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Friedrich von Schlegel to Siegfried August Mahlmann

Paris den 9ten August 1802.
Ich bin nun schon über einen Monat hier, geehrtester Freund, habe schon manches Neue und Merkwürdige gesehn und erlebt, und so wenig Zeit mir auch bisher zum Briefschreiben geblieben, so ist es doch billig daß ich sie mir nun nehme, um meinen deutschen Freunden Nachricht von mir zu geben. Sie müssen dies um so mehr von mir erwarten, da ich Ihnen zugleich einige Rechenschaft von dem zu geben habe, was ich hier schon in Rücksicht auf unsern gemeinschaftlichen Plan zu beobachten und auszurichten Gelegenheit hatte.
Die Uebersetzung der Memoires de Marguerite de Valois ist noch nicht so weit vorgerükt als sie sein würde, wenn ich das Buch früher hätte habhaft werden können. Es ist hier überhaupt alles langsam und umständlich, und so auch die Erlaubniß Bücher von der Bibl. ins Haus nehmen zu dürfen, und unglücklicherweise war das Werk auf der ersten Bibl wo ich Zutritt hatte, nicht bis auf den Band den ich suchte, vorhanden. Seit 14 Tagen habe ich es indessen endlich von einer andern Bibl. erhalten und es wird jezt so thätig und ununterbrochen daran gearbeitet, daß Sie es in kurzer Zeit werden erhalten können.
Sehr reich scheint jezt die Litteratur hier nicht zu sein. Daß das elende Ding – les Miracles – wie man sagt von Chenier – einen Augenblik Aufmerksamkeit erregen konnte, ist ein Beweis von großer Armuth. Das entgegengesezte Werk von Chateaubriand (Verfasser des Atala) sur le Genie du christianisme ist 4 Bände stark. Wo soll ein Deutscher da die Geduld hernehmen es zu lesen? – Es ist ein wissenschaftliches Werk erschienen, was in der That wichtig ist und viel Neues enthält: die Mineralogie von Haüy. Aber es ist auch 5 Bände stark, und was wirklich neu und wichtig daran ist könnte recht gut in einem stehn. Es sind mehre junge deutsche Physiker hier, unter denen mir auch schon zwei auf eine zuverlässige Art empfohlen sind, und gewiß im Stande wären (unter meiner Anleitung) einen zwekmäßigen Auszug aus jenem Werk zu machen. Schreiben Sie mir also, ob Sie dazu geneigt sind, aber gleich; sonst möcht’ es occupirt werden.
In der schönen Litteratur sind die Aussichten günstiger. Ich habe die fast gewisse Aussicht, Romane an denen die Genlis und die Stael arbeiten, zum Uebersetzenlassen im Mscrpt mitgetheilt zu bekommen, so daß als dann die Uebersetzungen ganz zugleich mit dem Original erscheinen. Es muß Ihnen drollig Vorkommen, mich die Romane dieser beiden Pariser Duegnen mit so viel Interesse ankündigen zu hören, aber Sie sehen daraus daß ich bei dem Ganzen nicht allein meinen Ideen folge, sondern vorzüglich auf Ihren – doch auch nothwendigen Gesichtspunkt Rüksicht nehme. In der That glaube ich, daß eine gleichzeitige Uebersetzung dieser Produkte (zu denen ich übrigens meinen Namen wenigstens zur Genlis nicht gern hergäbe) in merkantilischer Hinsicht ein sehr guter Artikel wäre.
Ein andres kleines Werk der Art – einen dramatisirten Roman von La Cretelle l’aîné – habe ich ohne Umstände gewählt, und es wird schon daran übersezt. Ich habe hier Ihre Einwilligung hier suppliren zu können geglaubt und Sie würden mich in der That sehr in Verlegenheit setzen, wenn Sie sie nicht geben wollten. Das Ganze wird ohnehin kaum 16 Bogen betragen, und es hat im reichen Maaße die Art des sentimentalen Interesse, die Romane lesen macht; so daß Sie merkantilisch nichts dagegen haben können, um so weniger, da das französische Original selbst der Uebersetzung in Deutschland keinen Abbruch thun kann in dem gewöhnlichen Leserkreise, denn der Roman steht in einer Sammlung von Œvres, die schon hier ziemlich kostbar ist, es also noch mehr in D. sein wird. Uebrigens ist La Cretelle einer von den wenigen jezt die noch vortreflich französisch schreiben, und diß soll in der Uebersetzung für deren Eleganz ich stehe, nicht verloren gehen Doch ists weder diß noch jene romantische Lesbarkeit was meine Wahl bestimmt hat – sondern das historische Interesse des Werks. Dieser Malherbe ist zum Theil die Geschichte D’Alembert und sehr viler berühmter und wichtiger Männer jener Zeit, so daß man wirklich einen sehr schätzbaren Beitrag zur Kenntniß von Paris und Frankreich darin sehen muß – und dieses wird bei allen Werken der Art immer meine Hauptrücksicht sein, da es mir nicht einmal anstehen würde, über den poetischen Werth oder auch Unwerth eines französischen Produkts noch ein Wort zu verlieren.
