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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Leipzig, d. 6ten Xbr. 1790.
Theuerste Geliebte,
Deine rührende Klage über mein vorhergegangenes Stillschweigen, und noch mehr Deine zärtliche Freude, daß ich Dir endlich geschrieben – ich, deßen geringstes das ist, was er für Dich thun soll – gingen mir durch’s Herz. Ich that mir bei Lesung derselben die heiligste Versicherung Dir, so lange diese traurige Trennung noch währt, nicht wieder Veranlaßung zu geben, etwas, das so wenig ist, als eine so große Gunst des Schiksals aufzunehmen. – Ich sage: – so lange diese Trennung noch währt: – denn ich denke, wenn bei Dir die Umstände so bleiben, zu Anfange des Aprills künftigen Jahres die Reise zu Dir, dem Innbegriffe alles Glüks, auf welches ich auf der Erde noch Anspruch mache, anzutreten: denn keine Veränderung in meinen Umständen soll mich daran verhindern. Schon jezt ist es mir Erholung von aller Arbeit mich an Deine Seite hinzuträumen: ich genieße dann die frohesten Stunden, die ich in meiner gegenwärtigen Lage genießen kann; und auch jezt will ich mich mit Dir über diesen meinen Lieblingstraum, deßen freudige Erfüllung mir so nahe bevorsteht, unterhalten. – Das unangenehmste zuerst!
Wie werden die Zürcher wohl meine Erscheinung in Zürich, und meine Erscheinung, als Deinen Geliebten, aufnehmen? Denn eben erhalte ich einen Brief von Herr Ott, der durch H. Fäsi von der blos unbestimmten Aeußerung, daß ich wohl wieder in die Schweiz kommen dürfte, die ich gegen den leztern that, gehört hat. Dieser schreibt, es werde sie alle freuen, u. s. w. Möchte ich davon nur recht gewiß sein? Möchte ich nur recht überzeugt sein, daß – nicht für mich (ich kann [dies] allenfals tragen) nein – sondern daß für Dich keine Unannehmlichkeiten daraus entstehen könnten: dies zu ertragen wäre ich vielleicht zu schwach! Möchte ich ferner recht gewiß sein, daß ich niemandem in Deiner Familie Anlaß zum Misvergnügen geben werde! Für diejenigen Glieder zwar, die ich kenne, bürgt mir ihre gemeinschaftliche Liebe gegen Dich. Mir ist eingefallen, ob es vielleicht um der Leute willen beßer sei, vors erste, bis männiglich wieder an mein Gesicht gewöhnt wäre, die wahre Absicht meiner Rükkehr nach Zürich zu verbergen, und blos den Schein anzunehmen, als ob ich mich etwa noch ein [/] Jahr in der Schweiz aufhalten wollte, zu meinem Aufenthalte vorzüglich das Haus Deines Vaters wegen seiner ehemaligen Freundschaft für mich gewählt habe, u. s. w. und dann bei diesem Aufenthalte mir Deine unschäzbare Liebe, deren überzeugter Besiz schon jezt mein Glük ist, mir allmählich erwürbe. – Doch, was sorge ich dafür, als ob ich Deine practische Weißheit nicht kennte; nicht überzeugt wäre, daß Du dies alles am besten beurtheilen könnest; nicht wüste, daß ich meine Schiksale ruhig in Deine Hand übergeben könnte? Es fiel mir nur, wegen der Idee, die ich einmal von den Zürchern habe, ein, daß man nöthig habe sich mit Ihnen vorzusehen: und ob ich gleich keinen Beruf zu haben glaube, meine wahre Lage jedem ersten besten zu entdeken; so stimmt es doch auch mit meinen Grundsäzen nicht ganz überein, jemanden etwas über dieselbe glauben zu machen, [das] nicht ist. Jedoch, was sage ich auch dies? Dir guten, religiösen, gewißenhaften Seele kann ich ja auch diese Sorge so sicher, und sicherer, als mir, übertragen.
