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Johann Gottlieb Fichte to Maria Christiana Kobe von Koppenfels

Ganz würde ich die Empfindungen der Dankbarkeit, u. Freude, die mir Ihr lieber Brief verursacht, verderben, wenn ich sie in den gesuchten Ton der Complimente einkleiden wollte. – Ein Briefwechsel mit Ihnen macht mir Ehre, Vergnügen, u. nuzt mir. Ich kann es Ihnen nicht genug danken, daß Sie mir das erlauben. Nun erst ist mein <Glük> vollkommen.
Wie kommt es doch, daß gewiße Leute sich gleich auf den ersten Augenblik kennen, u. anziehen.

Ew. <?> gnädiges Antwortsschreiben hat mir einige meiner angenehmsten Stunden in Leipzig gemacht: Ich kenne nur eine Freude, die ich darüber sezen möchte, die des persönlichen Gesprächs mit Ew. Gnaden. – u keine, die ich zunächst nach ihr sezen möchte, als die, welche ich empfinde, indem ich Ewer antworte.
Aber wie bald werde ich mich um dieses Vergnügen bringen? Eure Gnaden rechnen mit mir auf Unterhaltung aus der Litteratur. – u. ich lese so wenig neues, was ich nicht etwan Amts halber lesen muß. Darf ich es gestehen? Es ist zwar bei mir noch nicht Zeit, die vergangenen Zeiten zu loben, u. den Tadler der gegenwärtigen zu machen – aber es gefallen mir so wenige der neuern Producte. Ich habe einige Lieblingsautoren; die Alten, wie sich versteht, – unter den Franzosen Roußeau, u. Montaigne, unter den Deutschen Leßing, Wieland, Göthen in seinen neuern Arbeiten – diese lese ich, u. lese sie wieder, u. kann sie nie genug lesen – und vielleicht sind sie es, die meinen Geschmak so einseitig machen. Damit will ich aber nicht <ganz bestreiten> sagen, daß ich nicht auch andern z. B. Bürgern, Voß, den Stollbergen u.s.w. Geschmak abgewinnen könnte. Täuscht mich nicht die jugendl. Art lieber zu hoffen, als zu fürchten, so ist das goldne Zeitalter unsrer Litteratur erst im Werden [,] es zeigt sich nur Schritt vor Schritt; u. es wird dauerhaft sein, und vielleicht die gländzendsten Epochen aller andrer Völker übertreffen. Was Leßing in den Litteratur Briefen u. in der Dramaturgie ausstreute, fängt erst jezt an Früchte zu tragen. Seine Grundsäze fangen nun an allgemein anerkannt u. zum Grunde der Beurtheilung gelegt zu werden, u. für die Möglichkeit ihrer Ausführung ist Göthens Iphigenie der stärkste Beweiß. Es ist nur warscheinlich, daß der, der in seinem 20sten Jahre Räuber schrieb, über kurz oder lang eben diesen Weg betreten, u. im 40sten unser Sophocles sein wird. Die Uebersezung des Homers, und Virgils von Voß, und des Sophocles von Stollberg wird uns von Nachahmung der Franzosen, die wir doch länger nach ahmen, als wir es Wort haben wollten, u. der Engländer, zu den einzigen wahren Mustern der litterarischen Vollkommenheit führen. Durch eine gründlichere Philosophie, die schon anfängt zu siegen, werden auch unsere Grundsäze über die Kunst berichtigt werden; denn es scheint doch einmal, daß der Deutsche der Theorie bedarf, ehe er Meisterwerke liefert. Auch das Grôs unsres Publikum, [das] doch wohlhergebrachter maßen, immer ein halbes Jahrhundert gegen seine beßern Köpfe zurük sein muß, wird sich beßern, so wie die Produkte, die bisher seinem verdorbenen Geschmake schmeichelten, sich verlieren werden. – Doch wie komme ich in meinem prophetischen Eifer zu der Unschiklichkeit, daß ich Ew. Gnaden Dinge sage, die Dieselben entweder schon längst gedacht haben, oder die unrichtig sind. – [/]
