Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Johann Gottlieb Fichte to Friedrich August Weisshuhn

[. . .] – Seit einiger Zeit habe ich mich besonders mit dem Studium der Kritik der Urtheilskraft be[/]schäftigt, und da sie mir ziemlich dunkel vorkam, so glaubte ich, sie könnte Andern leicht eben so vorkommen, und es würde kein ganz überflüssiges Werk seyn, sie etwas deutlicher zu machen. Bis hierher dachte ich vielleicht richtig: aber ob ich es seyn könnte, der sie deutlicher mache; dacht ich darin eben so richtig? Dies ist es, was ich von Ihnen erfahren will, und deßhalb schicke ich Ihnen hier den Anfang des Manuscripts, d. h. Alles, womit ich aus dem Gröbsten im Reinen bin. – Meine Absicht war, Wiederholungen abzuschneiden, die synthetische Methode, die Kant in Absicht des Ganzen unerreichbar durchführt, auch in die einzelnsten Theile desselben, wo er mir oft unordentlich zu seyn scheint, zu bringen; – was sehr dunkel ist, mit Andern, wenn auch nicht bessern, doch deutlichern Worten zu sagen, damit ein Leser, der zugleich des Kantischen Buches sich bedient, eine Sache von zwei Seiten sehen könne. Bei Stellen, die mir hell genug zu seyn schienen, habe ich möglichst den Kantischen Ausdruck beibehalten. Ob dies nicht ein Plagiat sey? Ich glaube nicht, wenn die Vorrede es ausdrücklich sagt, wie sie es sagen wird.
Die Einleitung schien mir das Dunkelste im Buche. Mühe habe ich mir freilich gegeben, Licht hinein zu bringen; aber wie es gelungen ist, weiß ich nicht. Hier und da bin ich von der Kantischen Vorstellungsart abgewichen, weil eine andere mir deutlicher zu seyn schien, die zu eben den Resultaten führt.
Hinterher scheint es mir, ich hätte besser gethan, bei der Anordnung der einzelnen Materien von Kant abzugehen: die Darstellung müßte an Deutlichkeit, [/] wäre es auch nur durch veränderte Gesichtspunkte, gewonnen haben; wenigstens hätte sie mehr das Ansehen eines wissenschaftlich verbundenen Ganzen äußerlich bekommen. Vielleicht, und wenn es nicht an Zeit gebricht, schicke ich in einem Anhange eine kurze Darstellung der Kritik in einer andern Gedankenfolge nach.
Wegen des Styls muß ich erröthen – so holpricht, so voll von Tautologien und Wiederholungen derselben Worte ist er, so viel lange Perioden sind darin! Aber es ist schwerer, als man denkt, auch Kantische Ideen in einer fließenden Schreibart vorzutragen, und ich hatte mehr zu thun nicht Zeit. Ich habe so schon mehrere Paragraphen mehr als fünfmal umgearbeitet.
Meine Bitte dabei an Sie ist diese: Wollen Sie wohl das Manuscript durchsehen, und mir ihren freundschaftlichen Rath ertheilen, ob es so bleiben kann, oder ob es ganz umgeschmolzen werden muß?
Sollten Sie es nun, wie ich leider mehr wünsche, als hoffe, billigen, so – ich werde unverschämt, aber es ist Ihre Art nicht, ein gutes Werk halb zu thun; und wenn es dies nicht ist, sollen Sie es gar nicht thun! – Kurz, Sie merken, warum ich bitten will. Ich habe keinen Bekannten unter den hiesigen Buchhändlern und Gelehrten, und wenn ich ihn auch hätte, so wüßte ich doch Niemanden, von dem ich lieber in die Schriftstellerwelt eingeführt werden wollte, als von Ihnen. Könnten Sie mir wohl entweder dadurch, daß Sie selbst an einen Buchhändler schrieben, – verlegt Dyk wohl philosophische Sachen? – oder auch durch einen Brief an Heydenreich zu einem Verleger verhelfen? [/]
Aber ich eile und wünschte, daß, wenn es irgend möglich wäre, das Buch mit künftiger Neujahrsmesse herauskäme; nämlich nur der erste Theil, enthaltend die ästhetische Urtheilskraft, während der zweite, enthaltend die teleologische Urtheilskraft, dann nach meinem Plane zu Ostern folgen sollte. Da müßte man freilich wenigstens mit Anfang künftigen Monats mit dem Verleger richtig seyn, damit dann der Druck sogleich angefangen werden könnte.
Ueber den Titel bin ich noch unentschieden. – „Versuch eines erklärenden Auszugs aus Kant’s Kritik der Urtheilskraft“: was meinen Sie? Meinen Namen werde ich in jedem Falle darunter setzen.
Ueber eine Revolution in meinem Geiste habe ich Ihnen schon geschrieben, glaube ich. Ich denke so fort, und es erhält und befestigt mir meine Ruhe immer tiefer. Ich weiß nicht, was mir bevorsteht; aber ich mag es auch nicht wissen. Ich habe nur eine Sorge: mein Herz, und wo möglich meinen Geist in Ordnung zu bringen; ist auch letzteres nicht ganz möglich, wie es denn bei so heterogenen Beschäftigungen nicht möglich ist, nun wohl; so ist es nicht meine Schuld.
Metadata Concerning Header
  • Date: November 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Friedrich August Weisshuhn
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Schönewerda ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 188‒190.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

Weitere Infos ·