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Johann Gottlieb Fichte to Heinrich Nikolaus Achelis

An Achelis nach Bremen.
So werde ich doch unter den Folgen meines Aufenthalts in Z. deßen reellen Einfluß auf mein Wohlsein ich noch nicht sehe, wenigstens Ihre Freundschaft behalten. Mein Herz dankt Ihnen für den gütigen Brief, der mich deßen auf eine so überzeugende Art versichert.
Die Geschicht [Ihrer] Reise durch die italiänische Schweiz, u. ihrer Begebenheit mit D. Beyr auf dem Gotthard habe ich mit inniger Theilnehmung gelesen. Ich habe so etwas von D. Beyr befürchtet, u. wo ich nicht irre, habe ich schon in Z. gegen [Sie] geäußert, daß ich Ihnen einen andern Reisegefährten wünschte. Daß er ein physi[s]ch schwacher Mensch war, war uns ja immer bekannt; u. physische Schwäche wirkt allemal sicher moralische. Was soll man mit solchen Menschen machen? Beßern könnte sie nur der Arzt, wenn es in der Macht der Aerzte stünde statt schlaffen Nerven festere einzusezen: es bleibt Ihnen also freilich nichts übrig, als unser Mitleid, wegen eines Zustandes, durch den sie sich selbst, u. andern lästig werden. – Wie er es vor meiner Abreise machte, daß er nemlich von Z. verreis’te ohne Abschied von mir zu nehmen, u sich seitdem nicht mehr wieder vor mir sehen ließ, ist Ihnen bekannt; daß er mir auf einen Brief den ich gleich nach meiner Ankunft in Leipzig an ihn schrieb, nicht antwortet, u. daß er es dem Bar. Walldorf, für deßen wärmsten Freund er doch in Z. paßirte, gleichfals so macht, kann ich Ihnen sagen. Das ist also einmal seine Art sich von seinen Freunden zu trennen; fein ist diese Art freilich nicht, aber da er es allen so macht, so hat keiner insbesondere ein Recht dadurch beleidiget zu werden. Ich übergebe ihn der Vergeßenheit, wie ich schon manchen Alltagsmenschen ihr übergeben habe.
Sie haben von der Begebenheit den Vortheil, daß [Sie] theils selbst Gelegenheit gefunden haben Ihren Muth zu brauchen, u. durch den glüklichen Erfolg dieser Anstrengung Ihre Kraft zu stählen, theils in Ihrem Selbstgefühl beßer zu sein eine neue Freude zu finden: u. so gebraucht sind alle Begebenheiten unsers Lebens von vortheilhaften Folgen für uns.
Ich würde [Sie] wegen Ihrer Wanderungen, u. wegen der mannigfaltigen Bildung, die ein Mann, wie Sie, sich sicher dadurch erworben hat, beneiden, wenn ich Sie weniger liebte: aber darüber zürne ich doch ein wenig mit dem Schiksaale, daß es mir wenigstens nicht einigen Antheil daran, durch den Genuß Ihres Umgangs, verstatten will. Werde ich Sie wohl in diesem ErdenLeben noch einmal sehn? Ich würde sehr untröstlich sein, wenn mir jemand jezt diese Frage mit einem sichern Nein beantworten wollte.
Der Gesichtspunct aus welchem Sie die Schweiz ansehen, als einen kurzen Abriß der ganzen Erde, u. der physischen, u. moralischen Haupt-Unterscheidungen ihres Hauptbewohners, des Menschen, ist ein origineller, u. [Ihrer] würdiger Gedanke. Mit der Wahrheitsliebe, die ich immer beobachten werde, gestehe ich freilich, daß es nicht Geschäft einer so kurzen Reise gewesen sein könne, alle diese Züge aufzunehmen, u. in ein Ganzes zu faßen: aber es macht Ihnen schon Ehre diese Idee gefaßt zu haben: u. es würde sich auch aus den Beobachtungen, die [Sie] gewiß tiefer geschöpft haben, als Ihre Bescheidenheit gestehen will, viel trefliches zur Erläuterung dieser Idee für andere gute Köpfe, die nach Ihnen, mit mehr Muße reisen werden, sagen laßen. Ich würde Ihnen also sehr rathen, daß Sie etwas in diesem Geiste schrieben; u. endlich Ihre zu große Bescheidenheit ablegten. Wer soviel Geist, u. ein so richtiges Gefühl, mit einer so reifen Bildung der Schreibart vereinigt, als Sie, sollte sich der Welt nüzlich machen. Wenn Sie nicht schreiben wollen, wer soll es denn? Leute, die, da Ihre Seele sich nicht einmal zur Vorstellung von etwas beßern erheben soll, Ihre Mangelhaftigkeit nicht fühlen. Unter den Reisebeschreibungen der Schweiz die Sie nennen blendet [Sie] vielleicht Meiners durch seinen Ruf? Er ist wohl mehr durchgerauscht als Sie, u. wie unrichtig z. B. seine Charakterschilderungen sind, kann schon ich, in Absicht der Zürcher beurtheilen. Etwas so gutes als Küttner, den ich gern gelesen habe, oder etwas beßers würden Sie auch geben. Coxe, u. Storr habe ich nicht gelesen. Und, weil ich doch einmal bei diesem Capitel bin – wann wird man etwas von Ihren Gedichten im Publicum sehen, die eine so strenge Clausur nicht verdienen. Ich wenigstens ergöze mich manchen Abend mit dem Wiederlesen einiger, die in Abschriften Ich [/] habe, u. finde immer neues Vergnügen daran. Dieses Vergnügen möchte ich gern mehreren Leuten gönnen. Hat bei mir vielleicht die Freundschaft Antheil an dem wiederholten Vergnügen, das sie mir gewähren; so stehe ich doch auch vielleicht bei Ihnen in der Renomee, daß mir nichts ganz schlechtes gefällt, u. dann soll sie das Publikum auch nicht so oft lesen als ich sie lese. –
