d. 1. November. Abends.
In dieser Minute, theuerste Seele, erhalte ich Deinen Brief, und reis[s]e den meinigen, den ich schon versiegelt hatte, um ihn Dir mit dem morgenden Posttage zu schiken, wieder auf, um Dich um Verzeihung zu bitten, daß ich Dir durch meine Fahrläßigkeit wieder Unruhe verursacht habe. – Theurer Engel, Dein Schmerz geht mir durch die Seele. So glüklich, von Dir geliebt zu sein, und so unglüklich Dir so oft Schmerzen zu verursachen! Aber, o ich bitte Dich – erwarte doch nicht immer das schlimmste. Du verbitterst Dir dadurch Dein Leben, Dein mir so liebes Leben. Wenn ich nicht sogleich schreibe – aber es soll das leztemal sein, daß ich es aufgeschoben habe – so glaube, daß die Ursache eher an Allem liegt, als an Mangel der Liebe, oder an Kränklichkeit. Mein Herz ist Dir ganz gewidmet, und fliegt, so oft es frei ist, Dir zu. Meine Gesundheit ist sehr fest, und sie befestigt sich immer mehr. Glaube nicht, daß ich Verdruß habe. Ich habe niemand zu befehlen, u. niemand mir: worüber sollte ich mich ärgern. Ich lebe so ziemlich, als ein Einsiedler. – Ich habe einen einzigen Freund; und auch der ist eigentlich nichts weiter, als ein Bekannter. Den sehe ich die Woche höchstens zweimahl. Ist irgend jemand auf der Erde frei, so bin ich’s.
Meine Lebensart ist nicht mehr die vorige. Früh um 8. Uhr fange ich an Stunden zu geben; und gebe zwar nicht ununterbrochen, aber doch in nicht längern Zwischenräumen, als höchstens eine Stunde, welche fort, bis Abends um 7. Uhr. Freilich geht mir ein großer Theil meiner Zeit verlohren; aber desto theurer wird mir dann derjenige, der mir bleibt, nemlich die Abende. Diese widme ich nun eigentlich dem Studiren; denn den Tag über ist freilich an ernsthaftes Studiren nicht viel zu denken.
Inzwischen bekömmt mir diese Beschäftigung gut; und ich vereinige dadurch zwei Dinge, die sonst nicht gut zu vereinigen sind: Unabhängigkeit von Sorgen – und Freiheit.
Wie glüklich würde mir dieser Winter verfließen, wenn ich ihn an Deiner Seite verleben könnte; aber das Schiksal wollte es nicht so. Noch ehe ich Deine leztern lieben Briefe bekam wurde ich mit einem hiesigen Kaufmanne bekannt, der sich für allen seinen hiesigen Mitbrüdern sehr vortheilhaft auszeichnet, und der, was hier ein Wunder ist, und was mir den Mann sehr lieb machte, drei sehr wohlgezogne Söhne hat. Er glaubte, daß ich etwas zum Besten derselben beitragen könnte, verabschiedete alle seine Lehrer, und übertrug mir alle Stunden bei denselben. Ich hatte es ihm versprochen, wenigstens bis Oster hier zu bleiben. Mein Versprechen reute mich nach Erhaltung Deines Briefs; aber es war zu spät, und, liebe Seele, daß ich einem guten Manne Hofnungen vereitle, die ich ihm gemacht habe, das wolltest Du wohl selbst nicht. [/]
Uebrigens behaupte ich meine Unabhängigkeit; gebe meine Stunden, u. bekümmere mich weiter um nichts. Man belohnt mich mit Zutrauen, und Achtung; und für alle Möglichkeit dies zu verlieren, sorge ich durch die Entfernung, in der ich mich halte. Zum Glük habe ich mit sehr guten Knaben zu thun, und Beschäftigungen mit denselben, die über die Anfangsgründe längst hinaus sind.
Du machst mir eine sehr angenehme Erwartung durch das Versprechen Deines lieben Porträts. Es soll mein Herz stärken, die Tage der Trennung muthiger zu ertragen. – Ach! warum kann ich Dir doch das meinige nicht auch schiken? Ich habe die Michaelis Meße nach Dreßden reisen wollen; es hat aber wegen meiner Geschäfte unterbleiben müßen. So bald ich mich aber abmüßigen kann, wird es geschehen. Hier wüste ich niemanden, dem ich es anvertrauen könnte. Leipzig hat Kunstwerke genug; aber wenig Künstler. Der Siz derselben für Sachsen ist Dreßden.
