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Friedrich von Schlegel, Dorothea von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Paris den 15ten Sept. 1802
Herzlich geliebter Freund,
Du bist der erste der unsrigen, dessen Rede ich hier vernommen habe. Du hast mir eine große Wohlthat dadurch erzeigt und keine geringe Freude gemacht. Auch war es mir lieb von Dir selbst nichts als gutes zu hören. Ich gestehe ich Dir daß ich bisweilen mit einiger Sorge an Euch dachte; ich glaubte immer, die Trennung der äussern Verhältnisse würde Eleonoren vielleicht mehr Verdruß verursachen als Ihr erwartet. Wie glücklich daß dem nicht so ist; es ist unmöglich sich ganz zu denken wie Liebende sind, aber meine herzlichsten Wünsche sind immer bei Euch, d.h. meine Liebe, und so laßt auch meiner bisweilen in Liebe unter Euch gedacht werden.
Mit unglaublicher Treue und wirklich mit Aufopferung zwischen allen Sorgen, Zerstreuungen und neuen Gegenständen, hab’ ich den Plato hier noch einmal ganz durchgelesen, ganz und mit dem größten Rigorismus. Du kannst daraus schon schliessen, daß ich eben noch nicht lange und nur mit genauer Noth fertig bin. Ich denke Du wirst auch mit den Einleitungen zum Parmenides und Phädon zufrieden sein. Sie sind vorangegangen und ich habe Frommann aufgetragen sie Dir gleich in Abschrift zu schicken. Hat dieser unterdessen die Geduld verloren, so mag ihm Gott helfen, denn diese ist doch das einzige was er dazu geben kann. Aber das Werk geben wir doch nicht auf, und wenn wir auch wollten wir könnten es nicht. Ich meine, wir lassen gewiß nicht ab, den Plato zu verkündigen und wie sichs gehört jeder auf seine Art zu bearbeiten; und was wir in diesem Sinne bilden wird gewiß eines sein, wenn es auch nicht beisammen steht. Laß also auch auf den schlimmsten Fall dieß keinen Vorwurf gegen mich sein, daß ich ich diesem Falle nur Zeit und alles beste was ich habe nur nicht meinen Eigensinn aufopfern konnte! – Lieber Freund, daß der Parm. nur ein Bruchstük, und die lezte grössere Hälfte des Timaeus unächt und neuplatonisch sei, beides gehört zu dem gewissesten. Wie wird es mit dem Kratylos, bester? – Traurig und hart wär’ es mir ihn weit weg verwiesen zu sehn, denn er ist bestimmt vor dem Sophisten zu setzen, wie ich nun nach nochmaligem Studium gewiß weiß. – Nun einige Notizen von hier. Wolf will grade die vier Dialogen herausgeben, die Heindorf edirt hat, und läßt dazu hier conferiren; es muß ihm sehr daran gelegen sein, denn er läßt sichs schweres Geld kosten. Die Absicht kann doch kaum eine andre als eine feindseelige sein. Heind. hat mir seinen Pl. übrigens nicht geschickt, was schlecht ist. Die Codices hier sind wie mir Bast versichert – bei weitem nicht so wichtig, wie die florentinischen. Der beste ist einer von zweien die aus Venedig hergebracht sind. Ich will sehen, ob ich nicht wenigstens für den Sophist und Politicus Zeit gewinne meinen guten Willen auch von dieser Seite zu zeigen. Bast hatte alles an Wolf geschikt, sonst würde er mir wie er mich versichert, gern die wichtigsten Varianten mitgetheilt haben.
Du willst meine Gedanken vom Bruno wissen. Er hat mir nach dem vorhergegangnen System gefallen müssen – denn was schiene nicht nach dsm erquikend, und auch in Rücksicht auf die dialogische Kunst. Er ist freilich ein ganz schwacher erster roher Versuch. Aber ich hoffe er soll bald bessre hervorbringen. Ich hoffe Du wirst Deine Lieblingskunst nicht lange in solchem schwachen Zustande sehen können, ohne selbst Hand ans Werk zu legen. Was mir in dieser Rücksicht besonders auch misfällt, ist daß er nicht bestimmte historische Personen hat. Bruno selbst, andere Italiänische Philosophen Künstler und Antiquare, das wäre ein vortrefliches Symposium gewesen und grade Schelling sehr angemessen aber freilich hätte dazu mehr Zeug sein wollen als er so nöthig gehabt hat; es ist reine Asthenie daß er es nicht gethan. Ich fodre unnachläßlich historische Personen und zwar aus der modernen Zeit zu einem dialogischen Kunstwerk. Auch die Gnostiker glaube ich könnte man recht gut alles in unsrer φσ sagen lassen, was wirklich gut ist. – Der Mystizismus in Schelling hat mich oft zu lachen gemacht; er ist grade wie das Romantische in Schiller’s Johanna.
Nun noch eine große Bitte. Gieb mir Beiträge zu meiner Europa, damit wir doch in der großen Ferne auch dieses Band der Correspondenz mehr haben. Wenn Du etwas einmal provisorisch schreiben wolltest, über Politik, Moral Grammatik oder Mathematik; alles das wäre mir höchst willkommen, in jeder Form die Du willst. Ist dazu keine Aussicht? – Denke darüber nach und schlage es mir nicht ab. 
Von uns schreibe ich Dir nichts, als daß Dor. Dich herzlich grüßt und fleißig ist; ich kann noch nichts bestimmen, also wißt daß wir Freude Liebe und Sorge vollauf haben.
Friedrich Schl.
Ich lese seit ich hier bin schon alles was von Dir gedruckt ist. Das ist recht reizend und eigen hier im Sande so Deutsche Luft zu athmen. – Nichts hassen die Affen hier mehr als Kritik nämlich ächte historische. Wolf ist verhaßter als Kant.
[Dorothea Veit:]
Ich grüße Sie eigenhändig schreibe Ihnen ein andersmal selber, nicht heute; aber wir denken oft mit tiefer Sehnsucht an die deutschen Freunde
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 15. September 1802
  • Sender: Friedrich von Schlegel · , Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Paris · ·
  • Place of Destination: Stolp · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 26. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Pariser und Kölner Lebensjahre (1802‒1808). Erster Teil (Juni 1802 ‒ Dezember 1805). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hans Dierkes. Paderborn 2018, S. 24‒26.
Language
  • German

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