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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Montags
Meine geliebteste, theuerste Freundinn,
Ich bin eher wieder zurük gekommen, als ich gerechnet hatte: schon gestern Abends. Ich reis’te nicht allein, sondern in der Gesellschaft des Baron v. Walldorf, u. des D. Bey’r. Die Geschichte meiner Reise, und meines Aufenthalts in Flaach, die nicht unintereßant sind, einmal mündlich! wenn wir – nicht, nichts intereßanteres zu reden haben, – das werden wir immer haben – sondern, wenn wir es, weil wir nicht allein sind, nicht können.
Wie viel ungleich wichtigeres habe ich Ihnen hier zu sagen! Sie haben ein Geheimniß, ein unerklärliches Geheimniß, immer stärker, und fester an sich zu ketten: mein Anhängen an Sie entstand nicht urplözlich, wie es sonst zuweilen entstanden, und eben so plözlich verschwunden ist. Mein Genius zwar deutete mir, als ich Sie das erstemal sahe, ganz leise, daß diese Bekanntschaft für mein Herz, für meinen Charakter, und für meine Bestimmung nicht gleichgültig sein werde: aber so wie ich Sie näher kennen lernte, zog mein Verstand und mein Herz mich immer näher zu Ihnen hin, und jezt – zieht sich die Schlinge immer fester zu. Wie machen Sie das? oder vielmehr, wie mache ich es? – O! ich weiß es nur zu wohl. In Ihnen ruht ein Schaz, der sich nur willkührlich eröfnet, – der sich nicht ohne Wahl vergeudet – und einer gleichgestimmten Seele eröfnet er sich immer mehr, und zieht sie an sich.
Ihr Anerbieten vom Freitage hat mich gerührt, hat mich noch weit mehr von [/] Ihrem Werthe überzeugt, als ich es war, wenn das möglich ist. – Nicht, daß Sie sich etwas, was Ihnen vielleicht, wie Sie es nennen, eine Kleinigkeit sein kann, für mich berauben wollten: tausend andere könnten das auch thun: – sondern daß Sie, da Sie doch etwas von meiner („stolzen“ nennt es die Welt) Denkungsart bemerkt haben musten, es mir mit so einer Natürlichkeit, u. Offenheit antrugen, als wenn Ihr ganzes Herz Ihnen sagte, daß ich Sie nicht verkennen könnte; daß, wenn ich auf der Erde noch von keinem Menschen so etwas angenommen hätte, ich es von Ihnen annehmen würde; daß wir zu einig wären, um über dergleichen Dinge zweierlei Meinungen zu haben. – Theuerste, Sie haben mir dadurch einen Beweiß Ihres Zutrauens, Ihrer Güte – Ihrer (ich darf das Wort schreiben?) Liebe gegeben, worüber ein größerer nicht möglich ist. – Wäre ich jezt nicht ganz der Ihrige, gewiß, so wäre ich ein Ungeheuer, das weder Kopf, noch Herz, noch Ansprüche auf Glük hätte. –
Um aber auch mich in meinem wahren Lichte zu zeigen, so haben Sie hier meine wahren Gedanken über diese Sachen, und meine Empfindungen, so wie ich sie selbst in meiner Seele las. –
Als Sie mir den Brief übergaben, und ich an der Schwere deßelben etwas besondres fühlte, so regte sich – ich gesteh’ es mit tiefer Be[/]schämung – der Stolz. Es fiel mir ein, was ich Ihnen neuerlich geschrieben hatte; ich – thörichter! – konnte einen Augenblik – länger nicht – glauben, Sie hätten mich misverstanden. Doch war ich selbst in diesem Augenblike, mehr betrübt als beleidigt. Der Schlag kam von Ihrer Hand. – – Plözlich erwachte die beßere Seele; ich fühlte den ganzen Werth Ihres Herzens in dieser Begegnung, und war tief gerührt. Wäre nicht in diesem Augenblike ihr Papa gekommen, ich wäre meiner Rührung nicht Meister gewesen. Nur etwas Beschämung, Sie, und mich einen Augenblik herabgewürdigt zu haben, hielt sie so lange in Schranken.