Achelis Brief hat mir viel Freude gemacht. Nach Deiner Liebe, deren Werth mir ohne alle Vergleichung gros ist, ist die Freundschaft dieses treflichen jungen Mannes der erste Schaz, den ich aus Zürich mitweggebracht habe; und wohl mir! daß er von einem Charakter ist, sie nicht untergehen zu laßen. – Schreib ihm immer, gute Seele: die Freundschaft braver Leute ist uns Ehre. – D. Beyr, ersehe ich aus Achelis Briefe, hat sich auch gegen ihn herzlich schlecht betragen. Ist es Dir nicht anderwärts her bekannt, so laß das unter uns bleiben. Daß doch Schwäche so leicht in Schlechtigkeit ausartet! – Escher dauert mich sehr. Ich habe ihm geschrieben. Gern hätte ich ihm einen längern Brief geschrieben, um vielleicht etwas zu seiner Beruhigung beizutragen: aber bei seinem Charakter würde man vielleicht durch Berührung mancher Puncte, z. B. des Sterbens, nur Uebel ärger machen. Sein Trost würde die Kantische Philosophie sein. Ich habe ihm geschrieben, was sie auf mich gewürkt hat: aber wird er Kraft – ach! wird er Zeit haben sie zu studiren? Gott gebe, daß ihn mein Brief noch am Leben antreffe! Eine Zeile von ihm würde mir sehr theuer sein; da ich ihrer warscheinlich nicht viele mehr zu erwarten habe. – Ich habe hier in Sachsen einen Freund, (aber ich habe ihn seit 2½. Jahren nicht gesehen, denn er ist seit dem auf dem Lande) der in der frühsten Jugend an Kenntnißen, u. Verstande Männer übertraf; seit geraumer Zeit eine sehr edle moralische Denkungsart angenommen zu haben scheint, aber schon seit mehrern Jahren eine vielleicht unwiderbringliche zerrüttete Gesundheit hat – den ich auch vielleicht nicht wieder sehe. Das ist Menschen Schiksal! Laß uns hinaus sehen über das Grab hinüber.
Grüße Deinen herrlichen Vater. Deine Liebe; die Freundschaft von Leuten, wie Dein Vater ist; – womit verdiente ich dies Glük? Wie viel habe ich noch zu thun, um deßelben würdig zu werden?
Lebe wohl. Gott erhalte Dich
Deinem F.
In dieser Minute, theuerste Seele, erhalte ich Deinen Brief, und reis[s]e den meinigen, den ich schon versiegelt hatte, um ihn Dir mit dem morgenden Posttage zu schiken, wieder auf, um Dich um Verzeihung zu bitten, daß ich Dir durch meine Fahrläßigkeit wieder Unruhe verursacht habe. – Theurer Engel, Dein Schmerz geht mir durch die Seele. So glüklich, von Dir geliebt zu sein, und so unglüklich Dir so oft Schmerzen zu verursachen! Aber, o ich bitte Dich – erwarte doch nicht immer das schlimmste. Du verbitterst Dir dadurch Dein Leben, Dein mir so liebes Leben. Wenn ich nicht sogleich schreibe – aber es soll das leztemal sein, daß ich es aufgeschoben habe – so glaube, daß die Ursache eher an Allem liegt, als an Mangel der Liebe, oder an Kränklichkeit. Mein Herz ist Dir ganz gewidmet, und fliegt, so oft es frei ist, Dir zu. Meine Gesundheit ist sehr fest, und sie befestigt sich immer mehr. Glaube nicht, daß ich Verdruß habe. Ich habe niemand zu befehlen, u. niemand mir: worüber sollte ich mich ärgern. Ich lebe so ziemlich, als ein Einsiedler. – Ich habe einen einzigen Freund; und auch der ist eigentlich nichts weiter, als ein Bekannter. Den sehe ich die Woche höchstens zweimahl. Ist irgend jemand auf der Erde frei, so bin ich’s.
Meine Lebensart ist nicht mehr die vorige. Früh um 8. Uhr fange ich an Stunden zu geben; und gebe zwar nicht ununterbrochen, aber doch in nicht längern Zwischenräumen, als höchstens eine Stunde, welche fort, bis Abends um 7. Uhr. Freilich geht mir ein großer Theil meiner Zeit verlohren; aber desto theurer wird mir dann derjenige, der mir bleibt, nemlich die Abende. Diese widme ich nun eigentlich dem Studiren; denn den Tag über ist freilich an ernsthaftes Studiren nicht viel zu denken.
Inzwischen bekömmt mir diese Beschäftigung gut; und ich vereinige dadurch zwei Dinge, die sonst nicht gut zu vereinigen sind: Unabhängigkeit von Sorgen – und Freiheit.