Wegen meiner Lebensart habe ich den Plan. So lange wir in Zürich sind – und Gott erhalte Deinen guten herrlichen Vater lange! – denke ich mich als Schriftsteller zu beschäftigen. Kömmt etwas neben bei von Stunden, so werde ich es zwar nicht abweisen; ich weiß aber, daß das in Zürich bei einem, der, wie ich, gar nicht neues noch nie gehörtes zu lehren Profeßion macht, seine Schwierigkeiten hat, und also nicht darauf zu rechnen ist. Aber auch auf das erste Metier – was ist darauf zu rechnen? Ich weiß es; und bin im voraus beschämt, daß ich den Aufwand, statt ihn zu erleichtern, vielleicht erschweren werde. – In Absicht der Zukunft bleibt mir wegen Unterschied der Religion – von welchem zu befürchten ist, daß er andern wichtiger sein könne, als er mir ist – und noch mehr wegen der egoistischen Verfaßung der Schweiz, nichts übrig als das Würtembergische, oder Marggräfl. Badische. In Absicht des erstren ist mir die Nachricht von Herrn Lavater sehr lieb gewesen. Der jezige Herzog zu Mömpelgard ist Erbfolger des jezigen Herzogs von Würtemberg. Lavater würde mir also in Absicht einer geistlichen Stelle im Würtembergischen dienen können: ob er wollen wird, davon bin [/] ich nicht eben so überzeugt. Suche die Freundschaft dieses Hauses ja zu erhalten. Im Fall es durch diesen Weg nicht ginge, bliebe mir die academische Laufbahn, etwa in Tübingen, übrig; wie wohl ich gegen das leztere, theils um der Sache selbst willen, theils wegen des Orts, einige Abneigung habe. In Absicht des Marggraf von Baden könnte uns vielleicht Klopstok helfen, wenn ihm Gott sein Leben fristet. Aber würdest Du mir auch gern außerhalb Zürichs folgen? Doch ich hätte diese Pläne gar nicht gemacht, wenn ich nicht geglaubt hätte zu entdeken, daß Dich nichts an Zürich bindet, als Dein guter Vater. –
Der Vorschlag meine jezigen Lehrlinge mit nach Zürich zu bringen, und Deine liebenswürdigen Anerbietungen in diesem Falle sind Deines Geistes, und Deines Herzens gleich würdig. Ich sehe die vielen Vortheile, die in so mancher Betrachtung daraus herfließen würden; und dann würde auch ein Wunsch, der nach dem, Dich zu besizen einer meiner ersten ist, der, mich besonders von einem der Knaben nicht zu trennen, erfüllt. Und doch traue ich mich kaum den Vorschlag dem Vater zu thun; so sicher bin ich, daß er abgewiesen wird. In Absicht der beiden ältern Knaben, welche schon künftiges Jahr im Comtoir des Vaters angestellt werden sollen, findet er gar nicht statt. Der kleinere aber, der zum Studiren bestimmt ist, und der mir unendlich lieb ist, ist es warscheinlich seinen Eltern eben so sehr; und die Trennung von ihm müste ihnen warscheinlich eben so viel, und mehr kosten als mir, da sie durch dieselbe nicht der ersten Glükseeligkeit ihres Lebens entgegen gehen, wie ich es thue. Dieser Knabe verbindet mit einem Kopfe, der mich fähig macht, mit ihm, den ich vor drei Monaten bekam, ohne daß er einen griechischen Buchstaben kannte, jezt den Homer zu lesen; eine liebenswürdige Bescheidenheit, und Unschuld. Es thut mir sehr weh’, wenn ich mir den Gedanken denke, daß er doch verdorben werden könne; ein Schiksal, von welchem unter einer Menge Leipziger Kinder nicht leicht einer frei ist. Ueberdies ist der Vater gar nicht nach der neuen Mode, sondern piquirt sich, ohnerachtet er einer von der französischen Colonie ist, ein ächter Deutscher zu sein; und dadurch wird er mir lieb; und er würde mir’s noch mehr sein, wenn sein Kaufmannsgeist sich nicht auf die Wißenschaften erstrekte, und wenn er nicht darauf auszugehen schiene, recht viel Ellen Gelehrsamkeit für seine Kinder um einen recht wohlfeilen Preis einzukaufen. Alle obige Betrachtungen abgerechnet, würde ihm zwar nicht das Vermögen, aber der Wille fehlen, so viel auf seinen Sohn zu wenden. [/]
