Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Friedrich von Schlegel to Johann Wolfgang von Goethe

Paris. den 26ten Septemb 1802
Verehrungswürdiger Freund
Noch oft habe ich an die gütige Aufnahme gedacht, durch die Sie mir meine lezten Tage in Deutschland bei der Durchreise durch Weimar so angenehm machten und an das Schauspiel durch welches ich daselbst überrascht ward. Die vortrefliche Anordnung des Ganzen, die gute Declamation der Verse, Costum Decoration und glückliche Action mußten bei der Darstellung des Alarkos auf Ihrem Theater einen Totaleindruck in mir erzeugen, der mir unvergeßlich sein wird und von dem ich nur wünschen kann, daß ihn noch andre außer mir gleichfalls erfahren haben. – Es hat mir sowohl bei der ersten Anschauung als auch der weitern Reflexion doch geschienen als läge der 2te Act dem Schauspieler und selbst dem Zuschauer zu schwer auf; ich habe einige Zusätze und Aenderung der Eintheilung ausgedacht, welche diesem Uebel, wie ich glaube, abhelfen würden. Es war allerdings meine Meinung, daß dieser zweite Akt ein ununterbrochnes und unbewegliches Stück von Leiden und Verbrechen sein sollte, und ich habe aus der Anordnung des Ganzen bei der Darstellung geschlossen, daß Sie diese Absicht nicht gemißbilligt haben. Ich glaube jedoch, was hieran wesentlich ist, würde nicht zerstört werden wenn ich S. 51. Zeile 17 von o. mit dem Verse;
„Wohin sie mich geladen, werd’ ich willig gehn.“
den 2ten Akt schlösse, und hier zu Eröffnung eines 3ten Akts zwei Scenen einschöbe, die welchen die Katastrophe die nachher von der Infantin und von dem König gemeldet wird, zwar nicht selbst dargestellt aber doch vorbereitet würde durch Darstellung der Momente die ihr ungefähr vorhergegangen sein müssen. Ich wünschte recht sehr hierüber Ihre Meinung zu wissen und wenn es der Fall ist, daß der Alarkos vielleicht noch in der Aufführung wiederhohlt werden kann, so würde ich Ihnen zu diesem Behuf die vorgeschlagnen Aenderungen oder vielmehr Zusätze in Mscrpt zusenden.
Herrn Prof Meyer bitte ich mich zu empfehlen und ihm für die mitgegebne Addresse zu danken. Man verschafft jezt den Gemählden hier vielerlei Motion. Man stellt sie aus und nimmt sie wieder weg, man wählt eine große Menge sehr wichtiger für St Cloud und die Thuillerin aus und giebt einige andre zurück, man putzt und retouchirt die meisten und andre werden für die Departements ausgeschossen; unter diesen leztern befinden sich, wie mich Visconti versichert, auch viele Perugins, vermuthlich weil sie für Paris nicht gut genug sind. Aus alle dem folgt zur Genüge, daß es unmöglich sein wird, alles zu übersehen was hier ist und es im Auge zu behalten. Und ich fürchte sehr, das ist eben die Absicht, daß man das nicht soll. Es ist gar kein Grund da, um vorauszusetzen, daß jetzo nicht noch immerfort geschehe, was bei der ersten Okkupation in Italien so sehr stark geschehen ist. Ich bin im Gegentheil geneigt zu glauben, daß man in 10 oder 20 Jahren gar manches wichtige Gemählde vergeblich hier suchen wird, dessen wir uns jezt noch hier erfreuen. Sie werden mich verstehen – ich habe absichtlich diesen Brief gewählt, um Ihnen dieses mitzutheilen, da sich doch nicht öffentlich davon reden läßt. Wo dieses aber der Fall sein darf, werden Sie was ich hier beobachte, lerne, finde und benutze in einer Zeitschrift beisammen finden, die Wilmans in Fkft Ihnen mit Anfang des nächsten Jahres zuschicken, und die vorzüglich mit dazu bestimmt ist. Ich werde alle Mittel, die mir mein hiesiger Aufenthalt dazu giebt, anwenden, um dieser Zeitschrift ein allgemeines Publikum zu verschaffen, und ich bitte Sie im voraus um eine gütige Aufnahme für dasselbe. Die Gesinnung ist unverändert die alte, mit dem Tone des Ganzen hoffe ich werden Sie zufrieden sein; sollte es daher die Gelegenheit mit sich bringen, daß Sie eine Nachricht, Ankündigung oder was sonst nur in einer Zeitschrift an seiner Stelle steht, für eine solche bestimmten, so würde es mir nicht anders als sehr schmeichelhaft sein können, wenn Sie diese dazu wählen wollten.
Unter den hiesigen Gelehrten sind mir keine schätzbarer als die Physiker und die Orientalisten; unter den ersten ganz besonders Cuvier, dem nur das fehlt, daß er kein Deutscher ist. Ich vertrage mich aber auch mit allen andern recht wohl, selbst mit den Philosophen, oder Ideologisten, wie sie sich jezt heißen; denn wirklich ist ihre Lehre neuerdings gleichfalls nur eine Theorie des Bewußtseins, aber freilich nur des französischen Bewußtseins, in welchem wie man eben aus dieser Construction ersehen kann, einige Artikel gar nicht vorkommen mögen, als produktive Anschauung, Fantasie und dergleichen.
Die Deutschen hier würden mehr geachtet sein, wenn sie besser zusammenhielten. Es ist aber alles voll kleinlicher Rücksichten die das Gute hemmen.
Ich bitte um die Fortdauer Ihrer freundschaftlichen Gewogenheit und hoffe daß Sie stets so gesund und froh leben mögen, als es Ihnen wünscht
Ihr
aufrichtiger Verehrer und Freund
Friedrich Schlegel.
Meine Addresse ist an Herrn Buchhändler Wilmans in Francfurt am Mayn, der mir alle Deutsche Sachen und Briefe hieher besorgt. –
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 26. September 1802
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Johann Wolfgang von Goethe ·
  • Place of Dispatch: Paris · ·
  • Place of Destination: Weimar · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 26. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Pariser und Kölner Lebensjahre (1802‒1808). Erster Teil (Juni 1802 ‒ Dezember 1805). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hans Dierkes. Paderborn 2018, S. 34‒36.
Language
  • German

Weitere Infos ·