th[aler] von der L[evi] ganz nach Jena gingen; denn da es nun allgemein bekannt ist, daß ich nach Paris gehe, so ist es hohe Zeit die kleinen Schulden in Jena zu bezahlen. Frommann wünscht den 2ten Band bald auf den ersten folgen zu lassen. Liebster Freund, ich kann einmal nicht von meinem Eigensinn in Absicht der Aechtheit und Anordnung abgehen, und also wird bei der Stärke der Bände allerdings der Kratylos in den IIten Band kommen müssen, wenn Du es anders für möglich hältst ihn zu übersetzen; wenn Du es aber nicht kannst, so kann es niemand. Ich halte diese Aufgabe recht eigentlich für Dich geschaffen. Bei den Ableitungen aus dem Skytischen sollte ich meinen, müssen auch die hellenischen Worte selbst beibehalten werden, sonst aber deutsche Wortableitungen an die Stelle gesezt. Das ist freilich eine Unübereinstimmung; aber es kömmt doch überhaupt nur darauf an, ein Bild von dem Werke zu geben, das in der Reihe nach meinem Gefühl durchaus nicht fehlen darf. Ich bin neugierig ob Du bei genauer Lesung meine Vermuthung, daß wir nur ein Fragment des Werks haben bestätigt finden wirst.
Recht sehr wünschte ich, daß Du mir alle Conjecturen die Du etwa machtest zu den 16 Dialogen meines Kanons in der Folge immer mittheiltest. Besonders zum Philebus und Politicus scheinen sie mir von nöthen. Zunächst freilich zu d[em] lezten; ich könnte fast wünschen, daß Du ihn gelegentlich einmal eigends darauf durch gingest.
Unstreitig fehlt der dritte Theil des ganzen Werks wo der Philosoph nun nach dem Sophisten und Politikus construirt werden sollte. – Ich halte dieses jezt für eins der kunstreichsten und gelung[en]sten Werke des Pl[ato] und wollte man bloß auf die erste Kategorie sehn, so dürfte ich ihm fast die erste Stelle einräumen. Der Kritias enthält durch ihn ein neues Licht. Denn offenbar war er bestimmt, die schon im Pol[itikus] befindliche Andeutung einer im Gegensatze der künstlichen mit der ὑφαντιϰη [hyphantike] verglichnen aristokr[atisch] -natürlichen oder göttlichen mit der Hirtenkunst vergleichbaren königlichen Poli[ti]k der ältesten Zeit [auszuführen]; so wie in der Repub[lik] die Andeutung der ersten im Poli[ti]k[us] vollständiger ausgeführt ist. In [den] 2ten Band kämen also – Theätetos, Gorgias, Sophistes, Polit[ikus] und Kratylos. – Wolltest Du auch noch den Gorgias nehmen, oder soll ich ihn behalten?
Nur bitte ich nochmals, mich mit Conject[uren] zu unterstützen. Beim Soph[istes] habe ich das Bedürfniß nicht so gefühlt, doch ist das noch gar kein Beweis, daß sie nicht auch da sehr nöthig seien. Es ist mir wohl manchmal etwas der Art eingefallen; aber eigentlich habe ich einen sterilen Kopf dazu.
Nun ist Karoline in Berl[in]. Was schafft sie und was brütet sie?
Das neue System von Schelling habe ich dieser Tage gelesen und bin ordentlich erschrocken es so zu finden. Noch nie ist die absolute Unwahrheit so rein und deutlich ausgesprochen es ist wirklich Spinosismus, aber nur ohne die Liebe d.h. ohne das einzige was ich im Sp[inosa] werth halte. Es ist nun das wovon die Leute so lange gesprochen und danach getrachtet haben; ein System der reinen Vernunft, der ganz reinen nämlich wo von Fantasie Liebe, Gott, Natur, Kunst kurz von allem was der Rede werth ist, gar nicht mehr die Rede sein kann. Persönlich ists Schell[ings] Leztes. Aus diesem bodenlosen Nichts, dieser vollendeten Erkältung gibts keinen Rückweg, wenn man sich selbst so hineingearbeitet hat. Fichte hat Recht, es unbedingt zu verachten. Es versteht sich daß dieß alles nur von dem Reinphilosoph[ischen] gilt, was auf wenigen Blättern enthalten ist[.] Nachher in den Gedanken von Materie, Magnet Licht Eisen Stickstoff und Kohle – und wirklich ist auch alles {rein} {ein} Kohl oder Salat aus Steffens und Ritter und Goethe – ist wie natürl[ich] gutes und böses gemischt, denn hier ist wie bisher fast nichts eignes, das erste dagegen ist durchaus eigen. Ich habe so weitläuftig davon geschrieben, weil ich denke, Du ließt es doch auch wohl bald, und dann bitte ich Dich mir recht umständlich davon zu schreiben. – Bei solchen Gelegenheiten bekomme ich allemal rechte Lust, einige ordentlich[e] philosophische Quadersteine in die Welt zu setzen.
Noch eine Kleinigkeit. Hast Du keine Gelegenheit gefunden, die Rüstung zu schicken, so gieb sie wieder an Veit. Vielleicht bringt dieser sie dann zur Messe, daß Phil[ipp] doch noch ein paar Tage in Leipz[ig] und Jena die Freude daran hat.
An wen soll ich meine Briefe richten, während Du in Schlesien bist? – Wann wirst Du gewiß schon in Pommern sein?
Meine herzlichen Grüße an Eleonoren.
Friedrich.
Noch bin ich mit dem Plato nicht fertig; aber das Ziel ist nahe, ich arbeite unermüdet.
Noch eine Plat[onische] Notiz. – Im Πολιτιϰος [Politikos] sind die παραδειγματα [paradeigmata] von der ὑφαντιϰη [hyphantike] und αγελαιοτροφιϰη [agelaiotrophike] besonders groß und wichtig. Sie scheinen mir gleichsam einen Uebergang aus seiner διαλεϰtik [dialektik] zu den Mythen zu bilden. Das in der Republ[ik] Vll. init[io] hat schon ganz mythischen Charakter.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 12. April 1802
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 353‒355.
Language
  • German

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