Nehmen konnte ich es nicht: nicht als ob Ihr Geschenk mich erniedrigte, nur erniedrigen könnte. – Ich könnte den haßen, – haßen, wie ich niemand haße, mich grimmig an ihm rächen: wer mir, aus Mitleid mit Dürftigkeit, etwas schenken wollte. Hier ist vielleicht die verwahrlos’teste Seite meines Herzens. – Aber die Geschenke der Freundschaft, einer Freundschaft, die wie die Ihrige einige Achtung zum Grunde hat, können aus Mitleiden nicht kommen; sie ehren, statt zu entehren. – Aber, wahrhaftig! ich brauche es nicht. Ich bin ohne Geld, das heist bei mir, ich habe keines, unberechnete Ausgaben zu machen; zu den sehr kleinen regelmäßigen habe ich, bis zu meiner Abreise, genug. In Verlegenheit – ich glaube, die Vorsehung waltet über mich! – komme ich nie, wenn ich kein Geld habe. Ich habe davon Beispiele, die ich drollig nennen würde, wenn ich nicht auch da die Wege der Vorsicht erkennen müste, [/] der es nicht zu gering scheint, sich bis zu unsern kleinen Grillen, und Konventionen herabzulaßen.
Das Geld im ganzen scheint mir eine sehr geringfügige Möbel. Ich glaube, daß man mit etwas Kopf immer seine Bedürfniße findet, und weiter ist das Geld doch warlich zu nichts nüze. Ich habe es daher immer verachtet; aber leider! ist, besonders hier zu Lande, ein Theil der Achtung unserer Mit-Menschen daran gebunden, und diese ist mir nie gleichgültig gewesen. Vielleicht werde ich auch dieser Schwachheit nach und nach los; sie trägt eben nicht viel zu unsrer Ruhe bei.
Durch diese Verachtung des Geldes nehme ich schon seit 4. Jahren keinen Heller von meinen Eltern, weil ich noch 7. Geschwister habe, die alle jünger, zum Theil noch ganz unerzogen, sind: und weil ich einen Vater habe, der in seiner Zärtlichkeit gegen mich, das, was er seinen übrigen Kindern schuldig ist, an mich wenden würde; es, nach dem Vorwurfe meiner Mutter, die – welch’ eine Erscheinung! – bei der auffallendsten Geistes, und körperlichen Aehnlichkeit, sich nie besondre Zärtlichkeit gegen mich gezeigt hat, und einiger Geschwister, die ihr ergeben sind, schon gethan hat; welches aber, zu meiner Beruhigung nicht ist – nehme selbst nicht Geschenke, unter welcherlei Vorwand es sei, und habe, seit der Zeit, mich recht wohl erhalten, und mich gegen meine Eltern, besonders gegen meinen zu zärtlichen Vater, mehr à mon aise gestellt, als ich zuweilen war. [/]
Aus eben diesen, und aus noch zärtlichern Gründen, habe ich von einer gewissen Person, die Sie aus meinen Briefen kennen, und die lieber gar nichts für sich behalten hätte, nie etwas annehmen wollen, als was sie mit ihren Händen gearbeitet hatte; und bin immer bedacht gewesen, ihr den Werth durch andere Geschenke, die sie so gefällig war, anzunehmen, zu ersezen.
Dennoch, – wie glüklich fühle ich mich, theure, herrliche Seele, mit Ihnen so reden zu dürfen! – verspreche ich Ihnen, daß wenn ich je in Geldverlegenheiten kommen sollte, wie es nach meiner Denkungsart, und nach meinem Glüke nicht das Ansehen hat, – Sie die erste Person sein sollen, an die ich mich wende; an die ich mich je, seit ich von meinen Eltern nichts haben will, gewendet habe. Ihr Herz ist es werth, diese Versicherung zu erhalten; und das meinige nicht unwerth, sie zu geben.
Ihr Detail über Ihre häusliche Lage hat mich, – darf ich es Ihnen sagen? – nicht gefreut. Ich erkenne auch hierinn Ihr Zutrauen, Ihr offenes, Ihrem glüklichen Freunde unverhohlnes Herz: Ich erkenne die liebenswürdige Absicht, die Sie dabei hatten: Sie verkennen? – Edle, Sie kannten mich zu wohl, um zu wißen, daß ich deßen nicht fähig war. Aber, – vielleicht ist es Grille – es wäre mir lieber, wenn ich über Ihre Vermögensumstände nicht unterrichtet wäre; – [/] nicht um Ihretwillen, sondern um meinetwillen – es giebt einige Dinge, von denen auch der bloße Schein erniedrigend ist – und ich bin vor keiner Schwachheit sicher, wenn sie sich mir unter der Gestalt der Ehre darbietet.
