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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Leipzig, d. 14. Mäi. 1790.
Theuerste, innigstgeliebte Seele,
Du wirst auf mich – zürnen – nein, das wird Dein sanftes Herz nicht; aber es wird sich betrüben, es wird leiden, vielleicht bitter leiden, daß ich Dir nun seit Stuttgard, seit 4. Wochen, und drüber, nicht geschrieben habe. Soll ich mich jezt entschuldigen? nein bei Dir hätte ich mich nicht zu entschuldigen – Du gute, edle, sanftliebende Seele; aber bei meinem eignen Herzen hätte ich es, daß ich Dir hätte Leiden verursachen können.
Während ich in Frankfurt, oder vielmehr in Offenbach war, war kein Posttag, und ich ersah überdies aus Deinem Briefe, daß Du den meinigen von Stuttgard noch nicht hattest. Ich beschloß also auf der nächsten Post zu schreiben. Jezt kam ich aus aller Connexion mit den Posten, und, seit Toblern, mit Menschen, mit denen ich mich hätte verständigen können – reis’te meist zu Fuße, oder mit Miethkutschen, und gab meinen Koffer einem Fuhrmanne. Gedankenlosigkeit und Dumpfheit umnebelte meinen Kopf; von einer andern Seite drang Kummer, und Sorge auf mich ein, und ich war nur zu glüklich, wenn ich durch Aufsuchung einiger schönen NaturErscheinungen – ich reis’te eben in der rauhsten Gegend, die diese Route hat – meinen Kummer täuschen, mich betäuben, und vom Nachdenken abziehen konnte. Etwas zu schreiben war ich so unfähig, und, um nicht zum Bewustsein meiner zurükgebracht zu werden, so unentschloßen; daß auch mein ReiseJournal unterblieb, welches erst in Gotha nachgeholt wurde. In Gotha begegnete mir abermals Verdruß. Ich muste, hier wo ich wieder Menschen finden sollte, anderthalb Tage im Gasthofe inne liegen, und den langsamen Fuhrmann mit meinem Koffer erwarten, Geld verzehren, und dann obenein dem Fuhrmanne doppelt so viel bezahlen, als recht war. Meine Sorge stieg, denn ich sah’ nun deutlich, was ich vorher nur mit der höchsten Warscheinlichkeit besorgt hatte, daß meine Reise, statt 6. Carolins, wie ich berechnet, volle [/] 11. meine ganze Baarschaft kosten, würde, und daß ich fast ganz ohne Geld, in Leipzig ankommen würde. Was sollte ich Dir in dieser Lage über mein Befinden schreiben? Unwahrheiten sagen? Die sage ich keinem Menschen. Die Wahrheit verschweigen? Dieses wohl thue ich gegen andere, aber durfte ich es gegen Dich ohne die erste Pflicht der Liebe zu verlezen?
Ich gestehe Dir’s; denn Du – aber nur Du darfst mich mit allen meinen Eigenheiten, Fehlern, und – Lastern, – denn hier war ich nahe daran lasterhaft zu sein – ganz kennen – ich gestehe Dirs, seit vorgestern noch, als dem Tage meiner Ankunft in Leipzig, nachdem ich schon Deinen Brief von Prof. Palmer erhalten, tobte ein Kampf, ein harter Kampf in meiner Seele, ob ich (haße mich darum nicht, gute Seele) Dir gar nicht mehr schreiben sollte, wenn meine Lage sich nicht änderte, oder ob ich sie Dir ganz aufrichtig entdeken sollte; (denn der dritte Fall konnte nicht in die Frage kommen, Falschheit in der Liebe ist ein Laster, deßen ich nicht fähig bin.) – Das erstere wollte die Eitelkeit; das leztere heischte Liebe und Ehre. – Ich wuste, daß Herr Bohn einen Brief von Dir für mich habe; ich wuste ihn zu finden; ich wuste, daß er morgen abreis’te, und doch war ich (haße mich darum nicht!) entschloßen, nicht eher, als eine halbe Stunde vor seiner Abreise zu ihm zu schiken, wenn mein Kampf sich nicht eher entschiede, und dann ihn nicht zu erbrechen, bis ich bestimmt wäre. Endlich nur, und das gestehe ich Dir mit Beschämen, siegte Liebe, und Ehre über eine so kleine, so niedrige Eitelkeit. Ich entschloß mich ganz aufrichtig zu sein.
