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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Theuerste Freundinn,
Wieder zurük in die Mauern, die mir dadurch lieb sein können, weil sie Sie einschließen, und zu erst wieder mir selbst, meiner Einsamkeit, und meinen Gedanken, überlaßen; flieht meine Seele unaufhaltsam zu Ihnen. – Wie kommt es doch? – ich habe Sie erst vor 3. Tagen gesehen, ich muß es wohl oft länger ertragen Sie nicht zu sehen: Entfernung ist doch immer Entfernung, und ich bin gleich abgesondert von Ihnen, ob ich in Flaach, oder ob ich im Schwerdte zu Zürich bin – aber wie kommt es, daß die jezige Entfernung mir länger geschienen hat; daß mein Herz sich stärker nach Ihnen sehnt, daß ich Sie Wochen lang nicht gesehn zu haben glaube? – Habe ich neuerlich etwan falsch über Entfernung philosophirt? – O! daß doch immer unsre Empfindungen unsern strengsten Schlüßen widersprechen müßen!
Ich habe seitdem viel gelebt; bin so ganz in der Sphäre gewesen, wo mir’s wohl ist; in der, einer starken, mannigfaltigen, angestrengten Beschäftigung. Hätte ich die Lüken dieser Geschäfte mit Ihrem süßen Umgange ausfüllen können; hätte ich mit Ihnen, edle, gleichgestimmte Seele, laut empfin[/jden, und denken können, was ich gröstentheils im Innern meiner Seele verschließen muste, diese Tage wären beneidenswerth gewesen. Von der Geschichte derselben mündlich. – Daß ich mitten in meinen sentimentalen Vergnügen durch die Nachricht von dem Tode eines Mannes unterbrochen wurde, den ich schäzte und liebte, deßen Achtung eine meiner süßesten Genüße war, die mir Zürich gegeben hat, und deßen Freundschaft ich mir noch erwerben wollte, wißen Sie ohne Zweifel schon; und werden mich bedauert haben, wenn Sie wüsten, wie lieb mir der Mann war.
Ich werde Sie morgen sehen. Wie freue ich mich auf den Augenblik! Aber wie schmerzt es mich schon – sehn Sie das ungenügsame Herz! – daß es nur ein Augenblik sein wird.
Aber es hat eben 12. Uhr geschlagen. Schlafen Sie wohl, u. sanft. Ich gehe mit den Gedanken an Sie schlafen; werde mit ihm erwachen; und werde morgen noch eine oder ein paar Viertelstunden zu erhaschen, meinen übrigen Geschäften abzustehlen, suchen, um sie bei diesem Papiere, das mir theuer ist, weil es durch Ihre Hände gehn wird, zuzubringen. [/]
Wie mögen Sie diese Tage, wie besonders den Sonnabends Abend zugebracht haben? Das werde ich ohne Zweifel aus Ihren Briefen, die immer ein so schönes und so getroffenes Gemälde Ihrer Seele sind, sehen, aber doch kann ich es kaum erwarten. Werden Sie an mich gedacht – werden Sie mit Ihren Gedanken meine Beschäftigungen begleitet haben? Fast schmeichle ich mir, daß Sie dieses thaten, denn ich habe es gethan. Besonders waren von 6 - 8. Uhr Sonnabends meine Gedanken nur bei Ihnen, und ich spielte gegen meine Gesellschafterinn in Flaach, eine gewiße Jgfr. Ott aus Schafhausen, eine sonderbare Rolle. Sie bemerkte mein Stillschweigen, und meine Trokenheit, u. da sie mich sonst nicht ganz so gekannt hat, so hätte sie mich lieber aufgezogen. Ich wendete Müdigkeit, u. Ermattung von der Reise vor, und nun bedauerte sie mich so umständlich, und so gênant, daß sie nahe dran war, mir fatal zu werden. Wie kommt es doch, daß die Frauenzimmer am wenigsten sich von einer gewißen auswendiggelernten Etiquette losreißen können, und dadurch öfters ihre weit glüklichere Natur verzerren? Stof zu einer Unterhaltung, wenn ich den Sonnabend werde ersezt bekommen! [/]
Fast würde ich mich schämen, des Ihnen versprochnen Liedes zu gedenken, wenn Sie es nicht in Ihrem lezten Briefe erwähnten. – Ja, Sie sollen mir es noch vorsingen: ich will es noch aus Ihrem Munde hören, um mich aus der Entfernung sicher an Ihr Clavier, und in Ihre Gegenwart hinzuzaubern, in den Stunden, da ich berechnen kann, daß Sie es singen: – aber ich habe lange nicht mehr daran gearbeitet, ich sehe kaum, daß ich diese Woche noch daran kommen werde. Es soll meine lezte süße Arbeit in Zürich sein, wenn die andern abgethan sind, die mir auch dadurch angenehm werden, weil ich sie in Beziehung auf Sie betrachte.
Das Buch, wovon ich gesagt habe, will ich doch verschaffen, wenn es nur zu finden ist. Tobler kannte es nicht; heute will ich Nyschelern fragen, der fast alles hat, u. kennt, was gut ist. Es sind Bastholms Predigten. Ich halte sie für die schönsten, welche existiren. –
Wie ungern trenne ich mich von diesem Papiere. Wie gern legte ich noch einen, oder auch wohl zwei Bogen an, aber ich kann nun nichts mehr meinen Geschäften abstehlen. Ihnen, die Sie mich in allem beschämen – ich sage das mit innigem Gefühl, daß es wahr ist, und mit Schmerz, daß ich’s nicht ändern kann, daß ich leider! nach Ihrer Bestimmung, ein männliches Geschöpf bin, das, besonders jezt, den Kopf immer voll hat, immer voll Projekte, u. Pläne, in einer beständigen Unruhe ist – Ihnen ist’s vorbehalten, mich auch im Briefschreiben zu übertreffen – schwerlich aber in den Empfindungen, mit denen ich bin Ihr wärmster Freund.
Metadata Concerning Header
  • Date: 08./09. März 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 77‒79.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 13
Language
  • German

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