Weil wir bei diesem Artikel sind, etwas von Herrn Achelis. – Er war vorige Woche bei mir, und ich bezeigte ihm meine Verehrung seiner braven Handlung. – Ich denke darüber so, antwortete er mir: „Wenn jemand der mehr Verdienst hat, als ich, weniger Vermögen hat, so halte ich das für eine Ungerechtigkeit, und ich suche es, soviel möglich, abzustellen. Ich glaube dann, daß ich nur aus Barmherzigkeit so von der Vorsehung getragen werde“ – Daß das bei ihm nicht ein so zur Schau ausgehängtes Sentiment, sondern das ganze Herz ist, weiß ich. – Und zugleich erfuhr ich, daß er ein so schlechter Wirth ist, daß er nie weiß, wie er mit seinen Schulden, u. mit seinen Einnahmen steht. – Das leztere ist ohne Zweifel ein Fehler: aber, es erhöht den Werth seiner Handlung; es zeigt sein Herz offen. Es ist ein herrlicher Mensch; aber man muß sein Gutes herauszugraben wißen. – Daß Sie sein Mitleiden erregt haben, laßen Sie sich nur nicht reuen: er steht unter der Vormundschaft der Vorsehung, wie ich. Er ist bestimmt zu geben, so lange er hat; und nicht zu darben, wenn er auch einmal nicht hat. [/]
Ueber Hofleben hätte ich noch sehr viel zu sagen. Den Gesichtspunkt, aus dem ich es ansehe – als eine neue Bearbeitung des Charakters – wißen Sie. – Mündlich, oder ein andermal schriftlich, mehr davon! Nur dies noch – Aufrichtigkeit, und Geradheit wirken am meisten, wo sie am seltensten sind: ich habe mit diesen Dingen nie mehr gewirkt, als bei falschen Leuten.
Maßenhausen habe ich in Olten unter einer Gestalt kennen lernen, die man allenfalls dem jungen Studenten verzeiht, die aber dem gesezten, ernsthaften Manne nicht wohl ansteht, und die bei ihm eine große Verdorbenheit des Geschmaks, und Mangel an Gefühl für’s Gute und Edle anzeigt. Ueberdies hatte ich ihn schon vorher mehrmals gesehen, ohne zu ihm die geringste Anziehung zu bemerken; und einen solchen werde ich nie lieben können, und gern verbunden sein. Mit mir ging es ihm, scheint mir’s, eben so; und wenn er sich meines Namens noch errinnert, so hält er mich gewiß für einen du commun. Ueberdies war er der Freund eines Clubbs, den ich nicht liebe – der Doctor Berends, der Füßli, u.s.w. – Zugleich mit ihm lernte ich den Baron v. Salis, den bekannten Dichter, kennen; diesen sah’ ich nur einmal; habe gewiß weit weniger mit ihm gesprochen, als mit jenem; aber wie gern wäre ich diesem verbunden!
Für die Bekanntschaft, die Sie mit der Bernerinn machen wollen, und das Intereße, das Sie bei ihr für mich erregen wollen, danke ich Ihnen tausendmal. Einer Freundinn von Ihnen mag ich gar zu gern verbunden [/] sein. Dieser Weg scheint mir weit liebenswürdiger. – Der Erfolg deßelben, so wie aller anderen, sei der Vorsicht über laßen, von der allein ich abhänge, und der allein ich folgen werde. Was sich mir paßendes zuerst anbieten wird, das werde ich, als aus ihren Händen, annehmen, und will daran ihren Wink erkennen.
Dienstags.