Möge es Ihnen in Ihrer Vaterstadt ganz nach Wunsche gehen! Mögen Sie allenthalben das reine Vergnügen finden, zu deßen Genuß Ihr Herz Sie so fähig macht! Ich werde einen lebhaften Antheil daran nehmen, u. aus der Wohlfahrth meiner Freunde, u. besonders der Ihrigen, diejenige Freude schöpfen, die mir etwa mein eignes [Schiksal] nicht gewähren sollte.
Nicht als ob ich damit klagen wollte. Ich lebe seit ohngefähr 4. bis 5. Monaten in Leipzig das glüklichste Leben, deßen ich mich in meinen ganzen Lebenstagen errinnere; u. – was das befriedigendste ist – ich verdanke keinem Menschen das mindeste Ingredienz dieses Glüks. Sie wißen, daß ich zu lezt in Z. anfing ein wenig zu kränkeln. Entweder das war zum Theil Einbildung, oder die Schwerdt=Küche bekam mir nicht. Seit meiner Abreise v. Z. bin ich die Gesundheit selbst; u. ich weiß dies Glük zu schäzen. Mein Aufenthalt in Z. u. noch mehr meine Reise hatten meine Phantasie auf eine unnatürliche Höhe gespannt. Ich kam mit einem Kopfe der von großen Plänen wimmelte, nach Leipzig. Alles scheiterte, u. von soviel Seifenblasen blieb mir nicht der leichte Schaum übrig, daraus sie zusammengesezt waren. Anfangs störte dies meine SeelenRuhe wohl ein wenig; und es war halbe Verzweiflung, daß ich eine Partie ergrif, die ich eher hätte ergreifen sollen. Da ich das außer mir nicht ändern konnte, so beschloß ich das in mir zu ändern. Ich warf mich in die Philosophie, und das zwar – wie es sich versteht – in die Kantische. Hier fand ich die Gegenmittel für die wahre Quelle meines Uebels, u. Freude genug obendrein. Der Einfluß den diese Philosophie, besonders der Moralische Theil derselben, der aber ohne Studium der Kr. d. r. Vft. nicht verständlich ist, auf das ganze Denksystem eines Menschen hat, die Revolution, die durch sie besonders in meiner ganzen Denkungsart entstanden ist, ist unbegreiflich. Ihnen besonders bin ich das Geständnis schuldig, daß ich jezt von ganzem Herzen an die Freiheit des Menschen glaube, u. wohl einsehe, daß nur unter dieser Voraussezung Pflicht, Tugend, u. überhaupt eine Moral möglich ist; eine Wahrheit, die ich auch sonst sehr wohl einsah, u. auch Ihnen vielleicht es gestanden habe, durch die ganze Folge meiner Schlüße gedrungen aber die ganze Moral ableugnete. Es ist mir ferner sehr einleuchtend, daß aus dem angenommenen Saze der Nothwendigkeit aller menschl. Handlungen sehr schädl. Folgen für die Gesellschaft fließen, daß das große Sittenverderben der sogenannten beßern Stände gröstentheils aus dieser Quelle entsteht; u. daß es ganz andere Grunde hat, als die Unschädlichkeit, oder wohl gar Nüzlichkeit dieses Sazes, wenn jemand der ihn annimmt sich von diesem Verderben rein erhält. Sie leitete Ihr unverdorbnes sittl. Gefühl beßer, als mich mein Räsonnement; u. – noch gestehe ich mir’s – in Absicht auf das leztere ist es verzeihlich hier zu fehlen, u. eine Menge anderer, die hier nicht fehlen, haben es nicht ihrem größern Scharfsinne, sondern ihrer größern Inconsequenz zu danken. – Ich bin ferner sehr fest überzeugt, daß hienieden garnicht das Land des Genußes, sondern das Land der Arbeit, u. Mühe ist, u. daß jede Freude nichts weiter als Stärkung zu größerer Mühe sein soll; daß die Bereitung unsers Schiksals gar nicht, sondern blos die Cultur unsrer selbst von uns gefordert wird; kümmere mich um die Dinge, die außer mir sind, gar nicht; trachte nicht zu scheinen, sondern zu sein[,] u. diesen Ueberzeugungen danke ich denn die tiefe SeelenRuhe, die ich genieße. Meine äußerl. Lage ist völlig so wie sie für eine solche Disposition sein muß. Ich bin niemands Herr noch Knecht. Aussichten habe ich gar nicht; denn die ganze hiesige kirchliche Verfaßung, so wie die Menschen, gefällt mir nicht. So lange ich meine jezige [Un]Abhängigkeit behaupten kann, werde ich es um jeden Preis thun.