Wie glüklich würde mir dieser Winter verfließen, wenn ich ihn an Deiner Seite verleben könnte; aber das Schiksal wollte es nicht so. Noch ehe ich Deine leztern lieben Briefe bekam wurde ich mit einem hiesigen Kaufmanne bekannt, der sich für allen seinen hiesigen Mitbrüdern sehr vortheilhaft auszeichnet, und der, was hier ein Wunder ist, und was mir den Mann sehr lieb machte, drei sehr wohlgezogne Söhne hat. Er glaubte, daß ich etwas zum Besten derselben beitragen könnte, verabschiedete alle seine Lehrer, und übertrug mir alle Stunden bei denselben. Ich hatte es ihm versprochen, wenigstens bis Oster hier zu bleiben. Mein Versprechen reute mich nach Erhaltung Deines Briefs; aber es war zu spät, und, liebe Seele, daß ich einem guten Manne Hofnungen vereitle, die ich ihm gemacht habe, das wolltest Du wohl selbst nicht. [/]
Uebrigens behaupte ich meine Unabhängigkeit; gebe meine Stunden, u. bekümmere mich weiter um nichts. Man belohnt mich mit Zutrauen, und Achtung; und für alle Möglichkeit dies zu verlieren, sorge ich durch die Entfernung, in der ich mich halte. Zum Glük habe ich mit sehr guten Knaben zu thun, und Beschäftigungen mit denselben, die über die Anfangsgründe längst hinaus sind.
Du machst mir eine sehr angenehme Erwartung durch das Versprechen Deines lieben Porträts. Es soll mein Herz stärken, die Tage der Trennung muthiger zu ertragen. – Ach! warum kann ich Dir doch das meinige nicht auch schiken? Ich habe die Michaelis Meße nach Dreßden reisen wollen; es hat aber wegen meiner Geschäfte unterbleiben müßen. So bald ich mich aber abmüßigen kann, wird es geschehen. Hier wüste ich niemanden, dem ich es anvertrauen könnte. Leipzig hat Kunstwerke genug; aber wenig Künstler. Der Siz derselben für Sachsen ist Dreßden.
Achelis Brief hat mir viel Freude gemacht. Nach Deiner Liebe, deren Werth mir ohne alle Vergleichung gros ist, ist die Freundschaft dieses treflichen jungen Mannes der erste Schaz, den ich aus Zürich mitweggebracht habe; und wohl mir! daß er von einem Charakter ist, sie nicht untergehen zu laßen. – Schreib ihm immer, gute Seele: die Freundschaft braver Leute ist uns Ehre. – D. Beyr, ersehe ich aus Achelis Briefe, hat sich auch gegen ihn herzlich schlecht betragen. Ist es Dir nicht anderwärts her bekannt, so laß das unter uns bleiben. Daß doch Schwäche so leicht in Schlechtigkeit ausartet! – Escher dauert mich sehr. Ich habe ihm geschrieben. Gern hätte ich ihm einen längern Brief geschrieben, um vielleicht etwas zu seiner Beruhigung beizutragen: aber bei seinem Charakter würde man vielleicht durch Berührung mancher Puncte, z. B. des Sterbens, nur Uebel ärger machen. Sein Trost würde die Kantische Philosophie sein. Ich habe ihm geschrieben, was sie auf mich gewürkt hat: aber wird er Kraft – ach! wird er Zeit haben sie zu studiren? Gott gebe, daß ihn mein Brief noch am Leben antreffe! Eine Zeile von ihm würde mir sehr theuer sein; da ich ihrer warscheinlich nicht viele mehr zu erwarten habe. – Ich habe hier in Sachsen einen Freund, (aber ich habe ihn seit 2½. Jahren nicht gesehen, denn er ist seit dem auf dem Lande) der in der frühsten Jugend an Kenntnißen, u. Verstande Männer übertraf; seit geraumer Zeit eine sehr edle moralische Denkungsart angenommen zu haben scheint, aber schon seit mehrern Jahren eine vielleicht unwiderbringliche zerrüttete Gesundheit hat – den ich auch vielleicht nicht wieder sehe. Das ist Menschen Schiksal! Laß uns hinaus sehen über das Grab hinüber.
Grüße Deinen herrlichen Vater. Deine Liebe; die Freundschaft von Leuten, wie Dein Vater ist; – womit verdiente ich dies Glük? Wie viel habe ich noch zu thun, um deßelben würdig zu werden?
Lebe wohl. Gott erhalte Dich
Deinem F.