Deine Güte, mit der Du mir in Rüksicht der Bedürfniße für die Reise zuvorkommst, würde mich beschämen; es würde mich noch mehr beschämen, daß mich meine Lage doch noch nöthigen wird darvon Gebrauch zu machen: wenn ich nicht Deine Denkungsart so gut kennte, und nicht glauben dürfte, daß auch die meinige Dir genug bekannt sei, als daß wir über dergleichen Dinge nöthig hätten Zurükhaltung gegen einander zu brauchen. Ich rechne, daß ich zur Reise 10. Louis d’or brauchen werde. – Und da ich bei diesem Puncte bin, noch eine Bitte, die ich Dir so ganz nakt vortrage; in Rüksicht welcher ich Dich aber herzlich bitte, wenn die Erfüllung derselben Dir die geringste Schwierigkeit macht, zu thun, als ob Du folgenden Punct gar nicht gelesen hättest. – Ich werde noch vor Weyhnachten in eine sehr dringende Verlegenheit kommen, um ohngefähr 4. Louis d’or. Denn ohnerachtet meiner ziemlich überhäuften Arbeiten ist doch mein Verdienst, wegen der Knikerei des Kaufmanns, mit dem ich zu thun habe, klein: es giebt außer den täglichen Ausgaben größere vierteljährige, und diese kann ich mit dem, was ich mir durch Stundengeben verdiene, nicht bestreiten, sondern erwarte mein völliges Arrangement erst von dem Honorarium für eine Schrift, welches erst Ende künftigen Monats, vielleicht noch später, ausgezahlt wird. Könntest Du mir diese durch einen Wechsel überschiken, daß ich sie den 22 - 23 - 24. dieses hätte, welches möglich ist, wenn Dein Brief den 15ten abgeht, so rettetest Du mich aus einer Verlegenheit, welche meine Ehre intereßirt, und aus welcher kommen zu können, ich jezt kein anderes Mittel vor mir sehe. – (wie ich Dich denn überhaupt bitten muß, Theuerste, wenn ich vor Ende des Jahrs noch einen Brief von Dir erhalten soll, ihn den 15ten auf die Post zu geben; da ich mein Logis, wegen der Pöbelhaftigkeit (in jedem Sinne des Worts) der Leute, unter die ich gerathen bin, verändern muß; es zu Weyhnachten ändere; und Du mir dann nicht eher schreiben könntest, bis ich Dir meine Addreße geschikt hätte, indem ich nach meinem Ausziehen auch nicht einmal einen Brief an mich unter diese Leute will kommen laßen) Zur Reise würde ich dann um so viel weniger brauchen, weil ich dann das, was zu diesen Zahlungen bestimmt war, zum Reisegelde schlagen [/] könnte. – Aber, noch einmal wiederhole ich die Bitte! – wenn die Erfüllung dieser Bitte Dir die geringste Schwierigkeit macht, so nimm schlechterdings keine Rüksicht darauf. Ob ich gleich jezt kein anderes Mittel vor mir sehe, mich zu retten, als durch Dich; so ist diese Verlegenheit doch nicht die erste, in die ich komme; aber es würde die erste sein, in der ich bliebe. – Ich habe seit meinem Aufenthalte in Leipzig wieder wunderbare Spuren der Vorsehung empfunden.
Und so, Theuerste Erwählte, gebe ich mich denn Dir feierlich hin, und weihe mich hiermit ein, Dein zu sein. Dank Dir, daß Du mich nicht für unwerth hieltest, Dein Gefährte die Reise des Lebens hindurch zu werden. Ich habe viel übernommen, Dir einst Ersaz – Gott gebe spät – für den edelsten Vater, Dir Belohnung Deiner frühen Weißheit, Deiner kindlichen Liebe, Deiner behaupteten Unschuld, aller Deiner Tugenden zu werden: ich fühle bei’m Gedanken der großen Pflichten, die ich hiermit übernehme, wie klein ich bin. Aber das Gefühl der Größe dieser Pflichten soll mich erheben: Deine Liebe, Deine nur zu vortheilhafte Meinung von mir wird meiner Unvollkommenheit vielleicht das leihen, was mir fehlt. Hienieden ist nicht das Land der Glükseeligkeit; ich weiß es jezt: es ist nur das Land der Mühe, und jede Freude, die uns wird, ist nur Stärkung auf eine folgende heißere Arbeit: Hand in Hand wollen wir dieses Land durchwandern, uns zurufen, uns stärken, uns unsere Kraft mittheilen, bis unsre Geister – o möchten sie es vereint! – emporschweben zu den ewigen Hütten des Friedens. – Ich stehe jezt im Geiste an der wichtigsten Begebenheit meines irrdischen Lebens, an der, die es in zwei sehr verschiedne Theile theilet, und bewundere die unsichtbare Hand, die mich durch den ersten gefährlichern Theil, durch das Land der Verirrungen leitete. Wie schon längst hatte ich Verzicht gethan auf eine Gefährtinn, wie Du bist, in welcher männliche Erhabenheit des Geistes mit weiblicher Zärtlichkeit sich vereinigte! hätte mich abfinden laßen durch eine Zierpuppe Deines Geschlechts. Jenes Wesen war gütiger gegen mich, als ich’s, im Gefühl meiner tiefen [/] Unwürdigkeit, zu wünschen, oder zu bitten wagte: es führte mir Dich zu. Jenes Wesen muß noch mehr für mich thun wollen. Wir werden, o Theuerste, wir werden einst wieder so an der Scheidewand stehen, die unser ganzes Leben in ein irrdisches, und ein geistiges theilet: dann werden wir auch den leztern Theil des erstern, den wir gemeinschaftlich durchzuwandern denken, übersehen, wie wir jezt den erstern Theil deßelben übersehen können: und gewiß wir werden dann eben die Weißheit bewundern, die wir jezt bewundern; nur mit erhabnern Empfindungen, und mit hellern Einsichten. Ich liebe es, mich in diese Situation zu sezen.