Ich werde das Schwerdt in der gelehrten Republik führen, sagen Eure Gnaden! Noch sind die Gelehrten nicht einig, was das bewuste Instrument eigentlich ist. Rost nennt es einen Besen! aber nun! das ist Rost, und er redet mit Gottscheden, u. er redet im Namen des T.. . Horaz ist artiger, u. meint es sei ein Schleifstein. – Dazu konnte er seine Ursachen haben. Er war selbst Critiker, u. konnte es also nicht herabwürdigen wollen: aber er war auch Dichter, u. konnte es nicht zu sehr erheben wollen. Wie sollen es nun Leute meines Schlages nennen, die von den ersten nur so eine gewiße Art, – u. von den leztern gar nichts sind.?
Doch, ich weiß sogar nicht, ob ich auch in dieser gewißen Art viel thun werde. Eine kritische Schrift, woran ich ehemals einigen Antheil hatte, u. jezt einen größern nehmen wollte, ist eingegangen, weil ein paar Mitarbeiter – nicht ich! bewahre mich der Himmel – einige Wahrheiten gesagt hatten, die sich nicht angenehm sagen, und noch unangenehmer hören ließen. [Eine] andere, worein ich vielleicht zuweilen etwas liefern könnte, hat einen sehr eingeschränkten Plan.
Zu eignen Arbeiten bin ich verdorben. Critisiren ist meine Erbsünde. Fast kann ich nichts, als die Arbeiten anderer tadeln oder bewundern. nachdem es kommt. Ew. G. werden mich so glüklich machen, etwas von den Werken Ihres Geistes zu sehen? Da werde ich in den <Fall> kommen, nichts thun zu können, als zu bewundern – denn, ich erkenne es, ohne mich eben darum zu beßern – ich bin partheiisch für die Arbeiten derer, die ich liebe, oder verehre: Freundschaft oder Ehrfurcht besticht bei mir die Critik. Bei Ihnen, Gnädige Frau, wird sie nicht nöthig haben bestochen zu werden; davon bin ich sehr überzeugt, aber selbst für die gute Sache wird ein verdächtiger Zeuge nicht gehört.
Ich bitte um Verzeihung, daß ich mich von dem Vergnügen an Sie zu schreiben, so habe hinreißen laßen, um das Ende zu vergeßen, und – den Abgang der Post zu versäumen. Bestraft bin ich dafür schon dadurch, daß ich warscheinlich Ew. Antwort wenn Sie mich damit beehren wollen auch – einen Posttag später erhalte. –
Ich halte es – erlauben Euer Gnaden, meinem Herzen nur noch diese Ergießung ohne welche ich sehr unbefriedigt diesen Brief fortschiken würde, – für eine besondre Leitung der Vorsehung, deren Finger ich in allem erblike, daß ich das Glük hatte Ihnen bekannt zu werden. Ich verehre in Ihnen, gnädige Frau, nicht den Rang, u. die Stelle auf die die Vorsehung Sie gesezt hat. – Das haben Sie mit mehrern gemein – das würde mir nur stummen Respect einflößen, u. mich an die Pflicht errinnern, mich zurükzuziehen, sondern ich verehre die Dame von Geist, von Geschmak, von Herz, von ausgebreiteten Kenntnißen, und diese zu verehren, ist mir ein Bedürfnis, erweitert mein Herz, u. wird mir Sporn zu allem Edlen und guten. Könnte ich je so glüklich sein, einen Theil Ihres Beifalls zu erhalten, so würde ich selbst mir dadurch werther werden. Drum dünkte ich mich so glüklich durch Ew. Erlaubniß Ihnen zu schreiben. – Verzeihen Ew. diese Aufwallung. Ihnen ist es das gröste Lob kein Lob zu sagen: aber mir ist es Erleichterung[.] Wie glüklich wird meines Freundes Bischof Tochter sein, wenn ein Theil von dem Geiste Ihrer erhabnen Pathe auf ihr ruhen wird, u wie gnädig [sind] Sie!
Ich versichere Dero HochE. Gemahle u Dero Fräul. Töchtern mein fortdauerndes ehrfurchtvolles Andenken, u. habe die Gnade mit wahrer inniger Verehrung zu sein
Ew.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 11. Juni 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Maria Christiana Kobe von Koppenfels ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Weimar · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 133‒137.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 29
Language
  • German

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