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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Traurig breche ich meinen Brief wieder auf. – O warum bin ich doch so ungeschikt? – warum muste doch eben eine so häßliche alte Frau auf dem Lindenhofe sein? – warum muste ich doch so lange aufgehalten werden? u. so noch eine Menge warum’s.
Wie sehr muste mir das Vergnügen vereitelt werden, das ich mir eingebildet hatte. Ich habe Sie gesehen – Ja! aber auf einen Augenblik: ich habe nichts gesehen, als daß Sie in Verlegenheit waren. Weiter habe ich keinen Gedanken auf Ihrem lieben Gesichte entwikeln können. – Hat mehr darauf gestanden; wer so in Verlegenheit war, als ich; wer so hier und dorthin sahe, u. so manches dachte, u. empfand; der ist eben bestimmt auf einem Gesichte, wie das Ihrige, zu lesen, das immer den Grundzug des Verstandes trägt, und worauf ein gleichgültiger oder verlegner Zuschauer nichts sieht, als den? – Ich hofte Sie noch zu finden: ich lief, nachdem ich mich von meiner Verlegenheit erholt hatte, und Sie schon weit genug glaubte, um Sie nicht mehr in der Stadt zu treffen, auf die Promenade, wo ich Sie zu finden hofte: ich durchrannte sie pfeilschnell mit der Lorgnette vor’m Auge, wurde durch jedes Frauenzimmer, das ich da sah’, – in der Ferne nemlich, getäuscht – wollte nun gerne noch Ihren Brief verschlingen, u. konnte nicht – rannte nach Hause, wo kein Mensch mich erwartete: von 55. bis 60 Minuten auf 3. Uhr, verschlang ich ihn würklich, und ging dann nach Ihrem Hause, in der Hofnung Sie da zu finden – klingelte – die theure Barbel que Vous connoissez, antwortete, und indem kam [/] Ihr Papa – wäre er nicht zu gut, um scharfer Beobachter zu sein, so hätte er mir meinen Verdruß über seine Erscheinung ansehen müßen – Ich machte eine lustige Mine zu schlechtem Spiele, und ging mit ihm, ruhig, wie ich schien, zu Tobler. Auf dem Rükwege fragte ich nach Ihnen. – Sie wären zu WagMeister Tobler! – Ich erwartete beim Abschiede noch – wie kindisch! – ich könnte da noch mit ihm hinauf, Sie sehen, u. Ihnen den Brief geben. Nichts: ich ging also verdrüßlich nach Hause.
Daß er heute die Gesellschaft hat, weiß ich; aber es ist mir 1.) verdrüßlich in solchen Gesellschaften zu sein 2.) brauche ich meine Zeit nothwendiger, 3.) würde ich Sie doch nicht sehen. Doch hätte ich ihm, wenn er mich ausdrüklich dazu eingeladen hätte, was er nicht that, mit un peu de libertinage gesagt: ich würde mit der Bedingung kommen, wenn er Ihnen sagte, daß ich Sie einen Augenblik sehen müste. Und nun ist die Sache so geworden, und muß so bleiben; und ich, aus Verdruß, verriegele mich auf meine Stube; sehe keinen Menschen; und arbeite im Aerger am Aufsaze über den Meßias.
Auf den Freitag, um 5. Uhr seh’ ich Sie. Dann – nicht eher – wird sich mein Verdruß verlieren. Meine Aufwärterinn wundert sich über meine heutige böse Laune. O! wenn Sie wüste, wie viel Ursache ich dazu hätte. [/]
Den Sonnabend hoffe ich ersezt zu bekommen. Arrangiren Sie sich darüber: ich habe mich arrangirt. Ich laße mir keine Stunde von den wenigen Stunden, die ich vor der Hand noch Sie sehen werde, abbrechen. – Ich lache, u. die Thränen stehen mir in den Augen. –
Ueber Ihren Brief, – den ich dann freilich langsamer genoßen habe – werde ich Ihnen weiter antworten; besonders über den Vorschlag wegen Bern, sobald ich ruhiger bin. Jezt bin ich’s nicht. Wie sehr ich auf Ihre Versicherung, daß Sie meine Hand leicht lesen können, lossündige, das sehn Sie.
Nur über Eins. IhrMädgen hat gelogen, wenn sie gesagt, daß ich vorigen Sonntag manchmal zu Ihrem Fenster hinaufgesehen. Einmal – wohlberechnet, in welcher Lage – lange vorher auf der Brüke berechnet, welche Lage die günstigste sei, habe ich hinauf gesehen; und das mit einem Blike, daß ich mit meinen schwachen Augen ein großes Theil Ihrer Stube übersehn zu haben glaube: – Aber dann zogen sich auch gleich meine Augen zurük, u. blikten auf die Erde, wie ein Dieb, der auf der That ertappt ist, ohne daß ich’s ihnen befahl. Ich habe alsdenn nachgedacht, wie ich, der ich doch nicht immer wegen meiner Bescheidenheit berühmt gewesen bin, zu dieser Schüchternheit komme? – O! ich hab es wohl gefunden. [/]
Ich komme zur Beantwortung Ihres Briefs; besonders in Absicht des Artikels von Bern. Ihnen sagen, wie sehr ich hieraus von neuem Ihre Güte gegen mich erkenne; wie ich sehe, daß Sie einen großen Theil Ihrer theuren Gedanken mir widmen; wie könnte ich das? wie könnte ich Ihnen würdig dafür danken.
