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Johann Gottlieb Fichte to Henriette Louise von Miltitz

Fr. v. Miltitz
Ew. verzeihen, wenn ich noch dies einzige, u. lezte mal, ehe ich Ihre Erlaubniß dazu, u. Ihre gänzliche Verzeihung habe, an Sie schreibe. – Mein Herz ist tief gerührt. Vor einigen Tagen wartete ich dem H. Oberconsistorial=Präsident v. Burgsdorf auf. Ich hatte mich bei ihm auf Ew. ehemalige Empfehlung berufen. Dieselben errinnerte[n] sich, wie gnädig Ew. damals gegen mich gedacht hatten, errinnerten sich, daß mehremal Klage über mich gewesen, fragten, wie Ew. jezt gegen mich gesinnt seien, u. ich muste wehmüthig gestehen, daß ich Ihrer Verzeihung noch nicht versichert sei. Der große, u. edle Mann schloß, daß ich sehr gefehlt haben müste, um bei einer Dame von Ihrer ihm so bekannten Versöhnlichkeit u. Herzensgüte keine Verzeihung erwerben zu können.
Ich ward mehr gerührt, als betrübt. Die damaligen glükl. Tage an welche der Herr mich errinnerte, zogen vor meiner Seele vorüber, da Ew. noch so herzlichen Antheil an mir nahmen, da Sie mich in so ausgebreitet wohlthätigen Absichten an den H. v. Burgsdorf empfahlen. Ich fühlte es sehr tief, daß Ew. von jeher die außerordentlichste Güte gegen mich gezeigt: ich dachte diesen Gedanken weiter nach, erneuerte in mir das lebhafte Andenken aller Szenen in meiner ersten Jugend, bis auf die lezten traurigen Vorfälle, u. bekam Muth, mich noch einmal an Ew. zu wenden, um, wo möglich, Ihre gnädige Verzeihung zu erflehen. Ich will wegen des Vergangenen mich weder entschuldigen noch vertheidigen; ich will blos mir verzeihen laßen. [/]
Es ist ein drükende[s] Gefühl, gnädige Fr. – diejenigen, denen man alles in der Welt verdankt, u. die man über alles verehrt u. liebt, scheuen u. fürchten zu müßen, sich von ihnen verachtet zu wißen, – ein Gefühl, welches allen Muth, alles Vertrauen, auf sich, u. andere unterdrükt, welches das edelste Vergnügen, sich der großen Wohlthat gern, u. mit Freude zu errinnern, trübt; welches dem Unglükl. bis in seine Gebete folgt, u. ihm verbietet, sich mit einer Freudigkeit zu Gott zu nahen, mit der er sich zu denen, die ihm auf der Erde statt Gottes waren, nicht nahen darf. Ich habe die ganze Bitterkeit deßelben gefühlt (das Gefühl derselben speißt sich je länger je mehr; es hat sich durch die lezten Begebenheiten, u. die Betrachtungen, darauf sie mich geführt haben, erneuert: –) wäre es Ew. Absicht gewesen, mich, auf das bitterste zu bestrafen – u. das konnte die Absicht eines so edlen Herzens nicht sein – so wäre diese Absicht nun vollkommen erreicht, ich werde nie Ruhe finden, bis ich Ew. Verzeihung versichert bin.
O gnädige Frau, Sie sind eine weise u. gutdenkende Dame, noch mehr: Sie sind Eine Xstinn: Sie kennen das Freudige des Gefühls, mit Gott ausgesöhnt zu sein: Sie können sich das Freudige desjenigen denken, sich mit seinen Wohlthätern ausgesöhnt zu wißen: Sie werden einem Unglükl. nicht den Trost versagen, deßen Erhabnes Dieselben selbst in so hohem Grade fühlen. Versicherung Ihrer Verzeihung, Erlaubniß Ihnen nur zuweilen einen Theil der Empfindungen meines dankvollen Herzens zu sagen, würde mir eine Ruhe u. Freudigkeit geben, die meinem Herzen schon längst fremd ist. Käme diese Versicherung von Ihrer eignen Hand, ein Glük deßen ich in besten Tagen gewürdigt ward, so würde mein Herz desto lieber glauben, was es schwer zu hoffen wagt.
mit wahrer Freude würde ich mich dann nennen, welches ich jezt nur mit Furcht u. Scheu thue.
Ew.
Metadata Concerning Header
  • Date: Juli 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Henriette Louise von Miltitz
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Unbekannt ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 145‒147.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 30
Language
  • German

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