Ich hoffe Sie heute zu sehen – darf es leider nur hoffen – und dennoch habe ich es mir mit mehr Sehnsucht gewünscht. Ich weiß nicht, ob Sie unwillig auf mich sind. Sie könnten es wohl sein: Sie hätten Ursachen genug. – Ich bin in Angst wegen meines Billets am Sonnabende: ich weiß nicht, ob es sicher und zuerst in Ihre Hände gekommen ist. Ich glaube, Sie, von der ich so gern alle liebenswürdigen Eigenschaften in mich überpflanzen möchte, haben mir auch etwas von Ihrer kleinen Schwachheit, Ihrer Furchtsamkeit, mitgetheilt. Können Sie glauben, daß ich es nicht über mich habe erhalten können, den Knecht zu fragen, an wen er das Billet abgegeben hat, da ich sonst eben nicht schüchtern gegen ihn bin? Ich wollte es so einrichten, daß es ohne Nachtheil in die Hände Ihres Papa fallen könnte: ich weiß aber nicht, ob es ganz so gerathen ist. – Und werden Sie mir es vergeben haben, daß ich Sie am Freitage ruhig in der Meinung ließ, ich käme den Sonnabend zu Ihnen? Ich glaubte würklich schonend u. zärtlich zu handeln: es ist aber sehr möglich, daß ich nur eigennüzig gehandelt habe. Ich [/] wollte nur Ihr gütiges Misvergnügen darüber nicht sehen; aber konnte ich verhindern, daß Sie es nicht eben so wohl, obgleich in meiner Abwesenheit, empfanden? Ich wollte nur meine Betrübniß darüber nicht Ihnen zeigen; aber konnte ich verhindern, daß Sie sie nicht eben sowohl sich dachten, und mich vielleicht gütig bedauerten.
Könnte etwas für einige Stunden Ihres Umgangs entschädigen; so wäre ich entschädiget. Ich habe die rührendsten Beweise von der Zuneigung der guten alten Witwe, die ich doch nur zum drittenmale sahe, und von ihrer Dankbarkeit für einige Gefälligkeiten, die mir nichts, gar nichts wären, wenn sie mich nicht zwei Tage bei Ihnen gekostet hätten, erhalten. Sie weinte, als ich Abschied von ihr nahm, ohnerachtet ich ihr Hofnung gelaßen hatte, daß ich sie vor meiner Abreise noch sehen würde. – – Ich suche alle Eitelkeit abzulegen: mit einigen, z. E. mit dem gelehrten Ruhme, sehr früh, mit der Begierde wizig zu sein, u. dergl. hat es mir angefangen ein wenig zu gelingen: aber die Begierde geliebt, von simpeln treuen Seelen geliebt zu sein, kann keine Eitelkeit sein, und diese will ich nie ablegen.
Welch’ ein ganz neues, frölicheres, herrlicheres Dasein ich habe, seitdem ich sicher bin, es von Ihnen zu sein; wie sehr es mir wohl thut, daß eine so edle Seele an mir Antheil nimmt, und solchen Antheil nimmt: das kann ich Ihnen nicht aussprechen. Ich möcht es wohl, um Ihnen danken zu können. [/]
Meine Abreise, Theuerste, naht heran, und Sie haben endlich das Geheimniß gefunden, mir den Tag derselben, der mir sonst ein Tag der Erlösung schien, zum Bittersten meines Lebens zu machen.
Ich will Ihnen nicht sagen, ob der Tag schon bestimmt ist. Wenn Sie es nicht schlechterdings wißen wollen, so sollen Sie ihn nicht erfahren. Wegen des Abschiednehmens – ja es ist bitter, es ist sehr bitter; und die Errinnerung deßelben hat immer etwas schmerzliches. Aber Eins von uns, und das bin ich, muß doch das Bewustsein tragen; es ist jezt – vor eine Zeit, wenn Gott nicht über Eines von uns Leben befiehlt – das leztemal, daß wir uns sehen. – Wenn Sie also nicht schlechterdings das Gegentheil wollen, so sollen Sie nicht erfahren, wenn ich das leztemal bei Ihnen bin.
Ich liebe den leeren Raum in Briefen der Freunde eben so wenig als Sie, und doch haben auch Sie mir im lezten ein Beispiel deßelben von anderthalb Seiten gegeben. Nicht um dieses Beispiel nachzuahmen, sondern weil sich die viel seeligere Stunde, wo ich Sie nach meiner Hofnung sehn werde, naht, muß ich dies Beispiel nachahmen.
Leben Sie recht wohl. Ihr heutiger Brief wird mir schon einen Tag bestimmen, da ich Sie sehen soll. Mit Schmerz trennt sich von Ihnen
Ihr
ganz Ihnen gewidmeter Freund.
Metadata Concerning Header
  • Date: 15. bis 16. März 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 81‒87.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 16
Language
  • German

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