Antworten Sie mir nur recht bald über die Stael und Genlis Romane; ich kann in jedem Fache hier so gute und zuverläßige Arbeiter haben, daß es nur von Ihnen abhängt, wie weit Sie unsern Plan ausdehnen wollen. Ich füge daher noch einige Anfragen von Werken, die eben jezt erscheinen werden. Z.B. ein Journal d’ un voyage en Prusse et en Allemagne par Guibert. Dieser Mann ist wie Sie wissen in D. und besonders Preußen sehr bekannt wegen seiner Verbindung mit Friedrich II. Toulongeon’s Histoire de France depuis 1789 pp wovon 2 Bände in 80 schon heraus sind und jezt gleich noch 2 erscheinen werden, ist mir von einem ganz zuverläßigen Manne als das beste dieser Art gerühmt worden; ich würde Ihnen mein eignes Urtheil über die ersten Bände sagen können, aber Treuttel und Würz, bei denen ich meine Bücher ausnehme, wobei ich mich auf Sie berufen habe, und gesagt, daß ich durch Sie von O.Messe zu O.Messe saldiren würde – diese geben mir keine Bücher wenn ich sie nicht gleich kaufe, und das ist freilich schlimm. – Ueber die Memoires von Soulavie hat sich gewiß schon jemand in Deutschland hergemacht. – Unter den neu angekündigten ist noch ein kleines was eben erwartet wird – Les femmes, leurs moeurs pp in 9 kleinen Duodezbändchen von Alex. Segur. Wollen Sie solche leichte Waare nicht ganz aus ihrem Plane ausschließen so kann ich wenigstens sagen daß dieser Segur der Liebling der schönen Welt hier ist, und daß ich Ihnen dses elegante Werkchen so viel übersetzen lassen kann als Sie wollen, denn ich habe mehre Damen in meiner Bekanntschaft die sehr rein und elegant Deutsch schreiben, und solche lose Waare in jeder Rüksicht unstreitig viel besser zu behandeln wissen als ich selbst es im Stande wäre. Uebrigens liegt es zu sehr ausser meinem Kreise, als daß ich Ihnen weder ab noch zu rathen könnte. Das Werk von Toulongeon empfehle ich Ihnen besonders, und dazu versteht sich, würde ich nicht bloß eine Vorrede sondern wohl auch eine längere Einleitung geben können.
Ich hoffe Sie werden mir die Umständlichkeit dieses Berichts als kein geringes Verdienst anrechnen. Nun erlauben Sie also, daß ich noch von einigen andern Dingen mit Ihnen schwatzen darf. Zuerst bitte ich Sie, Ihren braven Schwager und seine liebe Frau recht herzlich von mir zu grüßen. Ich werde ihnen nächstens ein paar Worte über Talma, oder über Frascati schicken für sein Journal. – Wie geht es Ihnen selbst, werther Freund? Haben Sie noch die Reise nach Dr. gemacht? Haben Sie Tieck gesehen? Haben Sie in Beziehung auf seine epischen Werke etwas mit ihm verabreden können? Ich nehme sehr großen Antheil daran. Hier ist eigentlich der Ort, wo man die Deutsche Litteratur recht von neuem liebgewinnt – durch welche Einwirkungen, das überlasse ich Ihnen selbst zu rathen. Und das ist vielleicht die Ursache daß ein alter Plan in mir erwacht ist, von dem ich mich erinnre, daß ich Ihnen schon in Leipzig davon sprechen wollte, aber nicht dazu kam. Ich hatte schon vor mehren Jahren den Gedanken gefaßt, eine neue Ausgabe von Winkelmanns Werken, und eine kleine Auswahl aus Lessings Schriften zu veranstalten. Beide Dinge thäten sehr gut und noth, und zu beiden glaube ich mir ein vorzügliches Recht erworben zu haben; meine Bearbeitung der Geschichte der Griech. Poesie habe ich immer als eine Urkunde betrachtet, um zu bewähren, daß ich Winkelmanns nicht ganz unwürdiger Schüler sei, und den Lessing hab’ ich immer ausdrüklich zu occupiren und den Nicolaiten zu entreissen gestrebt.
Es existirt noch keine vollständige Ausgabe vom Winkelmann; die vielen kleinen Schriften von ihm sind zwar wohl alle noch im Buchhandel oder in Auctionen zu bekommen; allein das ist doch äusserst beschwerlich und auch kostbar! Der lezte Umstand wird noch dadurch vermehrt, daß der Liebhaber außer der zweiten Ausgabe der Geschichte der Kunst, zur Vollständigkeit auch die ältere braucht; denn sie enthält einiges was in der andern nicht entsteht~. In einer vollständigen Ausgabe könnte man dieses leicht im Auszug einschalten oder mittheilen auf wenig Raum. Ueberhaupt müßte man eng aber elegant drucken. Ich habe jezt hier die wichtigsten Werke der alten Plastik von denen W. redet, alle vor Augen, und bin also hier sehr vortheilhaft für diesen Zweck. Es versteht sich ohnehin daß ich durch Einleitung und Anmerkungen das Werk mir aneignen würde, so daß der alte Verleger gewiß nichts einwenden dürfte. Meine Foderungen würden sehr mäßig sein, grade nur zur Entschädigung der Arbeit und Zeit, die es mir denn doch noch kosten würde.
