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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Leipzig, d. 2. IXbr. 1790.
Einzige theuerste Freundin,
Wirst Du mir verzeihen – doch ja! Du wirst es – aber soll ich mir’s selbst verzeihen, daß ich Dich so lange auf Antwort habe warten laßen? auf Antwort auf zwei so liebevolle zärtliche Briefe? Mein ganzes Herz dankt Dir für Deine fortdauernde Zärtlichkeit, u. Liebe. Glaube ja nicht, daß Mangel dieses Gefühls die Ursache meiner verzögerten Antwort war; sondern, wie immer, die Ungewißheit meiner Lage. Ich wuste nemlich nicht, ob, oder wie lange ich in Leipzig bleiben würde; und ich wollte doch wenigstens unsern Briefwechsel sichern, damit nicht Briefe von Dir in Leipzig ankämen, wenn ich vielleicht weit davon wäre. Jezt ist diese Ungewißheit gehoben; ich bleibe in Leipzig; bis ich da sein kann, wo allein es mir gefallen wird, bei Dir. – Ich hatte einige Anträge; aber ich ging ungern daran, mich wieder zu verändern. Jezt lebe ich in Leipzig so wohl, als ich leben kann, wo Du nicht bist. Ich habe Gelegenheit gefunden, mich nüzlich zu beschäftigen; und meine Subsistenz ist gesichert. Zu glänzen verlange ich nicht; nach großen Gesellschaften ringe ich nicht: ich befinde mich zu wohl bei der Ruhe, die ich mühsam erarbeitet habe, um sie durch neues Treiben in die Welt wieder zu verlieren.
Ich wäre jezt sehr glüklich, theuerste Geliebte, bis auf einen Punct. Ich bin vollkommen gesund; habe Lust zu arbeiten, und finde Arbeit genug; sie geht mir von statten; ich bin frei von allen Leidenschaften; nichts stört meine Ruhe – aber wo habe ich einen Freund, mit dem ich dieses Glük theilen könnte? der mit mir harmonirte? der etwas von dem empfände, was ich empfinde? Und das treibt mich denn zu Dir; und macht, daß mir mein Leben dennoch sehr unschmakhaft vorkommt, weil ich es ohne Dich verlebe. Dies ist jezt der Gegenstand meines Strebens die Zeit zu beschleunigen, da ich zu Dir abreisen kann; und es ist mein Schmerz, daß ich sie bis jezt noch nicht gewis bestimmen kann.
Ich verseze mich im Geiste oft zu Dir; denke Dich, Seele voll Theilnehmung an allem, was mich angeht, neben mich; erzähle Dir alles, was mir begegnet, welches freilich Kleinigkeiten sind; theile Dir alles mit, was ich etwa neues finde, welches freilich nicht wichtiges ist: und so finde ich, ohngeachtet der Trennung von Dir, das Mittel sie zu erleichtern: ein Mittel, das freilich nur dann gut ist, wenn man kein beßeres hat. [/]
Ich habe diese Michaelis mehrere Schweizer hier gesehen. Steinern, der mir einen Gruß von Deinem theuren Vater, aber keinen Brief von Dir brachte; welches mir in manchem Betrachte nicht unangenehm war, weil ich ihm nicht genug traue. Ich weiß nicht, wie es kommt: er hat mir hier weit schlechter gefallen, als in Zürich. Er zeigte verschiednes, das ich vielleicht jezt entwohnt bin. Ferner Fäsi, der in Jena studirt hat, u. vielleicht schon jezt wieder in Zürich ist: ein junger Mensch, der sehr viel Freundschaft, u. Anhänglichkeit gegen mich zeigt, und den ich sehr liebe. Auch Usteri, der in Halle studirt, und der mir, – ich glaube ich habe nicht ganz Unrecht – herzlich zuwider ist. Noch der völlige Zürcher an Leib, u. Seele: dabei plump, und bauernstolz, und pedantisch; was doch ein Zürcher nicht nothwendig sein muß. Mehr würde ich mich gefreut haben, wenn Dein Vetter Rahn, der in Halle studirt, mit nach Leipzig gekommen wäre.
Was macht doch Achelis? Ohne Zweifel hat er Zürich schon längst verlaßen; aber ich wundere mich sehr, daß er mir nicht schreibt. Ich würde ihm selbst schreiben, wenn ich seine Addreße hätte. Es würde mir leid thun, wenn unsre Verbindung durch seine Nachläßigkeit unterbrochen würde. – Nach D. Beyr? – ins Ohr sage ich Dir’s – weiß ich nicht, ob ich fragen soll, oder nicht. Es scheint, daß er seine Freunde vergißt, so wie sie nicht mehr unter seinen Augen sind. Seit meiner Abreise von Zürich habe ich, ohngeachtet ich ihm geschrieben habe, und noch neuerlich ihn durch Achelis habe grüßen laßen, kein Lebens zeichen von ihm. So hat er’s auch der guten Seele, dem Baron Walldorf gemacht. Wenn das nun einmal seine Art ist, so darf man freilich es ihm nicht übel nehmen: aber eine feine Art ist’s nun einmal nicht. – Escher schmerzt mich bitterlich; da ich weiß, was an ihm verlohren geht: u. er schmerzt mich desto mehr, da er nicht Mann genug ist, sein trauriges Schiksal zu ertragen; freilich ist es auch eine harte Prüfung. – Vom Ottischen Hause bekomme ich auch kein Lebenszeichen: doch es sei. Ich kann sie leicht vergeßen. – Gedenkt wohl noch einer der dortigen Gelehrten an mich? Frage doch darüber Deinen Papa, den ich herzlich zu grüßen bitte. – Es ist traurig, daß man so leicht vergeßen wird, und daß man von sovielen Verbindungen immer nicht leicht eine behaupten kann, wenn man nicht an dem Orte gegenwärtig ist. Doch habe ich es vielleicht sonst auch so gemacht; jezt aber werde ich mich von diesem Fehler zu beßern suchen, weil ich selbst sehe, wie unangenehm er ist. [/]
Ich habe mein Logis verändert, u. so glüklich verändert, daß ich eine der schönsten Aussichten, und vielleicht die gesündeste Luft in Leipzig habe. Aus meinen Fenstern sehe ich oft in der MorgenSonne zunächst vor mir die Promenade, über ihr einen der schönsten Gärten, weiter hin eine lange Vorstadt, und über ihr hinaus, eine unabsehbare Ebene, mit Dörfern, und Wäldchen besät, deren Laub durch den Herbst mit dem sanftesten Gemisch von roth, und röther, und braun tingirt ist. Da nichts vollkommen sein kann, so habe ich dabei Wirthsleute, die mir sehr zuwider sind. Nun verschlägt das zum Glük bei mir nicht viel. Meine Addreße ist auf dem Neuen=Kirch=Hofe, in Leutschens Hause. 4. Treppen.
