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Johann Gottlieb Fichte to Heinrich Christian Boie

Wohlgebohrner Herr,
Hö[ch]stzuehrender Herr Justiz=Rath,
Beigeschloßnes Manuscript überschikte ich an Herr Göschen, mit der Anfrage: ob es wohl in das neue deutsche Museum eingerükt werden könnte? – Ich bekam den Rath, es an Euer Wohlgebohrnen zu schiken, und bediene mich mit dem innigsten Vergnügen dieser Gelegenheit mich Denenselben bekannt zu machen.
Herrn Klopstok, sollte ich glauben, könnte dieser Aufsaz keinesweges entgegen sein. Sehr warme Freunde von ihm haben ihn gern gelesen, und ich habe Ursache zu glauben, daß er ihm selbst, ehe er gedrukt erscheint, bekannt werden wird, indem er an jemand nach Coppenhagen im Manuscripte geschikt ist, der sehr mit ihm liirt ist.
Sollten aber etwa den orthodoxen manche Behauptungen zu kühn scheinen? Ich schrieb den Aufsaz freilich in einer Gegend, und für einen Zirkel, wo man das alles wohl wagen durfte. Ich weiß nicht, ob man in allen Gegenden Deutsch[/]lands eben so weit ist. Sollten Euer Wohlgebohrnen es also nöthig finden, hier einen Ausdruk zu mildern, und dort einen durchzustreichen, so bin ich sehr überzeugt, daß mein Aufsaz dabei nichts kann, als gewinnen.
Sollten Dieselben diesen Aufsaz lesenswerth finden, so könnte ich vielleicht mehrere Beiträge zum Museum liefern. Sollte es überflüßig sein, die Aufmerksamkeit des Publicum wieder auf Klopstok, und andere ältere Meisterwerke der Deutschen hinzurichten, die sich ganz aus ihren Händen verlohrenzuhaben scheinen? Sollte es nicht auch zuweilen nöthig sein, diesem Publikum einige neuere, als z. B. Göthens Iphigenie, u. dergl. für die sein Geschmak zu verdorben scheint, durch eine deutliche Entwikelung ihrer Schönheiten zu empfehlen: ohngefähr in der Manier, wie es neulich ein treflicher Kopf in ihrem Museum angefangen hat, mit Bürgers hohen Liede zu thun?
Verzeihen Sie, daß ich Ihre Geschäfte auf einen Augenblik unterbrochen habe, und glauben Sie, daß ich mit der vollkommensten Hochachtung bin
Euer Wohlgebohrnen
gehorsamster Diener
Gottlieb Fichte
Leipzig, auf der Fleischer=
Gaße, in des
Böttcher Weinholds
Hause, 1. Treppe.

d. 22. Mai. 1790.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 22. Mai 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Heinrich Christian Boie
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Meldorf ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 126‒127.
Manuscript
  • Provider: Bayrische Staatsbibliothek
  • Classification Number: Autograph Fichte
Language
  • German

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