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Johann Gottlieb Fichte to Friedrich August Weisshuhn

[. . .] d. 27.
So lange ist dieser Brief liegen geblieben, weil ich so lange täglich in meiner Lesebibliothek, nach der D. B. gefragt habe, wo eben der Theil, den ich wollte, nicht zu Hause war. Jezt erfahre ich, daß Ihr Herr Bruder ihn eher geschaft, als ich, u: auch die Rezension schon abgeschrieben. Sehn Sie, der Mensch beßert sich; u. beßert sich exemplarisch. Ich freue mich darüber, wenn ich von Ihnen überzeugt sein darf, daß Sie es von meiner Seite weder der Trägheit, noch der Unfreundschaftlichkeit, sondern blos dem Zufalle zuschreiben, daß ich ihn nicht eher herbeischafte, und davon bin ich überzeugt.
Was meinen Sie zu einer deutlichern Darstellung der K. Critik der Urtheilskraft? Nach aufmerksamern Studiren (vorher hatte ich sie, nach Kants Ausdruke, nur durchgestreift) scheint sie mir derselben sehr bedürftig. Auch sind mehrere Dinge darin, die ich entweder nicht verstehe, oder die sich widersprechen. Ich habe so etwas im Willen; habe schon angefangen, und finde die Arbeit schwer genug. Wird sie auch Ehre bringen? Es ist überhaupt nichts schwerer, als die Kantischen Ideen deutlich darzustellen. Ich erfahre dies alle Tage in Absicht des Vortrages, u. der Vorbereitung der Critik der r. Vft.
Zur Ausfüllung des Raums, noch ein Anecdötgen aus der hiesigen Gelehrten Welt, Prof. Heydenreich soll in seiner Aesthetik, die ich nicht gelesen habe, und nach Kanten kaum lesen werde, gesagt haben: wer behaupte, daß man sich des körperlichen Schmerzens nur schwach errinnere, habe gar keine psychologische Bemerkungsfähigkeit. – Platner aber hat dies in seiner Aesthetik gesagt; kommt neulich in seinen Vorlesungen zu diesem Saze; u. sagt: „Ein ganz neuentstandner Gelehrte, unser Herr Prof. Heydenreich, sagt in seiner Aesthetik, u. s. w. doch ohne mich, oder den Paragraphen zu citiren. Vielleicht, daß er’s einmal bei’m Durchgehen durch mein Collegium von mir gehört hat; denn gelesen kann ers nicht haben. Es thut mir leid, daß es eben einen Saz betreffen muß, auf den ich mir wirklich etwas zu Gute gethan habe“ – Ob es Heydenreich wieder erfahren habe, wie er es ohne Zweifel hat, und wie [/] er sich dabei benommen, weiß ich nicht. So viel aber ist sicher, daß es mit P. sehr bergab geht, daß H. Collegia mehr frequentirt werden sollen, als die seinigen; und daß der leztere mehr die Liebe der Studenten hat, weil der erstere durch seine philosophische Arroganz, durch sein Prahlen mit der Freundschaft der Großen, etc. etc. sich viel Haß zuzieht. Denn aus Liebe zur Gründlichkeit möchte ich die Verlaßung seines Hörsaals wohl nicht allgemein herleiten; obgleich es in der Studenten Welt, so viel ich sie kenne es im Ganzen jezt etwas beßer auszusehn scheint, und viele den Kant studiren.
Möchte ich Sie doch bald sehen! Ich sehne mich nach Ihrem Umgange. Ich vermiße ihn sehr. Wenn wird uns doch das Glük wieder zusammen führen?
Leben Sie wohl, leben Sie gesund, schreiben Sie mir bald wieder, und bleiben Sie mein Freund, wie ich unaufhörlich der Ihrige
Fichte.
Verzeihen Sie das schlechte Schreiben. Es ist schlimm; aber ich kann es gar nicht mehr beßer, weil ich seit einiger Zeit sehr vi[e]l schreibe. Verzeihen Sie sehr unpaßende Ausdrüke, die mir wieder entwischt sind. Daran ist die Eil schuld.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 27. September 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Friedrich August Weisshuhn
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Schönewerda ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 174‒176.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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