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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Schaffhausen, den 6ten April, gegen Abend.
Theuerste Geliebte! Erst diesen Mittag bin ich hier angekommen. Wie ich mich nach Schaffhausen gesehnt habe, ist unaussprechlich; denn ich wußte, daß ich hier Briefe von Dir erhalten würde. Mein Wunsch, meine Hoffnung betrog mich nicht: aber Deine Sorge für meine Gesundheit ist zu gütig. Bestes, theures Kind, Dir zu Liebe, mit dem Andenken, mit dem Glauben an Dich will ich das Hausmittel gebrauchen, das Du mir nachgesendet hast. Schade, daß ich es nicht noch diesen Abend nehmen kann; aber mein Koffer, in den ich es hineingethan, muß [/] eben jetzt auf die Post. In Stuttgard aber wird es gebraucht. – Doch, guter Engel – ist es Dein Schutzgeist, der mich so gütig begleitet – ich bin in Absicht des Magens sehr gesund. Einen Catarrh zwar führe ich schon seit einigen Tagen; aber das hat nicht viel zu sagen.
Ich habe eine sehr ermüdende Reise gemacht. Mittwoch früh, den 31sten März, war ich in Sax bei Eschern, wo ich seinen herrlichen Bruder und seine treffliche Mutter kennen lernte. Den grünen Donnerstag habe ich mit Andacht und Andenken an Dich kommunicirt, und Nachmittags gepredigt, um nicht müßig zu seyn; denn mein unruhiger Geist begleitet mich allenthalben hin. Den Freitag darauf machte ich mit Escher’s Bruder eine kleine Fußreise nach einem österreichischen Städtchen, Namens Feldkirch. – Sonnabends, den 3ten April, verreiste ich von Sax durch das Rheinthal herauf, und kam den ersten Feiertag nach Constanz; den zweiten verreiste ich von da und bin heute hier.
Escher, der wirklich schlecht ist, aber – wohl ihm! – Glauben und Muth noch nicht verloren hat, noch voller Plane und Aussichten auf die Zukunft ist, noch fleißig und gut arbeitet, hat sich anheischig gemacht, Dir die Frühlingsfeier (von Klopstock) in Musik gesetzt zu schicken. Er wird und muß Wort halten. Dafür bitte ich Dich, ihm, wenn er nach Zürich kommt, die confessions von Rousseau zu leihen. – Sieh, meine Theure, so disponire ich auch in der Entfernung noch über meine Freunde! Lache, aber nimm es nicht übel! –
Gutes Kind, auch sogar in Briefen kann ich mich nicht mehr so, wie ich es möchte, mit Dir un[/]terhalten. Die dritte Seite geht zu Ende, und ich habe noch viel zu schreiben, und bin herzlich müde. Doch denke ich in Stuttgard ein Paar Stunden zu erobern; und diese sollen Dein seyn, so wie alle meine andern freien Stunden, so wie mein ganzes Leben, so wie ich selbst Dein bin.
Papa soll nicht spotten. Die gute Titot, welche ich herzlich zu grüßen bitte, soll nicht vergessen werden. Ich habe einen Brief von Lavater an die Herzogin von Wirtemberg.
Grüße Br. und Achelis, und theile dem letztern, so viel als Dir gut scheint, aus meinem Briefe mit. Die Silhouette hat er genommen. Er soll auch die Deinige nehmen, und sie mir schicken, oder ich bin ihm böse. – * * * hat mir Politesse erwiesen; aber seyd gegen ihn auf der Hut; ich weiß nicht ganz, ob sein Charakter nicht zweideutig ist.
Lebe wohl, theurer Engel. Gott sei bei Dir. Mein Geist fliegt Dir zu, mein Herz schlägt für Dich. Ewig der Deine.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 6. April 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Schaffhausen · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 95‒97.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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