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Dorothea von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

Ich habe noch immer nicht gelernt, das was mir angenehm ist, als nothwendig anzusehen, darum bin ich noch immer nicht dazu gekommen Ihnen zu schreiben. Jetzt aber soll und muß es geschehen, seit einigen Tagen drängt es mich gewaltig, es länger nicht zu verschieben, und so verschiebe ich es auch länger nicht, unbekümmert wann der Brief fortgeschickt wird, darum werde ich das Datum auch erst beim wirklichen Abgang anmerken. Ich könnte Ihnen recht viel sagen theuerster Freund, sehr viel erzählen; zu viel! denn wo soll ich anfangen, und was erzähle ich zuerst? es geht mir wie einem der viel Schulden, viel Ausgaben zu bestreiten hat, und der nun eine kleine Summe erhält, mit der er nur einen Theil bestreiten kann; was macht er zuerst? Die Herz hat Ihnen geschrieben daß es uns hier nicht gefiele; daran hat sie Recht, und doch nicht Recht; denn sie kann es eigentlich nicht wissen in wie fern es uns gefällt oder nicht, weil sie es nur durch Veit weiß, dem mußte ich Anfangs viel klagen, weil e[r] [m]ich mit Geld versorgen mußte. Wir k[a]men von Dre[sden] aus den Armen der schwesterlichen Liebe, [v]erließen Tiecks [(]die wir nun erst recht lieb gewonnen haben) die Natur, und die Kunst, und kamen nach Paris, mit der Erwartung hier wenigstens einen Theil dieser Herrlichkeiten wieder zu finden. Von der Natur nahmen wir an der Grenze Deutschlands, am göttlichen Rhein, Abschied. Von den Freunden in Paris, von denen wir so viel gehofft, (wir waren in Dresden verwöhnt worden) mussten wir auch bald Abschied nehmen, denn wie sehr hatten wir uns verrechnet! Die Pobecheim ist recht liebenswürdig, recht gefällig und artig; aber sie hat keinen Begriff für das was wir bedürfen und keinen Sinn für das was sie von Uns haben kann – so viel sie Uebrigens vermag und verstand hat sie für uns gethan, und immer hat sie sich schwesterlicher betragen als Henriette, die sich Gott weiß wie wunderlich betragen! Mein Bruder Abraham ist ein gefühlloser Barbar, und um nicht ein Haar besser als jeder junge Berliner Jude, nur daß er noch feinere Wäsche, und noch gröbere Arroganz besitzt; eigentlich begreif ich nicht lieber Schleyermacher, wie sogar Sie so viel aus ihn machen konnten? jeder Commis eines ordentlichen Hauses in Paris, ist artiger und gebildeter als er, wenn er Ihnen allen in Berlin fein vorgekommen ist, so ist es nur weil die andern Berliner noch gröber sind, hier nimt er sich sehr tölpisch aus; wir brachen (nemlich ich brach) gleich Anfangs nach der ersten entrevue wieder mit ihm; wir waren also ganz allein), und ohne Trost, und ohne Geld in dem Paris, wo uns Anfangs alles weit theurer, weit schwieriger, und weit ungeheurer erschien als es wirklich ist, wenn man sich erst hat finden gelernt! was Wunder also daß es uns nicht gefallen konnte, wenn wir noch die recht schmerzhafte Sehnsucht nach den deutschen lieben Freunden dazu rechnen, von denen man uns hier so ganz das Gegentheil zeigte. Es war als ob es die Leute darauf angelegt hätten uns Paris zuwider zu machen, denn sie haben uns nicht allein alles allein suchen und schaffen, und uns betrügen und irren lassen, sie haben Alles wonach wir fragten so schwierig und so unmöglich geschildert, daß wir, ehe wir mit eignen Augen sehen konnten es für ein platte Unmöglichkeit hielten durch zu kommen. Sie berechneten alles n[ach] ihrem Maßstabe der reich scheinend müßenden, um reicher zu werdende[x] [xxx] Banquier Fuß, und hatten für eine andre Lebensart gar keinen tarif. In der Angst weil man Alles so ungeheuer theuer angab, gaben wir uns in eine sehr theure Pension, und jetzt zeigt es sich, daß wir mit dem Gelde daß wir hier zu viel bezahlt haben, uns nach