Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Theuerste Freundinn,
Ich werde Sie morgen sehen: mein Herz freut sich darauf; und diese Freude, und diejenige, die ich während dem Schreiben dieses Briefs genieße, dient meiner Seele zu einer Erleichterung, der sie schon lange bedürftig war.
Und ich soll mir die Freude Sie zu sehen, an Sie zu schreiben, blos zur Erleichterung dienen laßen? O wohl! daß ich auch jezt nur mit Ihnen, und nicht mit manchem anderm Frauenzimmer zu thun habe, die mir diese Galanterie sehr hoch aufnehmen würde. – Ich habe Sie diese Tage über nicht vergeßen – wie könnte ich das? – aber ich habe eine Menge Beschäftigungen, und Verdruß dazu gehabt, und oft nicht gewust, wer ich bin. – Schon wieder etwas männliches, werden Sie denken, über Geschäfte zu klagen? – „als ob der Mensch nicht da wäre zu arbeiten“? – über Verdruß! – „o wir kennen die lieben Männer ja“! – Sie haben auch da Recht. Meines Verdrußes hätte ich wohl können überhoben sein; und mei[n]er Geschäfte! – sie haben mich an Sie errinnert; ich habe sie in einer merklichen, oder unmerklichen Beziehung auf Sie gethan; und deswegen vermuthlich habe ich sie mit einem solchen Fleiße gemacht. Ich habe an den Klopstokizirenden Aufsäzen gearbeitet: halb sind sie ausgearbeitet, und ein viertheil davon geschrieben (ich schreibe sie selbst: kein Mensch würde es mir recht machen, weil ich leider auch darüber viele Grillen habe; und ich möchte mich doch auch nicht gern in den Ruf bringen nicht schreiben zu können.)
Ich weiß nicht, wie es kommt, daß ich diese Dinge alle in Beziehung auf Sie ansehe, daß [/] ich sie mit so einer Freude mache, als wäre es für Sie selbst. Ich will es nicht wissen; sonst könnte ich vielleicht auch darinne meinem Herzen auf die Spur kommen: aber ich will ihm die Freude mich einmal zu täuschen, gern erlauben, weil diese Täuschung, eine Täuschung, wo es Sie zum Vorwande nimmt, gewiß unschuldig ist.
Aber ein ander Geschäft ist mir vorgekommen, das selbst dieses so erfinderische Herz in keine Beziehung mit Ihnen bringen kann: – ich soll auf künftigen Sonntag in Flach predigen. Noch dazu beraubt es mich eines Abends, des Sonnabends, Ihrer Gesellschaft. O! ich wuste gar nicht, was mir so heftig widerstrebte, ja! zu sagen; warum ich, wider meine sonstige Gewohnheit, bei dem Antrage Gesichter schnitt, und nach Entschuldigungen suchte. Gewiß war es diese dunkle Empfindung. Mit den Ursachen, die mich dennoch nöthigten Ja! zu sagen, verderbe ich nicht dieses Ihnen gewidmete Papier; ich will sie Ihnen Freitags mündlich sagen. – Genug, wenn eine menschenfreundliche Seele mir diesen Auftrag nicht abnimmt, so habe ich Verdruß, bis künftigen Montag. Wißen Sie wohl, womit ich diese Tage daher alle meine müßigen Stunden ausgefüllt habe? Aber was sollten Sie wißen! Wollen Sie es wohl anhören, wenn ich es Ihnen sage? Ich habe mir den Lindenhof nach seiner ganzen Ge[/]stalt, mit allen seinen Bäumen, Gängen, Häusern, Steinen vorgestellt; denn ihn zu sehen, habe ich leider keine Zeit gehabt – habe mir gedacht, wo ich Sie wohl treffen würde, so daß ich Sie schwerlich wo treffen kann, wo ich mir’s nicht gedacht hätte – habe berechnet, wie Sie aussehen würden, und ich wette, daß ich es getroffen habe – habe alles durchgedacht, was in Ihrem Briefe stehn könnte, außer einigem, das gewiß nicht darinne stehn wird. Nur darauf habe ich nicht gerechnet, daß Sie in Gesellschaft kommen werden.
Was mich am meisten kränkt, verdrießt, ärgert, ist, daß ich diese Woche am Liede für Sie nicht habe arbeiten können. Aber ich will das Schwerere gern zuerst nehmen, und mir das leichtere, das angenehmere, das, was zunächst für Sie ist, bis auf die leztern Tage meines Hierseins versparen. Billigen Sie dieses Arrangement? Doch! welch’ ein Mensch bin ich? immer nur von mir? und von meinen Arbeiten? Sie haben Recht, und es wird Mühe kosten, mich zu beßern.
Von etwas andern also, und von wem lieber, als von Ihnen? wenn nicht auch das unhöflich wäre, nach mir von Ihnen zu reden.
Seit Sonnabend weiß ich nichts von Ihnen; denn den Sonntag, – sind es meine schwachen Augen, oder – was ich nicht hoffen will – ist es meine Unaufmerksamkeit, oder, was ich ebensowenig hoffen will – ist es Unpäßlichkeit bei Ihnen, oder haben Sie nicht in die Kirche gehn wollen – ich habe Sie nicht in die Kirche gehn sehen. Den[/]noch hoffe ich, – mein Herz sagt es mir, denn sonst wäre es im Ganzen nicht so wohl – sind Sie gesund, und vergnügt. O! wie oft, wenn es mir möglich wäre mein Schiksal von dem Ihrigen abzusondern, und es als ein fremdes, als nicht mir angehörig, anzusehen, würde ich Sie beneidet haben. Alle Ihre Beschäftigungen sind nach Ihrem Herzen; und alles, was Sie zunächst umgiebt, liebt Sie; was entfernter von Ihnen ist, reizt Ihre Leidenschaften weniger, und Ihr Verstand hat Kraft genug, Sie darüber zu erheben. O! könnte ich Ihnen jezt ausdrüken, meine Theuerste, wie lebhaft in diesem Augenblike mein Herz wünscht, daß das Ihrige immer in diesem glüklichen Zustande möge erhalten werden!
Ich werde Zürich, oder Sie, wiedersehen; mein Herz fühlt es. Hierüber bin ich ihm auf die Spur gekommen; – aber ich will auch etwas für mich behalten.
Leben Sie wohl, wenn ich zu diesem Papiere nicht zurükkommen sollte, und denken Sie zuweilen an Ihren
treusten, wärmsten Freund.
Ich bin sehr vergnügt aufgestanden; ich bin heute bei beßrer Laune, u. Gesundheit, als seit langer Zeit. Die Einladung Ihres Papa zum Ch. Tobler – auch den seh’ ich in Rüksicht auf Sie, weiß Gott warum? – hat mich in diesem Vergnügen bestärkt. – Aber werden Sie etwa, in Erwartung, daß Sie mich in Ihrem Hause sehen, nicht spazieren gehen? – o! das würde mir doch halb weh’ thun, wegen der schönen Träume die dann vergebens wären. –
Metadata Concerning Header
  • Date: 01. bis 02. März 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 65‒68.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 12
Language
  • German

Weitere Infos ·