Es findet sich vor der Hand hier nichts für mich zu thun, als Schriftstellerei. Ideen habe ich dazu genug, Morgen werde ich Weisen, der bis jezt auf dem Lande war, darüber sprechen. Ich habe einen Plan zu einem Journale gemacht, um das lesende Publikum, und besonders Dein Geschlecht für schädlicher Lectüre, der Quelle so vielen Verderbens, zu warnen, und Ihnen nüzlichere Bücher in die Hände zu brin[/]gen. Wenn ich hierzu einen Verleger finde, so kann ich hoffen, aber erst nach einiger Zeit, vor der Hand Brod, und vielleicht Ehre zu haben, und dann ruhiger meinen Hauptzweken entgegen zu arbeiten.
Aber bis dahin, das heißt, bis das Journal, oder auch eine andere Schrift, denn ich habe mehr Ideen, geht, und sich bezahlt? – Keinen einzigen Freund habe ich mehr hier gefunden. Palmer, mein einziger, mit dem ich aber so vertraut nicht bin, noch werden kann, denn er ist herzlich steif, ist selbst in einer drükenden Lage. Kurz, ich bin in Verlegenheiten, wie ich noch nie darinne war. Ich sehe nichts vor mir, als Unannehmlichkeiten, Prostitutionen, Verfall, wenn mir nicht geholfen wird, wenn Du mir nicht hilfst; denn nur Dir, und sonst keinem Sterblichen würde ich mich so entdeken.
Mache zusammen, so viel Du kannst ohne Dir zu schaden, doch nicht über 10. Carolins, und schike es mir. – Aber mit der Bedingung – kein Mensch, selbst Dein Vater nicht, so sehr ich ihn ehre, und liebe, darf etwas davon erfahren. – Dies ist nicht mehr Eitelkeit, dies erfordert die wahre Ehre. – Keiner Seele auf der Erde, selbst meinen Eltern nicht, bin ich die Pflicht aufrichtig zu sein, so schuldig, wie ich sie Dir bin; aber auch von keinem Menschen darf ich es so erwarten, daß er mich um dieser Verlegenheiten willen nicht geringer schäzen werde, als ich es von Dir darf. Wir sind, das fühle ich sehr tief, vor den Augen Gottes vereinigt; wir sind nur eine Person; wir haben ein gemeinschaftliches Intereße, wir können uns nie absondern, nie Zwei sein. Unsere Seelen müßen einander immer gegenseitig offenstehen; jeder muß in der des andern so lesen, wie in seiner eigenen, weil auch die andere seine eigne ist.
Aber eile; in 14. Tagen, in drei Wochen kann ich schon in der dringendsten Verlegenheit sein. Heute über 8. Tage erhältst Du diesen Brief. Mit der SonnabendsPost kannst Du mir nicht schreiben, aber mit der MittwochsPost, d. 26. Mäi. Ich weiß nicht, ob von Zürich aus eine reitende Post geht; geht eine so gieb ihn da drauf; er geht dann schneller. [/] Baares Geld kannst Du mir nicht füglich schiken. Es würde ein ungeheures Porto machen. Du müstest also zu einem Zürcher Banquier gehn, und Dir einen Wechsel auf ein Leipziger Haus geben laßen. Ich sehe daß dies, nicht an sich, aber in Absicht auf Dich, seine Schwierigkeiten hat. Aber der Ausflüchte z. B. Aufträge von Arau, oder Bern zu haben, um Meßwaaren in Leipzig zu bezahlen, u. dergl. sind mancherlei, und ich weiß, Du gute reine Seele, daß die Liebe Dich erfinderisch macht.
Die Addreße gerade zu an mich, könnte bei diesem Briefe Dir und mir unvortheilhaft sein, weil das neugierige Zürich doch aufpaßen könnte. Das beste wäre also, Du paktest den wohlverwahrten, an mich addreßirten Brief in ein Couvert an meinen Wirth, Herrn Weinhold, auf der Fleischergaße neben dem grünen Schilde. Kein Mensch in Zürich weiß diese Addreße, als H. Achelis, und der läßt nicht aufpaßen.
Siehe, theurer Engel, das ist das einzig übrige Mittel mich zu retten. Hätte ich Dich nicht, wie ginge es mir jezt! wie trostlos wäre ich vielleicht in dieser Minute, ich, der ich nun ganz freudig bin, nachdem ich mich Dir entdekt habe, der ich nun meine Angelegenheiten sehr gut versorgt weiß, da sie auf Deinem Herzen ruhen. – Aber hätte die Vorsehung Dich mir nicht geschenkt – o! ich traue ihr sicher, sie hätte mich nicht in diese Versuchung kommen laßen, sie hätte gewust, daß ich ohne Dich ihr untergelegen hätte.
Noch habe ich ohngefehr anderthalb Stunden Zeit mit Dir zu schwazen, dann wird der Schlaf mich gewaltig feßeln, denn es ist schon über 12. Uhr, und ich habe alle meine übrigen Briefe, deren ich 6. nach Zürich schike, alle vorher im kurzen abgethan, um alle übrige Zeit ganz Dir zu widmen.
