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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Beste, theuerste Freundinn,
Es thut mir doch weh, daß meine Reise nach Flaach, eine Abwesenheit von höchstens 30. Stunden, von denen ich doch nur etwan 3. in Ihrer Gesellschaft hätte zubringen können, Sie so geschmerzt hat! – Hätte ich mir das so gedacht, gewiß ich hätte es abgeschlagen. – Aber gute, theure Seele! – ich habe weiter zu reisen, und länger entfernt zu sein. Ich habe auch ein Herz, das meinen eignen Schmerz vielleicht wird tragen können: aber den Schmerz einer so theuren Person auch noch dazu? – Wäre eine Bekanntschaft von einer nicht gar zu langen Zeit, von der wir nur im lezten kleinsten Theile einander ganz haben kennen lernen, des Schmerzes den uns die Trennung verursachen wird, werth, wenn wir uns nicht wiedersehen, nicht froher wiedersehen sollten? – So denke ich jezt, und dieser Gedanke gewährt mir viel Trost. Ich wünschte, daß Sie denselben mit eben der Sicherheit, und Ueberzeugung faßen möchten.
Die Sonnabends Gesellschaft hat sich eben nicht verloren, sondern D. Beyr war mit mir, (verzeihen Sie – wollen Sie mir’s wohl verzeihen? – daß ich auch diesen geraubt habe) Achelis hatte an seiner Predigt, die Sie am Sonntage werden gehört haben, zu lernen, u. Brünings – befindet sich vis a vis, oder en trois nicht wohl. Es thut mir sehr leid, daß dieser Mann, den ich sehr geneigt war, für eine Art von Rousseau zu halten, so viel bei mir verliert. Ich will aber, ehe ich verreise, noch einmal in sein Herz dringen, um eigentlich, soviel mir gelingen wird, zu wißen, was an diesem merkwürdigen Phänomen ist. – Was er Ihnen gesagt hat, hat ihn [/] mir abermals schlecht empfohlen. Mich däucht, es ist da eine sehr alberne Eifersucht, Ansprüche, die man nicht geltend machen kann, und noch dazu – viel Mangel an Lebensart.
Daß Sie meine paar Vers’gen so werth halten, dafür dank ich Ihnen tausendmal; ich laße Ihnen nun wenigstens etwas von mir, das Ihnen lieb ist. Aber – verzeihen Sie gütigst! – hier hat abermal Ihre Güte Ihr Urtheil geblendet. Die Verse, ob sie gleich die besten sind, die ich machen konnte, sind doch schlecht: ich versichre es Ihnen; u. wollen Sie es bewiesen haben, so fragen Sie nur Herrn Brüning. Das aber gestehe ich, daß Sie mir vielleicht werden lieb werden, wenn ich sie von Ihnen singen höre.
Wegen des bewusten Papiers also haben Sie mir doch Unrecht gethan. Wie konnten Sie durch die Zurükgabe deßelben sich beleidigt finden? – wie konnten Sie daher Anlaß nehmen, an meiner ganzen, innigen Freundschaft gegen Sie zu zweifeln? Wie konnten Sie nicht eben die Denkungsart, und eben die Empfindungen bei mir voraussezen, die ich Ihnen in meinem gestrigen Briefe gesagt habe, und durch die ich vor Ihrem Kopfe u. Herzen gerechtfertigt zu sein glaube, wie vor dem meinigen? – Aber ich war auch einen Augenblik lang [/] schwach gewesen: und ich würde mich freuen, daß Sie sich durch diese kleine Schwachheit mehr zur Gleichheit mit mir herablaßen, wenn ich nicht aufgelegter wäre Sie, als eine Erhabnere, zu verehren. – Wir müßen also gegen einander abrechnen.
Papa’s Brief will ich weder jezt, noch je, lesen. Es génirt eben so, sein eignes Lob zu lesen, als es den Freund génirt, im Schreiben zu denken, sein Freund werde es lesen. Wollte ich ihn um etwas bitten, so würde es das sein, ja nicht zu viel gutes zu sagen: wenn etwas aus dem Projecte werden sollte, so ist es hart, eine hohe Meinung zu souteniren, doch – die Vorsehung thue auch hier was sie wolle. Eine hohe Meinung spornt kräftig an, und ich will so viel werden, als ich werden kann. Unterliege ich – nun wohl – so war auch das der Wille der Vorsehung, daß ich unterliegen sollte.
Daß Sie gestern in dem Wetter – auf kein Versprechen, wie Sie sagten, Sie hatten mir nichts versprochen – kamen, dafür dankt Ihnen mein ganzes Herz; und eben so sehr Ihnen, u. dem Zufalle, daß [Sie] heiter waren. Auf den leztern war ich schon sehr unwillig, denn bei’m Eingange in den holen Weg, traf mich ein Bube, der mich kennt, und da ein langes Gespräch mit mir anfangen wollte. Als ich ihn kurz fortschikte, so trieb er – vermuthlich um meine Bewunderung zu reizen – seinen Reif [/] lange hinter mir her; das konnte ich ihm nun nicht verbieten: ich lief aber desto schneller, u. er verließ mich eben, da ich anfing Sie zu erbliken.
Predigen werde ich hier leider! – (in Flaach gewis nicht –) nicht mehr können; gern thäte ich es, da es Sie freut, wenn sich eine Gelegenheit darböte. Ich habe keinen offenbaren Widerwillen Prediger zu werden; und wenn sich jezt in Sachsen eine honnette Gelegenheit zuerst dazu zeigte, und die theologische Denkungsart darinne sich ein wenig änderte, wie es das Ansehen gewinnt, so würde ich es nicht ausschlagen. Aber ich will alles erwarten und zu allem gefaßt sein.
Ihr Urtheil über mein Predigen ist wohl auch durch Ihre gütige Denkungsart gegen mich modifizirt. Ich glaube – denn ich haße die falsche Bescheidenheit – einige Anlage zum Prediger zu haben; aber es fehlt noch weit mehr, als da ist.
Die Nachricht wegen dem Freitage ist mir sehr schmerzlich. Wie können wir der unangenehmen Folge ausweichen? Denken Sie nach! ich habe dazu keinen Verstand, und keine Erfindungskraft: aber so viel darf ich sagen: die Stunden sind uns sehr theuer: sie sind gezählt.
Bald, Theuerste, beste, sieht Sie
Ihr
Sie innig liebender Freund.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 17. März 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 87‒90.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 17
Language
  • German

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