Ueberhaupt denke ich jezt über geistige Dinge um vieles anders, als sonst. Ich habe die Schwachheit meines Verstandes in Dingen der Art nur seit kurzem so gut kennen gelernt, daß ich ihm hierüber nicht gern mehr trauen mag; er mag sie bejahen, oder verneinen. Unser Verstand ist so eben hinlänglich für die Geschäfte, die wir auf der Erde zu betreiben haben: mit der Geisterwelt kommen wir nur durch unser Gewißen in Verbindung. Zu einer Wohnung der Gottheit ist er zu enge: für diese ist nur unser Herz ein würdiges Haus. Das sicherste Mittel, sich von einem Leben nach dem Tode zu überzeugen, ist das, sein gegenwärtiges so zu führen, daß man es wünschen darf. Wer es fühlt, daß, wenn ein Gott ist, er gnädig auf ihn herabschauen müße; den rühren keine Gründe gegen sein Dasein, und er bedarf keiner dafür. Wer so viel für die Tugend auf geopfert hat, daß er Entschädigungen in einem künftigen Leben zu erwarten hat, der beweist sich nicht, und glaubt nicht die Existenz eines solchen Lebens; er fühlt sie. Vereint, holde Gesellinn für diese Spanne Leben, und für Ewigkeiten, wollen wir uns in dieser Ueberzeugung nicht durch Gründe, sondern durch Handlungen bestärken.
Und dies bringt mich auf das Schiksal des armen Eschers. Ich kenne etwas von seinem Charakter; ich glaube, daß Du in Deinem Urtheile über ihn nicht irrst, und ich würde für ihn zittern, wenn [/] ich nicht an Gott glaubte. Es scheint, in dieser Welt war seine Bildung zu etwas Beßerm unmöglich, u. sein und unser Vater versezt ihn in eine Sphäre, wo sie nicht unmöglich ist. Warum er es auf eine so schmerzliche Art thut, weiß ich nicht; aber Er muß es wißen; denn ohne Grund hat er sie nicht gewählt. Seiner Mutter zu schreiben, habe ich jezt, im eigentlichsten Sinne des Worts, keine Zeit: ich werde es aber mit dem nächsten Briefe an Dich thun, wenn Du glaubst, daß es ihr Freude macht. Muß ich doch die viel süßere Pflicht verabsäumen, Deinem Vater zu schreiben, und das aus eben dem Grunde, weil ich jezt, vor Abgang der Post keine Zeit mehr habe. Auch dies werde ich das nächstemal thun. Vor jezt grüße ihn herzlich von mir, und versichere ihn meiner lebenslänglichen Verehrung, und Dankbarkeit.
Deinem Porträte seh’ ich mit Sehnsucht entgegen. Es wird mir das heiligste Unterpfand Deines Besizes sein; bis ich Dich selbst haben werde [.]
Uebrigens, zärtliche Freundinn, bitte ich Dich um unsrer Liebe, um alles, was Dir theuer ist, willen, mache Dir keine Besorgniße um meine Gesundheit, um zu überhäuftes Studiren, um Verdruß, u. dergl. Ich bin sehr gesund, gehe fleißig spazieren, studire, leider! nur sehr mäßig, u. ein großer Theil meiner Geschäfte ist so ziemlich mechanisch. Die Nächte nehme ich seit einiger Zeit nicht mehr zum Studiren, sondern arbeite lieber früh bei Lichte. Verdrießen laße ich mich nichts, weil ich mit Leuten zu thun habe, die nach meinen Begriffen der Zurechnung nicht fähig sind.
Lebe wohl, Theure Geliebte, und glaube, daß ich ewig bin
der Deine.
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  • Date: Montag, 6. Dezember 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 197‒202.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 37
Language
  • German

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