Sie fragen mich, ob ich Antheil an Journalen habe? Nein, an keinen. Es war anfangs mein Plan in die Bibliothek der schönen Wißenschaften zu arbeiten. Aber da ist Anarchie. Weiße heißt Redacteur, der Buchhändler ist’s, u. ich will in Geschäften dieser Art, mit keinem Buchhändler nichts zu thun haben. Auch schikte ich meinen Aufsatz über K. Meßias an Boye für das Deutsche Museum. Boye schrieb mir, er fürchte der Dichter [/], der ihn seit Jahren mit seiner Freundschaft beehre, könnte es übel nehmen, wenn ein Aufsatz, der seinem Meßias gefährlich werden könne, durch ihn in’s Publikum komme, u. dgl. Es war mir sehr recht, denn schon hatte ich die Sünde bereut. Wenn ich Schriftsteller werde, so will ich es auf meine eigene Hand. Und dann – Schriftstellerei, als ein Handwerk ist für mich Nichts. Es ist unglaublich, wie viel Arbeit es mir kostet, Etwas zu Wege zu bringen, mit dem ich nur halb zufrieden bin. Je mehr ich schreibe, desto schwerer wird es mir. Ich sehe, daß mir das lebendige Feuer fehlt. Ich arbeite seit einiger Zeit an einem erklärenden Auszuge von Kant’s Kritik der Urtheilskraft. Aber ich werde ihn wohl, wenn er ja erscheinen soll, ehe hundert Fabrikate mir in den Weg treten, noch halb roh in’s Publikum werfen müssen. Erscheint das Kind, so sollen Sie es haben. – Wenn ich Zeit und Ruhe finde, so werde ich vor der Hand sie ganz der Kantischen Philosophie widmen. Seine MoralGrundsätze, in popularem Vortrage, mit Kraft und Feuer dem Publikum an’s Herz gelegt, wären viel[/]leicht eine Wohlthat für die Welt. Ich hätte Lust mir dies Verdienst zu erwerben, besonders da ich zu einer Entschädigung, weil auch ich meines Orts nicht ermangelt habe, falsche Grundsätze zu verbreiten, es schuldig bin. Ueberdies ist seine Moral eines popularen Vortrags fähig; aber das Geschäft erfordert Muße und Unabhängigkeit, und werde ich die haben?
Der arme Escher! Eben jetzt erhalte ich Briefe aus Zürich, die mir seinen Zustand sehr kläglich schildern. Ich habe ihm geschrieben1; aber er kann schon längst nicht mehr lesen, und man hat ihm meinen Brief vorlesen müssen. Ich thue Verzicht darauf, noch eine Zeile von seiner Hand zu sehen; dafür will ich mir seine Idyllen im Helvetischen Calender kommen lassen. Ich habe in Sax schöne Sachen bei ihm gesehen, und es geht mit ihm viel verloren. Aber schon sein Schicksal macht ihn merkwürdig, denn es ist schrecklich mit so viel Lust zum Leben bei lebendigem Leibe zu verwesen! Wenn ich nicht eine andere Welt glaubte, ich würde beben. –
Schreiben Sie mir bald, und eine ausführliche Schilderung Ihrer Lage: ich werde Sie immer in meinem Herzen lesen lassen, und es wird mir immer ein vortheilhaftes Zeugniß für dasselbe seyn, wenn ich es darf.
Metadata Concerning Header
  • Date: November 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Heinrich Nikolaus Achelis ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Bremen · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 190‒195.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 36

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