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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Den 1sten August.
Zuerst Deine Verzeihung, zärtlich Geliebte meines Herzens, daß ich Dir nicht gleich auf Deinen Brief, den ich vor einigen Wochen durch die Post erhielt, antwortete. Daß ich Deiner vergessen, oder Dich vernachlässigt habe – o, Du fühlst es selbst zu tief, in Deiner eigenen schönen Seele, daß das nicht seyn kann. Aber ich hatte so mancherlei, so unaufhörliche, und in einander eingreifende Beschäftigungen und Sorgen, verreiste überdies bald nach Erhaltung Deines Briefs, und war fast zwei Wochen abwesend. Deinen letztem durch den Fuhrmann erhielt ich erst den 31sten Juli. [/]
Dein Kummer um meinetwillen, so sehr er mir Deine Zärtlichkeit von einer Seite versichert, ist mir dennoch sehr bitter. Ich bitte Dich, Kind, so lieb Dir meine Ruhe ist, sorge, gräme Dich nicht um meinetwillen! Ich werde mir helfen; ich könnte mir längst geholfen haben, wenn ich gewisse Projekte wollte fahren lassen, wenn ich mir hier und da vergeben, wenn ich mich gewisser Maßen, – nicht moralisch, versteht sich, – degradiren wollte. Ich für meine Person ginge lieber zu Grunde, ehe ich meine Plane fahren ließe; aber für Dich werde ich mich, wenn das Schlimmste zum Schlimmen kommt, erhalten; und sollte ich auch wieder die zärtlichen Zweige eines sächsischen Edelmannes beschnitzeln.
Aber dafür bitte ich auch Dich – erhalte mir Deine Gesundheit! Daß Du der Liebe das Unrecht zufügen würdest, mir Deine Unpäßlichkeit zu verschweigen – das wolle die Liebe nicht! Ich würde es also wissen, und wie würde mich das kränken! Ich für meine Person, versichere Dich, daß ich mir helfen will, oder ich müßte keine Kraft mehr haben; und Euch wird auch geholfen werden, Euer Verlust kränkt mich bitterer, als je einer mich gekränkt hat. Ueber das Offenbacher Projekt habe ich schon geschrieben. Bösartig kann ich den Fürsten wohl nicht genannt haben; aber bornirt, und also nimmt er gewiß keinen Lutheraner; denn ein bornirter Reformirter muß eben so intolerant seyn, als ein bornirter Lutheraner. Ueberdies ist zu befürchten, daß das Beispiel der Intoleranz, welches die Lutheraner in diesen Gegenden geben, auch die Reformirten überhaupt anstecke. Ich habe sogar während meiner Durchreise Manches davon bemerkt. Madame Tob[/]ler z. B. konnte sich nicht genug verwundern, daß ich als Lutheraner in Zürich gepredigt habe; und ihr Mann sagte es ihr mit einigem Nachdruck, vermuthlich, um ihr ein Beispiel der Toleranz aufzustellen, von welchem er wissen mußte, wie sehr sie desselben bedürfe. – Ich für meine Person bin mit Leib und Seel für die reformirte Partei, weil sie unter den drei im römischen Reiche tolerirten in ihrer gegenwärtigen Gestalt, der wahren christlichen Religion am nächsten kommt. Aber was thut hier meine Ueberzeugung?
Mein Plan zu einem Journale ist, so lange ich in Leipzig lebe, in Zürich nicht ausführbar. Ich muß in dem Lande leben, für welches ich schreibe; muß wissen, was das Publikum in demselben liest; wie es davon affizirt wird; wie sein Geschmack überhaupt ist, und wie er sich von Zeit zu Zeit modifizirt. Das kann nur in Sachsen der Fall für mich seyn, wo ich aller Orten Bekannte habe; reisen, in Gesellschaften aller Art kommen, unbemerkt den Volksgeschmack beobachten, überdies in alle Winkel korrespondiren kann. Dies könnte in Z. kaum von dem geschehen, der immer da gelebt hat, weil man da verschlossener ist.