Ich beschäftige mich jezt mit einer Menge von Dingen, weil ich Unterricht darin gebe, und gern alles sogut als möglich mache. Außer der Kantischen Philosophie, der ich fortfahre alle meine Zeit zu widmen, die mir von meinen Stunden übrig bleibt, und über deren einen Theil ich an einer Erklärung arbeite, die meinem Willen nach zur Neu=Jahrs Meße die Preße verlaßen soll; habe ich besonders Geschmak an der Mathematik gefunden, über welche ich gleichfals Unterricht gebe.
Du siehst also, daß ich mich meistens mit abstracten Denken beschäftige, und der Einbildungskraft wenig SpielRaum gebe; und das ist der Grund meiner Ruhe.
Wie mag es unsrer guten Titot gehen? Gern antwortete ich ihr, wenn ich wüste, daß es ihr Freude machte, und wenn ich wüste, wo den Brief hinschiken. Alle die Schritte, die sie gemacht hat, werden ihr, glaub ich, nicht viel helfen. Ganz verderben wird man sie wohl nicht laßen; aber bis an ihr Ende wie ein Ball aus einer Hand in die andre geworfen zu werden, dazu scheint sie doch bestimmt zu sein. O, was ist doch Menschen Schiksal. So oft ich so eine Geschichte höre, oder lese, so verstärkt sich mein Blik in jene Welt, wo alles gleich sein wird, und wo die Arbeit der mühevollen herrlich enden wird. O könnte man doch allen Geplagten diesen Gedanken recht stark in ihr Herz rufen.
Ich danke Dir herzlich für die überschikten Schweizer Kräuter. Es ist mir ein herzerhebendes Vergnügen, zu denken: dies ging durch Ihre Hände: dabei dachte die Liebevolle an Dich: als Sie [/] dies in Ihrer Hand hatte, war ein Theil Ihrer Empfindungen in Dich verschlungen: – und bei diesem Gedanken wird mir unnennbar wohl.
Barths Leben habe ich nicht gelesen, weil ich leider! wenig Zeit habe, Schriften, die blos zur Unterhaltung geschrieben sind, zu lesen: aber daß es Dir ein Vorurtheil gegen Leipzig beigebracht hat, ist mir darum nicht lieb, weil es Dein liebes Herz betrüben könnte, mich da zu wißen. Die Umgänglichkeit der Gelehrten, die auf andern deutschen Universitäten herrscht ist freilich hier nicht anzutreffen; u. kann nicht anzutreffen sein: Denn die Stadt ist zu gros; das Intereße der Menschen zu sehr verschlungen; reines Intereße für Wißenschaft giebts an allen Enden der Welt wenig; Bedürfnis nach Gesellschaft, welches in kleinern Orten das Band der Geselligkeit knüpft, findet bei denen, die lange hier sind nicht statt; und die Menschen, die in so großen Haufen beisammen leben, haben überhaupt die wenigste Gelegenheit sich recht kennen zu lernen. Dagegen hat Leipzig, eben wegen seiner Größe, den Vorzug, daß man recht unbekannt, u. unbemerkt leben, ungestört studiren kann; wegen vieler Bedürfniße, die nur der Meinung wegen erfunden sind, nicht im geringsten génirt ist. Jeder lebt, wie er kann; kleidet sich, wie es ihm gefällt; geht, wie es ihm die Natur gab; thut, was ihn gut dünkt: u. kein Mensch hat was dagegen. Was Barth zu seiner Entschuldigung wegen seiner bekannten Liederlichkeit anführt, scheint mir nicht hinreichend zu sein; denn ein Mensch von Charakter – u. ein Geistlicher sollte das doch wohl sein – läßt sich nicht verführen. Für einen jungen Menschen möchte eine solche Entschuldigung hinreichen.
Doch, was vertheidige ich Leipzig, das doch nicht der Ort ist, wo ich zu leben wünschte, weil Du nicht da bist, u. nicht da sein kannst.
Antworte mir bald, u. glaube, daß alle Tage mir unschmakhaft verfließen werden, so lange ich von Dir getrennt bin, und daß nur an Deiner Seite mich mein Glük erwartet. Bleib die meine, und glaube, daß ich mit der innigsten Zärtlichkeit ewig bin ganz der
Deinige. F.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 2. November 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 181‒185.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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