Du gute liebe Seele, mit welcher EngelsZärtlichkeit verlangst Du mein Portrait! – Hätte ich doch, da ich dieses las, – denn mein Kampf war da schon geendet – zu Dir fliegen können, um einen Theil Deiner zärtlichen Seele durch tausend Küße in mich zu hauchen! Ich las den Brief auf der Promenade, denn es war mir zu weitläuf[tig,] erst von Bohn nach Hause zu gehen. Neben mir auf der Bank saß ein vierschrötiger Markthelfer, eine dicke Seele. Sogar diese dicke Seele schien meine Bewegung zu merken, als ich an diese Stelle kam; denn sie glotzte mich an. – Ja, Theuerste, ich brenne vor Begierde, daß mein Bild bald an dem seligen Platze sey, den du ihm bestimmst, – gleich Deinem Vater – an der Seite Klopstock’s! Aber Du siehst, Theuerste, daß ich dies in meiner gegenwärtigen Lage nicht besorgen kann, daß ich warten muß.
Ueber die Rosenblätter, die von Deiner Hand gepflegten Rosenblätter, lächle der Fühllose: mir sind sie heilig, und sie sind bei Deinem ersten Veil[/]chen und bei dem Hyazinthenstrauße, den Du mir in der heiligen Stunde des Abschieds gabst, verwahrt. Ich zürne, daß sie vergänglich sind, sonst trüge ich sie auf meiner Brust.
Dein Hausmittel habe ich erst einmal, und zwar in Leipzig gebraucht. Ich bedarf seiner nicht, denn ich habe die ganze Reise über und auch hier in Leipzig eine eiserne Gesundheit. Wenn es nur so bleibt, und wenn das viele Sitzen, das ich jetzt von Neuem anfange, meine Gesundheit nicht wieder angreift! – Ich habe auf der Reise mehr Farbe bekommen, bin aber entsetzlich schwarz geworden. Doch das ist kein Unglück; nicht wahr? Und die Stubenluft wird wieder bleichen, was die Sonne geschwärzt hat.
Aber wann erhalte ich denn dein Porträt? O, ich bitte, bitte! Es wird das Labsal meiner Einsamkeit seyn (denn ich bin ganz einsam, und will es bleiben; ich will mir keinen Vertrauten wählen, den ich hier ohnedies nicht finden würde;) es wird der Trost meiner trüben Stunden seyn. Schon jetzt ist es Deine liebe Silhouette, die in Engels: „Wir werden uns wiedersehen“ – vorn eingepappt ist. Aber du hast recht: Silhouetten sind todte Bilder; sie sagen Nichts, Auge fehlt, Ausdruck der Miene fehlt, Farbe fehlt, alle die holden Grazien fehlen, die auf Deinem Gesichte wohnen.
Für den herzlichen Antheil, den Du an meiner Familie nimmst, danke ich Dir sehr. Ich kann sie jetzt nicht sehen, bis sich meine Lage geändert hat; dann werde ich einen kleinen Abstecher zu ihnen machen.
– Zugleich mit dem Deinigen sende ich sechs Briefe nach Zürich; – – ich liebe überhaupt das [/] Briefschreiben, und würde an alle Welt schreiben, wenn es nicht so viel Porto kostete. Könnte ich wohl einen Brief schreiben, den sogar Dein Vater gut findet, wenn ich nicht gar viel auch überflüssige Briefe geschrieben hätte?
Die arme Titot! Ich habe bei Lavater’n, dem ich heute auch schrieb, und dessen Vorwort ich zugleich mich selbst empfahl, ihr Andenken aufgefrischt. Von der Herzoginn habe ich noch Nichts für sie erhalten. Deßhalb werde ich nächstens an Madame Ehrmann schreiben: diese ist gar keine große, gelehrte Dame, sondern ein gutes, ehrliches Weib, die auch in der Klemme gewesen ist: etwas Weniges Pretension, aber keine Splitterrichterei! – Das Zürcher Frauenzimmer schildere ihr ja nicht mit Deinem Pinsel, sonst verliere ich meinen Credit bei ihr: denn ich dachte da eben an Dich, als ich es ihr schilderte. – Grüße die Titot. – Grüße Deinen Bruder, der mir herzlich lieb ist. Hierbei fällt mir Dein Bruder, der Kaufmann, ein. Sobald ich selbst mich rühren kann, – denn jetzt kann ich es nicht, – soll Dein Wunsch in Absicht auf ihn erfüllt werden, es halte so schwer, als es wolle. Lebe wohl, GOtt segne Dich und sey bei Dir, so wie mein Geist stets bei Dir ist.
Metadata Concerning Header
  • Date: 14. bis 15. Mai 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 113‒117.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 25
Language
  • German

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