Sachsen hat freilich für den geistlichen Stand seine Unbequemlichkeiten; aber das Licht ringt jetzt mächtig mit der Finsterniß, und ich sehe die Morgenröthe besserer Tage. Ich muß gestehen, daß es ein Unternehmen ist, das mich seiner Schwierigkeiten halber reizt, mich durch alle die Verschanzungen durchzuschlagen, und mir doch eine Laufbahn zu machen. Ich habe unsern Präsidenten, – das ist ein großer, großer Mann, – souveräner General=Auf[/]seher der Gelehrsamkeit und Religion durch ganz Sachsen – neulich gesprochen. Es ist ein Mann, der für Gelehrsamkeit und Talent wirklich Gefühl hat; dabei ehrlich, und, nach seiner Art, gerecht; aber in der Theologie.....! Ich habe mit Fleiß in einer theologischen Abhandlung, die ich ihm mittheilte, mich ihm ganz gezeigt, wie ich bin. Er nahm mich, auf dieselbe hin, mit Distinktion auf; ließ mir alle Gerechtigkeit wiederfahren, und suchte mich durch gute Aussichten für das Catheder zu bestimmen; für die Kanzel schien er mich zu fürchten.
Geschieht dies aber nicht, wie ich fast rechnen kann; so wird doch zu Michaelis sich eine Stelle für mich finden, außer Landes zu gehen. Ich nehme alles, es sey nach Rußland oder nach Spanien; und erwarte dann mein ferneres Glück vom Schicksal und von meinem Unternehmungsgeiste. Die Männer alle, die Verschreibungen von der Art bekommen, habe ich auf meiner Seite.
Uebrigens ist es unbegreiflich, wie viele Projekte mir seit meiner Abreise aus Z. entweder ganz verunglückt, oder in’s Stocken gekommen sind. Bernstorff muß Brief und Aufsatz richtig erhalten haben; ich habe es Herrn Bohn von Hamburg in seine eigene Hände gegeben, und er versprach mir es sogleich zu besorgen. Noch hat er nicht geantwortet. – Eine Dame in Weimar hatte ein Projekt gemacht, mich an einen gewissen sehr guten Hof zu bringen. Es mag gefehlt haben, sie schweigt seit ein paar Monaten. Von andern Aussichten, die ich so gut als gewiß hatte, zu schweigen! Für Schriftstellerei hat auch wenig oder nichts gethan werden können, weil ich unter beständigen Unternehmungen [/] und Entwürfen herumgeworfen, wenig ruhige Tage gehabt habe. Michaelis ist nahe, und in dieser Messe werden von mir schwerlich Geschäfte gemacht werden. – Kurz, entweder die Vorsehung behält mir etwas Anderes auf, um dessen willen sie mir bis jetzt Nichts hat geben wollen, wie sie es wohl sonst auch gethan hat; oder sie will meine Kraft durch Verlegenheiten noch mehr stärken und üben. – Ich habe fast Alles verloren, als den Muth.
Du! Engelsseele, hilf Du mir ihn aufrecht erhalten, – und Du thust es! Welcher Kummer kann mich wohl kränken, welche Verlegenheit muthlos machen, so lange ich mit fester Ueberzeugung weiß: die beste, edelste Seele nimmt Antheil an mir; sie betrachtet mein Schicksal mit dem ihrigen als genau verbunden; sie ist nur Ein Herz mit mir? Die Vorsehung erhalte mir Dein Herz, und mir mangelt Nichts. Das meinige ist ewig Dein.