Was den Lessing betrift, so ist es doch eigentlich schendlich, daß man 30 Bände (–worunter so mancher Ballast) – kaufen soll, um am Ende das Interessante in diesen entweder gar nicht oder nur mit großer Mühe herauszufinden. – Drei kleine Bändchen würden seine besten philosophischen Schriften und Gedanken, wozu auch ein geonderter Auszug aus seinen Briefen zu rechnen wären, liefern können, und ich bin überzeugt, daß das Publikum sehr viel Neues darin finden würde. Ich sage nicht mehr darüber; Sie kennen Lessing und mich genug, um genau zu wissen was ich meine und Sie glauben Sie werden mit mir darin einig sein daß der merkantilische Succeß dieser kleinen Unternehmung fast unfehlbar ist. Doch das kann meine Foderungen nicht bestimmen, ich würde nicht mehr verlangen als was mir ein Buchhändler, mit dem ich aber nachher uneins ward, schon vor 4 Jahren einmal dafür anbot – es war ein Louisd. für den Bogen oder 50 Louisd. für das Ganze. – Ich habe den Lessing zwar so viel und so genau gelesen, daß ich sehr bestimmt weiß was und wie ich es zu machen habe; aber dennoch würde die Arbeit eines solchen Auszugs nicht gering sein.
Ueberlegen Sie Sich diese Vorschläge, und können Sie darein willigen, so verbinden Sie damit zugleich eine Gefälligkeit, die grade jezt eben von großer Wichtigkeit für mich haben würde. Lieber Freund, es geht mir hier in jeder Rüksicht sehr gut, ich habe für alle meine artistischen und litterarischen Zweke hier schon viel gewonnen; aber in einem Punkte hat ein Fremder hier nicht gut sein, denn so reichlich er auch gerechnet so vorsichtig er es auch gerechnet hat, so wird er sich doch bald in einem beträchtlichen Deficit befinden. In deutschem Vaterlande mitten unter Freunden hat es nicht so viel zu sagen, ob man etwas mehr oder weniger mit Geld versehen ist, aber in dieser großen Menschenwüstenei (denn warum sollte nicht eine Wüste nicht eben so gut durch Menschen als durch Sand gebildet werden können?) entsteht daraus eine sehr reelle Verlegenheit. Daher verberge ich es Ihnen nicht, daß mir diese Gefälligkeit jezt ein wahrer Freundschaftsdienst sein würde. Nehmen Sie meine beiden Vorschläge an, so remittiren Sie mir an irgend einen beliebigen Banquier hier, wenn es sein kann recht bald ein 40 Louisd. und ich werde diese Summe, da jene Sammlungen doch zur O.Messe erscheinen könnten und müßten, bald genug abverdienen können, da Sie doch hoffentlich ohnehin von dem was ich Ihnen zum Uebersetzen vorgeschlagen habe, mehr wählen werden, als daß die Summe beträgt die ich schon von Ihnen habe.
Ich würde eine rechte Freude haben, wenn Sie meine Vorschläge wegen Lessing u Wink. annähmen; denn ich möchte gar gern auch auf diese Art meine unverändert fortdauernde Deutschheit beweisen, und so ist dieser Plan, den ich schon lange hatte, jezt zu einer Art von Lieblingswunsch geworden. – Gedichtet hab ich schon einiges hier, um mich selbst zu überzeugen daß man es auch hier kann; denn mannichmal möchte man fast daran zweifeln. Ich habe aber sehr die Lust verloren, Gedichte einzeln mitzutheilen Ich arbeite im Stillen an einer Sammlung von Romanzen, die ich dann mit einemmale in Masse geben will.
Denken Sie Sich, daß ich in Weimar noch zum Abschiede meinen Alarkos aufführen sah! – Es ist in der That sehr viel was dort besonders in der Declamation der Verse geleistet wird.
Meine Adresse hier ist: Chez Mr Pobecheim, rue de la Victoire près de celle Montblanc, nro 2.
Empfehlen Sie mich dem Andenken Ihrer Frau Gemahlin. Ich wünsche Ihnen alles Gute und Schöne, die Erfüllung aller produktiven Wünsche und was sonst dem Menschen noth ist. Leben Sie wohl
Ihr Fr. Schlegel.
Die Einlage bitte ich recht bald weiter zu befördern.
Daß Sie mir selbst recht bald – sogleich antworten, darum brauche ich gewiß nicht erst zu bitten.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 9. August 1802
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: Siegfried August Mahlmann ·
  • Place of Dispatch: Paris · ·
  • Place of Destination: Leipzig · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 26. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Pariser und Kölner Lebensjahre (1802‒1808). Erster Teil (Juni 1802 ‒ Dezember 1805). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hans Dierkes. Paderborn 2018, S. 9‒14.
Language
  • German

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