unsre Art hätten recht gut selber einrichten können; nun wir dahinter gekommen sind, fehlt es uns wieder an Geld; doch wollen wir das äußerste thun und versuchen; in einigen Tagen wollen wir uns auf unsre eigne Hand einrichten und sehen wie weit wir kommen. Damit Sie sehen wie wohlfeil man hier seyn kann, wenn man sich einrichten kann: wir haben in eine der schönsten Straßen in Paris, in einem großen Hotel, wobey ein sehr großer Hof, großer Garten, und orangerie Haus, im zweiten Stockwerk, eine Wohnung von drey Zimmer, und ein Kabinett, für 500 francs jährlich das sind 125 Th sächs. – Mann hat uns hier so wenig beigestanden, daß wir noch nicht einmal haben dazu gelangen können uns trauen zu lassen; man hätte es durch einen Gang beim Preuss Gesandten vermitteln können daß er mir ein zeugniß gebe, daß ich nicht mehr verheyrathet bin – jetzt muß ich da wir keine Bekantschaft beim Gesandten haben, ein solches certificat schaffen, und wie soll ich das machen? von V. kann ich es unmöglich fordern. – Uebrigens ist Paris als große Stadt ganz herrlich, und gewiß giebt es keine in welcher ich lieber leben möchte; Schon die großen prerogative eines Fremden, daß er zu jeder Stunde, und ohne die geringsten Kosten alles merkwürdige hier sehen kann, und daß ihm Alles offen steht, ist ein großer Vorzug. Daß wir die schönsten Stunden bey den Gemählden und Kunstsachen zubringen, werden Sie sich gewiß denken. Friedrich hält auch hier eine deutsche Vorlesung über deutsche Litteratur; er hat viele Zuhörer, von denen aber nur 20 ungefähr bezahlen; wenn er nicht seinen Saal theuer bezahlen müßte, würde er doch eine hübsche Einnahme haben, denn es bezahlt jeder 2 Carolin aber so wird wenig Geld dabei gewonnen, aber Friedrich thut es gern, und es wird ihn auch hier in großen Ruf bringen, und sehr bekannt machen. Wer in Paris nur einmal durchgedrungen ist, der ist geborgen. Es sind eine Menge Deutsche hier, und an allen Ecken findet man alte Bekannte. Wir leben fast unter lauter Deutschen, die man hier erst recht schätzen lernt, denn wie dumm die Franzosen sind, das ist unglaublich! wenn man nichts mit Ihnen zu thun hätte so wäre es ein herrlicher Spas sie zu sehen und zu hören. Was weiter von uns zu sagen, und wie wir uns tummeln und was wir thun, und was wir lassen, siehe das steht geschrieben in der Europa! Wir lassen es uns herzlich sauer werden! mir reißt oft die Geduld, wenn es manchmal mit aller Anstrengung nicht gehen will, und ich es so gar nicht dahin bringen kann, daß der Friedrich ein paar Jahre sorgenfrey leben und denken könnte! Friedrich zeigt sich aber in dieser sorgenvollen Zeit groß, und immer liebenswürdiger; er hat große Geduld mit mir, und weis immer einen Trost aufzufinden, der mich beruhigen muß. Täglich fühl ich mich in der Seele mehr und näher an ihn gezogen, und recht fühle ich das Glück mit ihm zu leben. Wie sehr bedauern wir Sie lieber Freund daß Sie noch allein sein müßen! es ist recht hart – aber auch wie allein sind Sie! und die arme Leonore so allein, die arme Jette so mehr noch als allein, in schlechter Gesellschaft! welcher Sturmwind hat Euch arme Menschen so auseinander gejagt! Sie schreiben uns doch gewiß gleich wenn Leonore bey Ihnen ist? (Schelten Sie den Friedrich nicht so wegen des Platos, der arme Mensch thut was er kann, und mehr als er sollte; ihr Herren habt gut Reden, die ihr Nicht für das tägliche Brod zu sorgen habt, und in aller Ruhe ein Stück fertig machet - Frommann hat sehr Unrecht – man thut wohl etwas mehr als seine strenge Pflicht für ein Werk wie dieses, wenn man es nicht für seine Pflicht hielte den Autor zu hudeln; ich kenne diesen sanften Herrn Fromman! Noch haben die Buchhändler, nach dem Zeugnisse Aller keinen Schaden an Friedrich und sie könnten ihm wohl