Bern, oder Coppenhagen, Lißabon oder Madrit, oder Petersburg, ist mir in Absicht auf mich gleich: ich glaube auch, daß mein Körper so ziemlich alle Klimata verträgt. Wahre Winterkälte, wie z. E. die Sächsische ist mir nie sehr drükend gewesen: aber die scharfen Winde von Zürich waren mir’s zuweilen. Vielleicht kam zu meiner mehrern Kränklichkeit allhier auch die veränderte Lebensart. Ich kann mich mit der hiesigen Kocherei, u. vielleicht auch mit dem hiesigen Weintrinken nicht vertragen. Geräuchertes, gesalzenes, Seefische, Bier, voila, ce qui faut à mon estomac! Von dieser Seite aus also würde ich von Koppenhagen wenig befürchten.
Aber Ihnen, meine Theuerste, Ihnen wäre es lieber mich näher zu wißen? Ich bin von Ihrer Zärtlichkeit gerührt; ich erkenne Sie mit dem wärmsten Danke: ich empfinde auch hier gleich mit Ihnen; ob ich gleich darüber nicht ganz gleich denke. Die Briefe gehn von Kopenhagen z. E. eben so sicher, und machen eben die Freude, als von Bern. Reise ist Reise; sie sei lang oder kurz, u. schon jezt ist es mir ziemlich gleichgültig, ob ich 10. oder 100 Meilen reisen soll. – So schließt mein Verstand, u. ich kann ihn nicht wider[/] legen, so gern dies täuschende Herz das auch möchte.
Im Ganzen denke ich darüber so: der HauptEntzwek meines Lebens ist der, mir jede Art von (nicht wißenschaftlicher – ich merke darinn viel eitles) sondern von Charakter Bildung zu geben, die mir das Schiksal nur irgend erlaubt. Ich forsche dem Gange der Vorsehung in meinem Leben nach, und finde, daß eben das auch wohl der Plan der Vorsehung mit mir sein könnte. Ich habe manche Situationen erlebt, manche Rollen gespielt, mancherlei Menschen, u. Stände kennen gelernt, u. im Ganzen habe ich gefunden, daß durch alle diese Vorfälle mein Charakter immer bestimmter geworden ist. Es fehlte mir bei meinen ersten Eintritte in die Welt, alles, als ein bildsames Herz. Manche dieser mir mangelnden Eigenschaften habe ich seitdem erhalten: viele, unter andern die, mich zuweilen nach andern zu accommodiren, falsche, oder meinem Charakter ganz entgegene Personen zu behandeln, etwas in’s größere zu würken, fehlen mir noch gänzlich. Ohne dies kann ich die Kräfte, die mir die Vorsicht etwan könnte gegeben haben, nie so brauchen, wie ich es damit kann. – Sollte die Vorsicht etwan den Plan haben, auch diese Fähigkeiten in mir zu entwikeln? sollte sie es etwa durch einen Auftritt mit mir, auf einem größeren Schauplaze wollen? sollte etwa mein Treiben an einen Hof, mein Projekt, eine FürstenErziehung zu erhalten? Ihres Papa Plan mich nach Coppenhagen zu bringen Winke oder Wege der Vorsicht zu diesem Zweke sein? [/] und sollte ich dann, durch ein Drängen in eine kleinere Sphäre, das mir noch nicht natürlich ist, diesen Plan zu vereiteln suchen? – Ich habe zu wenig Talente mich zu pliiren, Leute, die mir zuwider sind, zu behandeln, kann nur mit braven Leuten zu recht kommen, bin zu offen – dies, was Ihnen ein Grund schien, daß ich an keinen Hof tauge, ist mir im Gegentheil einer, daß ich daran muß, wenn sich mir eine Gelegenheit darbietet, um zu erlangen, was mir fehlt.