Liebe Seele! ich bitte Dich, betrübe Dich doch nicht so, wenn Du zuweilen einige Zeit ohne Briefe von mir bist. Glaube, daß ich deßwegen doch auch in der Abwesenheit nur durch Dich lebe, daß jede geschäfteleere Stunde ich bei Dir zubringe. Jetzt z. B., da die Tage schon kürzer werden, und es eine Abenddämmerung giebt, lasse ich mir allezeit etwas spät Licht geben, um die Zeit der ersten Dämmerung nur dem Andenken an Dich zu widmen. – Aber, nicht zu schreiben, – dazu treten bisweilen unwiderstehliche Ursachen ein. Es giebt Lagen, in denen ich Dir nicht schreiben kann. – Deine ersten Briefe, die ich mit dem Fuhrmann bekam: – o einige Stellen derselben haben mich tief, tief geschmerzt! Aber Du hattest sie schon vorher widerrufen. – Ich werde, [/] da Du doch einmal über ungewöhnlich langes Stillschweigen Dich kränkst, Dir diesen Schmerz so viel als möglich, oder ganz zu ersparen suchen.
Vom Namenstage Deines Papa wußte ich Nichts. In unserm Calender heißt er anders. Durch Zufall habe ich ihn in einem Städtchen, 2 Meilen von Dresden, in Gesellschaft eines mir sehr werthen Freundes sehr vergnügt zugebracht. – Gratulire Deinem Papa in meinem Namen, und versichere ihn der Fortdauer meiner unbegränztesten Hochachtung und der wärmsten Wünsche für sein Wohlseyn.
Vor einigen Wochen reisete der B. v. Wallendorf hier durch, der auch einmal in Eurem Hause in der Sonnabends=Gesellschaft gewesen ist. Ich habe mehrere Tage ziemlich in seiner Gesellschaft zugebracht, und wir haben uns gemeinschaftlich nach Zürich versetzt.
Achelis hat mir eine große Freude durch Deine sehr edel getroffene Silhouette gemacht. Sie ist über meinem Pulte, weil ich an dem mein Leben verlebe, und sie mir also immer vor Augen ist. – Ihm wird kein Unglück begegnen. Der Himmel muß einen so guten Menschen schützen. Ich liebe keinen meiner ältesten Jugendfreunde mehr, als ihn. Ich kann mir’s nicht versagen, ein paar Zeilchen an ihn beizulegen. – Ich danke für die überschickten Vergißmeinnicht und Rosenknöspchen. Es ist süß, Etwas zu haben, das durch Deine Hände gegangen ist. – Warum kann ich Dir doch auch nicht durch den Fuhrmann schreiben, theils um Dir auch etwas dergleichen schicken zu können, theils um Dir längere Briefe zu schreiben? Melde mir doch, wer es ist, und wo er zu treffen ist? Ich sehe ihn nie, weil [/] die Briefe durch Palmern gehen. – Wenn Du nichts dagegen hast; ich habe nichts dagegen, daß Du mir Deine Briefe geradezu adressirst. Geöffnet werden sie nicht. Wer sollte sich das unterstehen? – Doch weiß ich von Michaelis an den Ort meines Aufenthaltes noch nicht sicher.
Madame Titot, so viel Theil ich auch an ihr nehme, kann ich aus eben dem Grunde jetzt nicht antworten. Grüße sie herzlich. – Lavater scheint mich ganz vergessen zu haben. Es sey!
Grüße alle, die sich meiner gütig erinnern. Schreiben kann ich Niemanden. Escher’s Faulheit lasse ich auch grüßen, und sie bitten, sich wenigstens einem weit entfernten Freunde zu Gefallen, nur ein klein wenig in Unkosten zu setzen. Ich bin ewig
der Deinige.
N. S. Chorherr Tobler schreibt mir sehr freundschaftlich; aber nichts von Wichtigkeit. Seine Reisebemerkungen freuen mich in mehr als einer Rücksicht. – Mit Orell bin ich schlimm daran. Er erwartet Etwas von mir, das nicht zu leisten ist. Ich schreibe ihm das rund, weil ich muß.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 1. August 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 157‒161.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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