einige Freyheit gestatten; er muß sich gar wunderlich drehen; das bedenkt aber keiner von den Herrn, und gewiß ist auch keiner von ihnen der so viel arbeitet als er, und so wenig davon hat. – Philipp wird ein braver Mensch, wenn V. ihn uns ließe das wäre herrlich. In V. seiner Wirtschaft würde er gar nicht mehr passen, er ist schon so romantisch und so künstlerisch, daß wir unsre Freude an ihn haben; dabey gewinnt er die Liebe aller seiner Lehrer. Neulich sagte mir der Direktor der Schule in welcher er geht: „sa plus grande faut est, d’etre presque trop modeste!“ – „que cette faute soit la seule“, sagte ich ihm „de la quelle vous veuillez bien ne le point corriger!“
er ist wirklich ein liebliches Kind, und unser rechtes Ergötzen. Friedrich bekömt ihn auch täglich lieber. Zum Zeichnen zeigt er jetzt viel Talent; es kann vielleicht etwas aus ihn werden! wenn er nur gesünder wäre, er hat erst kürzlich wieder einen heftigen Anfall von Ruhr gehabt, der ihn sehr angriff. – Was meynen Sie zu dem Streit von Wilhelm mit der ALZ? ich für mein Theil halte es nicht für schiklich daß er sich so empfindsam mit hinein mischt, es war durchaus Schellings sache, sich scharf, und trocken, und medicinisch zu vertheidigen, wie er medizinisch angegriffen ward, ohne alle Sentimentalität. Friedrich ist nicht ganz meiner Meynung, aber ich fürchte so wie es jetzt ist wird wieder ein häßlicher esclander daraus wobey doch ein jeder der es liest, denkt was er will. Warum sind Sie so sehr dagegen daß Friedrich etwas in Vermehren seinen Almanach giebt? Was geht einem die Nachbarschaft in einem Almanach an, es singt jeder sein Lied, und keiner redet mit dem andern, oder inkomodirt den andern; man steht ja auf keine Weise für seinen Nachbar Vermehren verdient es in mehr als einer Rücksicht sehr wohl, daß man sein Unternehmen unterstützt, denn obgleich er ein mittelmäßiger Dichter, ist er doch ein guter Redacteur, freut sich mit jedem Beitrag, und bezahlt ihn gut, und bittet um neue, statt daß man einem Buchhändler sehr viel gute Worte geben muß eh er einen Almanach von den Schlegels und Tieck nehmen, und es als eine hohe Gnade anrechnen wird wenn er es thut. Die Leute kaufen nun einmal lieber einen Almanach von Vermehren und Nöller und Haug, etc etc als einen von Schlegels und Tieck, und diesen Lieblingsdichtern zu Gefallen lesen sie auch gern einmal ein Gedicht von Schlegel, es kömt so in vielen hundert Händen, und weckt doch wohl manchen Sinn, und erwirbt manchen Freund; Anstatt daß ein Almanach der sich unter seinem Namen ankündigt aus Opposition weder gelesen noch gekauft wird. Glauben Sie mir, die beyden Schlegels und Tieck thäten gut sich so unter Vermehrens Decke zu schleichen, sie würden bald den Platz behaupten. Und wenn sich diese Drey vereinigten, könnten Sie dem luftigen Gesindel alsdenn wohl den Platz vergönnen, weil es ihnen Platz verschafft, in Goethens, u Schillers Musenal. waren genug solcher Leute dabey. Sie bekommen ganz gewiß keinen Buchhändler zu ein zweyten Alm. während Verm. seiner immer fort gehen wird. Ich weiß nicht ob Fried. wieder etwas darin geben wird, aber ich werde ihn gewiß nicht abrathen. Und wie denn lieber Freund, seit wann wollt ihr denn eine Loge machen? seit wann ist Euer Kreis als geschlossen anzusehen? mich dünkt wohl, allen die da glauben wird etc etc – man sollte nicht so spröde seyn wenn es Menschen giebt die sich gern am Guten anschließen, und an dem Guten mit Herzhaftigkeit Theil nehmen wollen. Könnt ihr die Feinde vertragen, so müßt ihr euch auch Freunde erwerben und erhalten können. Verm. ist ein rechtlicher Mensch, und meint es ehrlich mit Uns Allen, und mit der Poesie, besser als er sagen kann, und damit seyd zufrieden; er nimmt Euch Nichts, aber Ihr könnt ihm vieles geben.