Den Stand des Gelehrten kenne ich; ich habe da wenig neue Entdekungen zu machen. Ich selbst habe zu einem Gelehrten von métier so wenig Geschik, als möglich. Ich will nicht blos denken; ich will handeln: ich mag am wenigsten über des Kaisers Bart denken. – Und überdies ist ein Schweizerischer Profeßor, d. i. ein Schulmann, mein Fach nun eigentlich gar nicht. –
So stehe ich mit meinen Neigungen. –
Nun aber zu meinen Pflichten! – Könnte nun nicht auch die Vorsicht, die besser wißen muß, zu was ich tauge, und wo sie mich braucht, als ich selbst, nicht beschloßen haben, mich in eine solche Sphäre zu bringen? könnte nicht Ihr Einfall, deren Schiksal sie mit dem meinigen zugleich entworfen zu haben scheint, ein Wink, und das, was Sie mir vorschlagen, ein Weg dieser Vorsicht sein? könnte nicht mein Treiben in die große Welt eine Verblendung meiner Sinnlichkeit, meiner angebornen Unruhe sein, die diese [/] Vorsehung jezt fixiren wollte? Auch das ist ebenso möglich, als das erste; und deswegen müßen wir auch hier thun, was von uns abhängt, u. das übrige von Gottes Leitung erwarten.
Nur glaube ich, daß der Weg, den Sie dazu vorschlagen, nicht eben die Würkung haben muß, die Sie davon erwarten. Meine Aufsäze können nicht das machen, was man Sensation nennt; das ist weder in ihrem, noch in meinem Geiste überhaupt; Viele werden gar nicht verstehen, was vielleicht darinne liegt; die es verstehen, werden mich, ich glaube es, für einen nicht unbrauchbaren Mann halten, aber – comme il-y-en-a beaucoup. Ein anderes ist’s, wenn man Intereße für den Verfaßer hat, und ihn kennt.
Sollten Sie durch Ihre Verbindungen ein dergleichen Intereße veranlaßen können – ja dann ist es freilich ein anderes. Aber die Sache scheint nicht dringend. Vor allen Dingen müste in Bern erst eine Profeßur, und zwar eine, die ich übernehmen könnte, offen sein. Dann ist es schwer, während meines Hierseins noch, eine Abschrift von meinen Aufsäzen zu nehmen. Und vielleicht schreibe ich binnen der Zeit noch etwas beßeres, oder kann vielleicht selbst mit diesen Aufsäzen in Leipzig ein arrangement treffen, daß sie in Bern bekannt, und bequemer bekannt, gemacht werden können. Auf alle Fälle wißen Sie, und jeder gute Mensch, der sich mit Ihnen für mich intereßiren will, im[/]mer wo ich bin. – Zu gleicher Zeit aber ersuche ich Sie, was ich nach Ihrer gütigen Denkungsart gegen mich nicht bedürfte, sowohl jezt, als nach meiner Abreise, keine Gelegenheit, die sich Ihnen darbietet, wo mir zu dienen wäre, vorbei zu laßen, und sie mir anzuzeigen. Ich glaube an eine Vorsehung, die uns leitet, und ich merke auf ihre Winke.
Bei der Gelegenheit noch etwas über mich. – Wenn Sie sagen, am Hofe, u. wenn 10 ich selbst premier Ministre würde, wäre kein wahres Glük, reden Sie aus meiner Seele. Das ist unter dem Monde nirgends, beim Dorfpfarrer eben so wenig, als bei’m Premier-Ministre. Der eine zählt Linsen; der andere Erbsen: das ist der Unterschied alle. Glük ist nur jenseit des Grabes. Alles auf der Erde ist unbeschreiblich klein; das weiß ich: aber Glük ist’s auch nicht, was ich suche; ich weiß, ich werde es nie finden.
Ich habe nur eine Leidenschaft, nur ein Bedürfnis, nur ein Volles Gefühl meiner Selbst, das: außer mir zu würken. Je mehr ich thue, je glüklicher scheine ich mir. Ist das auch Täuschung? Es kann sein: aber es liegt doch Wahrheit zum Grunde.
Aber das ist gewis keine, daß es mir Himmels Gefühl giebt, von guten Seelen geliebt zu werden; Personen zu wißen, die Antheil, lebhaften, innigen, warmen, steten Antheil an mir nehmen. Seit ich Ihr Herz näher kenne, empfinde ich dies Gefühl in aller seiner Fülle. Urtheilen Sie, mit welchen Empfindungen diesen Brief schließt
Ihr
dankbarer Freund.
  • Fichte, Johann Gottlieb  Begegnung  sich freuen  Fichte, Johanna
  • Fichte, Johann Gottlieb  Brief  empfangen  Fichte, Johanna
  • Fichte, Johann Gottlieb  Begegnung  beklagen  Rahn, Hartmann
  • Fichte, Johann Gottlieb  Brief  geben  Fichte, Johanna
  • Fichte, Johann Gottlieb  Nicht-Begegnung  beklagen  Fichte, Johanna
  • Fichte, Johann Gottlieb  Reiseplan  erwägen  Fichte, Johanna
  • Fichte, Johann Gottlieb  Resonanz  erhoffen  Fichte, Johann Gottlieb: Klopstock-Aufsätze
  • Fichte, Johann Gottlieb  Kontakt  bekräftigen  Fichte, Johanna
  • Fichte, Johann Gottlieb  Reiseplan  ankündigen  Fichte, Johanna
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 2. März 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte ·
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 69‒73.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 11
Language
  • German

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