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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Meine beste Freundinn,
Freilich werde ich Ihnen morgen einen Brief mitbringen, ob ich gleich böse auf Sie bin. – Warum musten Sie mich durch die Bemerkung voilà une servante, qui nous observe, decontenanciren, welche, wenn sie so schlechte Augen hat, als ich, uns gewiß nicht gesehen hat? warum musten Sie so ängstlich vor mir vorbeirauschen? Ich habe Sie würklich nicht einmal ansehn können. Nur Ihre Stimme habe ich gehört, nur den Umriß Ihres Körpers habe ich gesehen: von Ihrem Gesichte, von Ihren Augen nichts. – Ich werde, seh’ ich, wieder ein Kind, das die Ruthe fürchtet, und dazu machen Sie mich. Ich bin schon ein Kind, das nach einem Blike geizet.
Morgen, Theuerste, ob ich um 5. Uhr kommen werde, weiß ich nicht. Ich habe eine Pflicht – gegen einen sehr werthen Todten nicht, der lacht gewis jezt schon, wenn er’s nicht eher that, unsrer närrischen Etiquette – aber gegen seine hinterlaßene Familie. Ich weiß nicht, wenn ich zurük kommen werde.
Daß Sie mir eine so schöne Ersezung meines Sonnabends machen, dafür danke ich Ihnen herzlich. Daß Sie Berghofern eingeladen haben – dafür möchte ich Ihnen wohl danken, aber ich wäre lieber mit Ihnen allein.
Brünings macht sich mir immer kleiner; er hat heute sich’s, in puncto Roußeaus wieder gemacht; aber in der Kaufgeschichte [kennen] wir seine Lage nicht genug. Ich [/] weiß nicht, wie er mit seinen Finanzen steht. Ueber keiner Schwachheit in Ansehung dieser Dinge habe ich ihn noch nicht getroffen. D. Beyrn aber habe ich schon einigemal über Dingen betroffen, die bei mir schmuziger Geiz sein würden; die aber bei ihm wohl auch Mangel an Lebensart, und Gegenwart des Geistes (an welchen beiden Dingen es ihm auch zu fehlen scheint) sein können. Ueber dies wißen wir seine öconomische Lage gar nicht; er ist zurükhaltend. Die Umstände seiner Eltern sind gewiß gut; aber es ist nicht bekannt, auf welchen Fuß er mit seinem Vater steht.
Achelis aber, – o wie freue ich mich, daß er etwas von dem guten auch gegen Sie gezeigt hat, um deswillen ich ihn so herzlich liebe! – hat sich als ein edler Mann betragen; und das um so mehr, da ich sicher weiß, daß er am wenigsten etwas übrig hat. Ich werde bei erster Gelegenheit es ihm merken laßen, wie sehr ich ihn darüber schäze. – Sonderbar! aber unter uns! eben dieser Mann knikert zuweilen um ein paar Schillinge – und doch habe ich immer gewust, daß er auch über diesen Punkt edel ist [.]
Und nun zu mir! – Ich gestehe Ihnen, ohne Beschämung, weil Sie, ich darf es hoffen, in mein Herz kein Mistrauen sezen, und weil ich einer zufälligen Lage gegen Sie mich nicht schäme, daß ich am Sonnabende etwas, aber nicht von vielem Werthe, hätte kaufen können; daß ich es aber jezt nicht kann, weil [/] ich seit der Zeit unerwartete Ausgaben bekommen habe, und bis zu meiner Abreise nicht mehr bei baren Gelde sein werde. – Sie können nicht wißen, welch’ ein Zutrauen dieses Geständniß gegen Sie bei mir voraussezt, wenn Sie nicht einen – vielleicht verwahrlos’ten Winkel meines Herzens kennen, – einen gewißen Stolz, mir eine Geldverlegenheit merken zu laßen, und keine Ausgabe auszuschlagen, und wenn ich es borgen sollte.
Wie liebenswürdig Sie selbst mir nicht – werden; ich habe Ihr edles Herz längst gekannt, und gegen Mad. Titot sehen können – sondern hier, in dieser warmen Theilnehmung gegen den guten Berghofer, von neuem erscheinen – könnte, dürfte ich Ihnen darüber ein Wort sagen? –
Doch es ist wieder 12. Uhr. Es ist mir der süßeste Beschluß meines Tages, mich mit Ihnen zu unterhalten. Einen guten Theil des Abends, den ich sonst Ihnen gewidmet hätte, habe ich mit H. Ott verplaudert. Der Mann würde mir noch zulezt lieb werden, wenn er mir nicht wohl eine Stunde genommen hätte, die ich wohl beßer mit Ihnen zugebracht hätte.
Schlafen Sie recht wohl! – Ueber Ihre Begebenheit morgen – eine Menge philosophische Bemerkungen!
Daß Sie nicht immer so verständig, so gesezt gewesen, als jezt; daß Sie Ihre jezige vernünftige Denkungsart, und tiefe Kenntniß des menschlichen Herzens nur durch [/] Erfahrung erworben; daß auch Sie durch das lebhafte der ersten Jugendjahre hindurchgegangen: konnte ich mir wohl denken! So eine Denkungsart, wie die Ihrige, erhält man nicht in der Stille aller Leidenschaften. Und da hat denn besonders das Verlangen nach der größern Welt Sie gereizt? – Sehr natürlich, da Sie Kräfte, stark wirkende, nach Entwikelung strebende Kräfte in sich fühlen musten. Das häusliche Leben konnte für Sie keinen Reiz haben, da Sie noch nicht die volle Kraft hatten darinne zu wirken. Sie wurden von Ihrer seeligen Mutter geliebt; aber das war Ihnen schon so gewöhnlich, Sie waren von Kindheit auf das nicht anders gewohnt gewesen, Sie hielten das für Schuldigkeit. – Jezt wurde durch den Tod dieser vortreflichen Mutter Ihr Herz ganz durchdrungen, zermalmt, gleichsam auf eine Zeitlang getödtet; und nun wandte sich die Liebe Ihres Vaters, die Ihnen eine neue Erscheinung, ein unerwartetes Glük war, zu Ihnen, und wurde Ihnen dadurch nur desto theurer. Sie konnten ihm dienen: Sie konnten ein Hauswesen führen, und zur Erleichterung eines so geliebten Vaters führen: da ging ein neues Herz in Ihnen auf; da waren Sie, wie umgeschaffen. Sehen Sie hier einen Plan, einen weislich angelegten Plan der Vorsehung Sie dazu zu machen, was Sie werden sollten, was Sie jezo sind, und was nach der Weißheit dieser Vorsehung die beste Art der Existenz für Sie war. So, glaube ich, geht die Vorsicht mit allen Menschen.
Maßenhausen kenne ich, und liebe ihn nicht. Ich möchte durch ihn nicht gern etwas erhalten.
Nothwendig ist’s nicht in der verderbtesten Gesellschaft mit verdorben zu werden. Berghofer ist doch überspannt. Es muß ihm immer an Welt-kenntniß gefehlt haben, und es scheint, es fehlt ihm noch daran. Komme ich zu diesem Papiere zurük, so werde ich weitläuftiger darüber reden: wo nicht, so leben Sie wohl. –
Metadata Concerning Header
  • Date: 05. bis 06. März 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 74‒76.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 14
Language
  • German

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