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Dorothea von Schlegel to Helmina von Chézy

Paris Montag früh
Wir haben Sie gestern mit so vieler Gewißheit und dennoch umsonst erwartet, liebe Freundin! wie war’s denn, versprachen Sie nicht am Sonntag in Paris zu seyn? ich will nicht hofen daß Sie nur die Kirche und nicht auch die Freunde besuchten; unmöglich kann Helmina Liebe und Freundschaft von ihrem Gottes Dienst trennen! (Nebenher will ich es Ihnen doch nicht verhehlen welch eine Freude ich und Friedrich damit haben, daß Sie so gar nicht von der einseitigen Mode der Aufklärung angesteckt sind!) Waren Sie wirklich nicht in Paris gestern? haben Sie die Feten nicht gesehen, oder hatten Sie eigne in Versailles? Wir waren gestern mehr als je zu hause und einsam. die Ilumination haben wir bloß an den Lampen am gegenüberstehenden Hause bewundert. Friedrich war nicht wohl, wollte nicht ausgehen, und so blieb auch ich in mein Kämmerlein. Aber wissen Sie wohl daß es von Ihnen Pflicht war die Feten zu sehen? wer so gut zu sehen und so gut zu erzählen weiß als Sie, darf nichts versäumen.
Haben Sie noch nicht wieder auf Mittel gedacht wie wir uns zusammen häußlich einrichten könnten? Unser ganzer Sinn steht jetzt darnach recht viel mit Ihnen zusammen zu seyn. Diesen und den andern Monat werden wir wohl noch unsre Pension behalten müßen, denn man muß immer einen Monat vorher bezahlen und aufsagen. Aber alsdenn werden wir auf keinen Fall länger bleiben. Denken Sie sich ja etwas hübsches für unser Zusammenseyn aus! Liebe Helmina, es ist vielleicht Ihnen nicht eben solch Bedürfniß mit mir zu seyn, als es mir ist mit Ihnen zu seyn – Ich bin Ihnen recht herzlich gut – und habe mir schon in Gedanken allerley reizende Abende ausgedacht die wir zusammen im winter mit vaterländischer Poesie zu bringen wollen; und im Herbst mit kleinen Fußreisen und Spaziergängen, und wie wir alles gemeinschaftlich treiben, und uns alles mittheilen wollen – wenn es nur wahr würde! aber leider habe ich in meinem Schicksale etwas ähnliches vom malencontreux der Madame Genlis – meine schönen Bilder der Zukunft wollen sich selten zur Wirklichkeit bringen lassen – ich schließe mich aber immer nur um so inniger an die Fantasie, und lasse diese meine Wirklichkeit seyn, anstatt mich einer wirklichen Wirklichkeit sklavisch zu verkaufen, die mir nun einmal nicht ansteht – und darum nennen meine Freunde mich eine Phantastin – könnten Sie liebe Helmina mit dieser gutmütigen malencontreuse gern leben? –
Wir wissen nicht ein Wort von Schweighäuser, war er in Versailles? ist er seit den Donnerstag da geblieben? wir hoften sehr ihn zu sehen – ich möchte die Leute denen ich gut bin immer in meiner Nähe wissen, oder doch wenigstens etwas von ihnen hören; darum liebe ich die kleinen Städte so; ich wollte wohl, wir könnten uns in Paris eine Art von kleiner Stadt bilden von lauter Freunden, wo wir denn die Neuigkeiten der großen Stadt um uns bloß wie durch Zeitungen erführen – Sehen Sie wieder die Phantastin!
Lassen Sie uns recht bald von Ihnen hören theure Helmina! oder besser noch lassen Sie uns bald Sie sehen. Schreiben Sie uns ein freundliches wort, wie es Ihnen ergangen ist, und was Sie vorhaben.
Ihre Dorothea Schlegel.
Friedrich legt sich Ihnen zu Füßen, und grüßt Sie herzlich und freundlich. Wollen Sie uns dem Grafen d’Escherny empfehlen?
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 19. Juli 1802
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Helmina von Chézy ·
  • Place of Dispatch: Paris · ·
  • Place of Destination: Versailles · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 26. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Pariser und Kölner Lebensjahre (1802‒1808). Erster Teil (Juni 1802 ‒ Dezember 1805). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hans Dierkes. Paderborn 2018, S. 4‒5.
Language
  • German

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