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Friedrich von Schlegel to Georg Andreas Reimer

Paris d.16ten Sept. 1802.
Werthester Freund, ich hätte Ihnen freilich schon weit früher Nachricht von mir geben sollen, aber Sie wissen, wie schwer einem das wird in einer neuen Welt, und das ist Paris jezt wirklich für die Kunst besonders. – Ich gedenke oft an meine Deutschen Freunde und erinnere mich mit Vergnügen an die freundschaftlichen Stunden, die wir in Leipzig zusammen zubrachten. – Die ersten Wochen hier gingen hin, ohne daß ich meine alte Arbeit fortsetzen konnte; dann hab’ ich noch schrecklich viel Zeit und Arbeit an den Plato wenden müssen. Endlich sehe ich Luft und werde mich bald mitten in meiner liebsten Beschäftigung, ich meine im Dichten befinden. Ich habe sowohl den Plan zu dem Homo nun völlig ausgearbeitet, und eben so auch zu dem musikalischen Trauerspiel. (Der Plan ist bei mir das langsamste u schwerste). Beide haben mich sogleich sehr angezogen, daß ich eine Zeitlang zweifelhaft war, welches Stück ich Ihnen eher schicken würde. Jezt glaube ich doch, daß es der Homo sein wird, meiner anfänglichen Absicht gemäß. Ich kann und mag jezt nichts versprechen, als daß Sie beide Werke gewiß zur O.M. mit richtiger Zeitigkeit erhalten, das erste gewiß noch in diesem Jahre, das andre aber auch zeitig genug. – Der Titel des Homo wird vielleicht nicht ganz so bleiben können, wie wir ihn in den Katalog gesezt haben. – Sortire aus und für das Zeitalter wird so gut als garnicht darin sein.
– Meine direkte Adresse hier ist; rue de la victoire, pres de celle de Montblanc nro. 2. chez Mr Pobecheim. – Schreiben Sie mir recht bald, werthester Freund, und geben Sie mir mehr auch Nachricht von deutscher Litteratur. Ist Fichtes Wl. erschienen? Ist Hoffnung Schleierm. Kritik der Moral bald zu sehen? Es wird ein festlicher Tag für mich sein, wo ich das erste deutsche Buch hier erhalte. [–]
Keinem sehe ich aber mit solcher Ungeduld u Erwartung entgegen, als dem 2ten Teile des Novalis. Werthester Freund, treiben Sie, drängen Sie Tieck ohne Unterlaß u unermüdlich u. immer wieder von neuem. Sonst komme ich eilends nach Deutschland zurück u vollende, was ich so äußerst ungern unvollendet zurückließ. [–]
Wie geht es Schleiermacher? – Rückt Süverns Uebersetzung des Sophokles vor? Sehen Sie meinen Bruder? – Wie hat das Publicum den Alarkos aufgenommen? – 1 Velin und 1 andres Exemplar des 2t Novalis schicken Sie mir doch –
Die Aendrung die ich im Plan und also auch im Titel des Homo zu machen für gut fand, besteht darin, daß, was nach meiner ersten Idee Prolog u. Epilog sein sollte, nun in dem Stücke selbst vorbereitet ist. [–]
Ich sollte Ihnen nun von hier aus Beschreibung und Nachrichten geben, aber der Gegenstände sind fast zu viel, und der Charakter besteht aus lauter Negationen; keine Fantasie, keine Kunst, keine Liebe, keine Religion – das heißt also ziemlich Null nach allen Seiten hin. Indessen ist doch die Vollendung dieser Nullität merkwürdig und beinahe angenehm, wenn man an den Mischmasch und die Halbheit denkt, die in unserem Vaterlande das der Masse nach herrschende Princip ist. Leben Sie recht wohl und erhalten Sie uns Ihre Freundschaft. Meine Frau empfiehlt sich Ihrem Andenken. Möchten Sie einmal des Abends bei uns hereintreten wie in Leipzig.
Ihr
Friedrich Schl.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 16. September 1802
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Georg Andreas Reimer ·
  • Place of Dispatch: Paris · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 26. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Pariser und Kölner Lebensjahre (1802‒1808). Erster Teil (Juni 1802 ‒ Dezember 1805). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hans Dierkes. Paderborn 2018, S. 28‒29.
Language
  • German

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