Uebrigens lese ich hier in Paris als ein Gegengift viel in der Bibel; Luthers Uebersetzung; man ist wohl nicht gescheut, wenn man jemals glaubt die Bibel hinlänglich gelesen zu haben. Ich lese mit Aufmerksamkeit, beide Testamente; und finde nach meinem Gefühl jetzt das protestantische Christenthum doch reiner und dem Katholischen weit vorzuziehen; dieses hat mir zu viel Aehnlichkeit mit dem alten Judenthum, daß ich sehr verabscheue. Der Protestantismus dünkt mich aber ganz die Religion Jesu zu sein und die Religion der Bildung; im Herzen bin ich ganz, so viel ich aus der Bibel verstehen kann, Protestantin; das öffentliche Bekenntniß davon halte ich nach meinem Glauben gar nicht für nöthig, denn so gar in diesem öffentlichen Bekennen, liegt mir eine Katholische ostentation Herrschsucht und Eitelkeit. Genug daß ich es weiß, und es glaube. Haben Sie wohl je das Leben der Madame Güyon gelesen? ich laß er kürzlich, und es hat mich sehr interessirt, obgleich ich sie unerhört stolz und eitel finde; aber ich verstehe einige Gemählde von Christlich mystischen Sujets durch die Güyon sehr gut, die ich erst gar nicht verstand. Es ist sehr spät und wie sie an meiner Schrift sehen, bin ich schläfricht. Jetzt fällt mir es erst ein, daß Sie es lächerlich finden werden, daß ich gerade Ihnen dieses Glaubensbekenntniß abgelegt habe, aber ich schwöre es Ihnen foi de Femme (ein Schwur der Dames de la Halle) daß ich nicht mit einem Wort daran dachte daß Sie Geistlicher sind. Nehmen Sie’s nicht gar zu lächerlich ich bitte Sie darum, und auch nicht übel. Grüßen Sie Eleonoren aus weiter Ferne, und Herzensgrunde
Ihre Dorothea
Lieber Freund Sie müßen wahrhaftig zur Europa schicken; das ist ja das einzige Gastmahl, wozu man sich in dieser Entfernung einladen kann.
Diesem Briefe werden Sie es wohl ansehen wie ich hundert Jahre alt geworden und für allen Spas so gar schon todt bin! Indem ich den Calender nachsehe finde ich daß wir heute den 21ten November haben, also Ihr Geburtstag lieber Schleyermacher! ich wollte ich könnte mir denken, daß Eleonore diesen Tag heute mit Ihnen feyert, und eben jetzt (es ist acht Uhr des Morgens) die kleine Fête arangiert, während Sie noch ein wenig auf der Bärenhaut liegen, oder vielleicht gar Predigen. – Denken Sie sich daß in Frankreich kein Geburtstag gefeyert wird! Der meinige am 24ten 8tob gieng auch ungefeyert vorüber, wir waren traurig u voll Sorge
Metadata Concerning Header
  • Date: [20./21. November 1802]
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Paris · ·
  • Place of Destination: Stolp · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 26. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Pariser und Kölner Lebensjahre (1802‒1808). Erster Teil (Juni 1802 ‒ Dezember 1805). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hans Dierkes. Paderborn 2018, S. 48‒52.
Language
  • German

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