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Johann Gottlieb Fichte to Friedrich August Weisshuhn

Weißhuhn, d. 20. Mäi. 1790.
Bester Freund,
Ich bin erst seit kurzem wieder in Leipzig, u. eile Ihr gütiges Andenken an mich zu erneuern. – Aber muß ich es auch erneuern, oder darf ich nicht lieber glauben, daß es sich nie in Ihrer Seele geschwächt habe? Ich suche mich deßen zu überreden, weil es meinem Herzen so wohl thut. Aber doch! – Ich freilich dachte immer an Sie, bei einsamem Nachdenken über meine Lebensgeschichte, beim Arbeiten, bei’m Gespräch mit neuen Freunden, die ich auch in der Entfernung fand, traf ich allenthalben auf Sie, weil Sie sehr viel, oder alles dazu beigetragen haben, daß ich eben so existire, wie ich existire. In diesem Falle sind Sie mit mir nicht; Sie haben immer nur gegeben, nie bekommen. Darf ich aber nicht vielleicht etwas aufs Bedürfnis rechnen? Ich fühlte dies immer, ich hatte Freunde – gute Herzen, u. offene Köpfe, aber sie übersahen mich nicht – aber seit ich in Leipzig bin, fühle ich es dringend. Ich konnte, – Sie erwarten dies sicher von meinem Herzen – in Leipzig nichts angenehmers suchen, als Sie; von Gotha aus machte man es mir allenthalben warscheinlich, daß Sie da wären; ich komme an, u. finde Sie nicht. Ich habe keinen Freund – zwar Raffen, die herzensgute Seele! – aber Sie wißen selbst, ob er Sie ersezen kann? Ihren Herrn Bruder kenne ich wenig, und – darf ich es Ihrem Herz an vertrauen? – erwarte nicht viel; doch soll mir der Tag, wo ich ihm dienen kann, ein Festtag sein. Palmer?? – doch hat er mir gedient. K. St. E. Weise – wenn er nur hier wäre? wenn es nur möglich wäre, sich auf einen mehr freundschaftlichen Fuß mit ihm zu sezen! Daß er mir nicht abgeneigt sei, habe ich Ursache zu glauben: ich habe ihm von Zürich aus fleißig geschrieben, u. mein eigner Prinzipal hat mich bei ihm empfehlen müßen. – Ich bedarf also Sie. O wie viel hätte ich Ihnen zu sagen! wie viel in Ihr Herz auszugießen! Werden jene süßen Stunden der sanften Wärme, und der milden HerzensErgießung, wie wir sie im Winter a. 87, u. 88. bei einem Glase Medoc oft hatten – deren Andenken jezt so lebhaft vor meiner Seele steht, deren ich mich immer am liebsten errinnern werde, nie wieder kommen? – Vielleicht ist es Ihnen auch so, lieber Freund! Vielleicht fehlt es Ihnen auch an Umgang, wie Sie ihn gern hätten; vielleicht stellt sich dann mein Bild vor Ihre Seele, u. Sie wünschen mich an Ihre Seite. – Aber Sie haben eine trefliche Mutter, trefliche Schwester: ihr Herz ist vielleicht befriedigt, und – der arme Fichte!
Es wird Ihnen gemeldet worden sein, daß ich vor nun fast 2. Jahren nach Zürich ging. Der Aufenthalt daselbst hat meiner öconomischen Lage nichts, meiner litterarischen wenig, meinem Charakter vielleicht am meisten genüzt. Ich war in sehr verwikelten Verhältnißen, und mußte durch eine Menge von Vorurtheilen, von Zudringlichkeiten, von Unverschämtheiten aller Art mich durchschlagen. Ich führte einen unaufhörlichen Krieg, wollte siegen, und mir denn doch noch einen ehrenvollen Zurükzug aufbewahren. Es ist mir gelungen, aber Sie sehen, daß das wohl eine kleine Uebung war.
Ich habe in Zürich u. auf meinen Reisen ziemlich intereßante Bekanntschaften gemacht. Statt [aller] nenne ich Steinbrücheln, u. Hottingern, welche meine Freunde sind, und von einer andern Seite Lavatern, der auch sehr gut von mir denkt. [/]
Meine gegenwärtigen Pläne sind sehr verwikelt, u. weit aussehend. Der nicht unansehnliche Canzelredner steht immer noch am Ziele, der Weg aber dahin zu gelangen, den ich mir vorgezeichnet habe, ist schwer u. kühn, aber intereßant. Sie wißen, daß ich immer eine gute Portion Vertrauen auf mein Glük, und meine Kräfte hatte. Durch Erfahrung, besonders der zwei leztern Jahre, ist dies Vertrauen zu einer solchen Stärke gelangt, daß ich mir nichts mehr für unmöglich halte, was ich fest will. Gott erhalte mir dies Vertrauen, und meine Gesundheit, die sehr fest scheint, – und ich zittre vor nichts.
Die gegenwärtige Aufgabe ist die, das liebe Leben in Leipzig durchzubringen. Erwartete ich nicht irgendwoher Unterstüzung, so würde für dieser mir doch grauen. In die Bibliothek, und warscheinlich in’s Deutsche Museum werde ich arbeiten, u. Ideen zur Schriftstellerei auf eigne Hand habe ich auch. Aber das ist zukünftig, u die Bedürfniße sind gegenwärtig.
Ich höre leider, daß Ihre GesundheitsUmstände nicht die besten sind. Ich sage nichts von meinen Empfindungen dabei. O Gott! eben diese Seele seztest Du in einen kränklichen Körper, während daß Holzhaker Seelen in eisenfesten wohnen! – Kann ich, so besuche ich Sie, sobald ich etwas arrangirt bin, wenn es Sie freut. Empfehlen Sie mich den theuren Ihrigen.
Mit Beschämung muß ich Ihnen sagen, daß ich Ihr schwarzes Kleid noch nicht ausgelös’t habe, noch vor der Hand aus lösen kann. In einigen Wochen aber hoffe ich es thun zu können.
Ich bitte Sie um baldige Antwort. Sie ist eins meiner ersten Bedürfniße. Ich bin ewig ganz der Ihrige.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 20. Mai 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Friedrich August Weisshuhn ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Schönewerda ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 118‒121.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 27
Language
  • German

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