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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Leipzig, d. 27. Xbr. 1790.
Theuerste Geliebte,
Mein ganzes Herz dankt Dir, daß Du meine Bitte so bald erfülltest, mich so bald mit einem lieben zärtlichen Briefe erfreutest. – Den Wechsel habe ich, im Vorbeigehen, nicht dazu benuzen können, wozu ich ihn brauchte. Herr Hottinger hatte, ohnerachtet er vom 18ten Xbr. an seinen Leipziger Correspondenten geschrieben, kein aviso davon gegeben; und ich bekomme ihn also nicht ausgezahlt. Ich bitte Dich ihn daran zu errinnern, damit er es sogleich thut, wenn er es binnen der Zeit nicht sollte gethan haben.
Meine Seele ist diese Feiertage über (noch heute habe ich einen) mehr bei Dir gewesen als je. Ich habe sie ganz eigentlich der Ruhe, u. Erholung gewidmet, deren ich freilich zuweilen bedarf. Und wo könnte ich sanfter ruhen, und mich beßer erholen, als bei Dir? Ich habe mir Dich am ersten Feiertage in Deiner liebenswürdigen, dem ewigen Wesen gewis wohlgefälligen Andacht vergegenwärtiget, und mein Gebet mit dem Deinigen an die ewige Güte vereinigt, uns zu seegnen, – nicht mit den Gütern, die auf der Erde bleiben, sondern mit denen, die wir in das Reich der Geister mit hinübernehmen werden; auf uns gütig herabzusehen, und uns als vereinigte zu betrachten. Und gewis, der Allgegenwärtige hat uns gesehen, und wird uns erhören. – In die Kirche (Dir darf ich’s sagen) gehe ich hier wenig, oder nicht. Pflicht gegen andere legt es mir in einer Lage, in der kein Mensch meine Existenz bemerkt, nicht auf: und die Pflicht gegen mich selbst räth es mir eher ab. Es giebt keinen Prediger hier – außer einem, dem Reformirten, deßen Besuchung aber mit einiger gêne verknüpft ist – den ich gern hö[/]ren könnte; aber manche, deren Predigten mich mehr betrüben, u. kränken, als erbauen. Das Predigt Wesen ist hier, was kein Mensch glauben sollte, der nicht Zeuge davon ist, schlecht bestellt. Aber den Sonntag der Selbstprüfung, und Andacht zu widmen, ist mir heilige Pflicht, die ich nie unterlaße.
Die Maasregeln in Absicht meiner Erscheinung in Zürich überlaße ich Dir gänzlich: denn ich kenne Deine Klugheit, und Deine Herzensgüte.
Ich habe mich sehr gefreut, Theuerste Engels Seele, Dein Bildniß zu besizen: aber bis jezt habe ich es noch nicht erhalten. Die Fuhrleute fahren langsamer, als Du glaubst. Jedoch hoffe ich es gewis noch in dieser Woche zu erhalten: denn es ist warscheinlich, daß der Fuhrmann Meßwaaren geladen hat; und die Meße geht morgen an.
Es thut mir leid, daß ich nicht zugleich mit dem Fuhrmanne, meine Schrift über die Kantische Critik der Urtheilskraft mit schiken kann. Der Druk derselben ist durch mancherlei Ursachen, und besonders durch einen Freund, dem ich das Manuscript auf das Land schikte, u. der es 6. Wochen zurük behielt, aufgehalten worden. Es wird also erst zur Oster=Meße im Publico erscheinen. Der Druk aber soll noch vor meiner Abreise vollendet werden, u. sobald es fertig ist, schike ich durch den Commißär der Geßnerischen Buchhandlung allhier nach Zürich. – Ich bin übrigens höchst unzufrieden mit diesem Schriftchen; und hätte ich nicht eine Menge Gründe, so würde ich es nicht publiciren. Das deutsche Publicum ist nicht so nachsichtig, als das Zürcher. Ich befürchte auch für meine Absicht noch, viel zu dunkel geblieben zu sein. [/]
Freilich werde ich die Frist, die ich durch Aufschiebung des Druks erhalte, noch zum Besten deßelben zu benuzen suchen. Aber, wenn ich nicht fast genöthigt wäre, ich gäbe es nicht heraus. Aber theils möchte ich nicht gern anders, als als angehender Schriftsteller in Zürich erscheinen; theils möchte ich auch noch vor meiner Abreise mit hiesigen Buchhändlern in Verbindung kommen. Den Anfänger zwar bezahlen sie vielleicht schlechter: den bekannten Schriftsteller aber beßer. So ist es z. B. nichts bezahlt, wenn Heßen ein Louis’d’or bezahlt wird. Salzmann, der vielleicht wenig mehr gelesen wird, als Heß, bekommt ihrer viere. – Inzwischen ist weder das erste, noch das zweite weder jezt, noch je von mir zu verlangen. Nichts wird schlechter bezahlt, als Sachen, die für Gelehrte geschrieben, und eigentlich wißenschaftlich sind. – In Zürich verspreche ich meiner Schrift gerade die schlechteste Aufnahme. Keiner unter den dasigen Gelehrten, war, wenigstens zu meiner Zeit, mit der Kantischen Philosophie auch nur durchs Hörensagen bekannt; und sie scheint mir auch allerdings nichts für ihre, übrigens, nur in andrer Art, treflichen Köpfe zu sein.
Der Tod des armen Eschers betrübt mich, weil ich in ihm einen Mann verliere, auf deßen Umgang ich mich herzlich freute; und freut mich, weil ich ihn nun von aller Noth erlös’t weis. Sein Geist wird jezt in beßern Regionen zu Einsichten kommen, die ihm hier fehlten; und sein Herz wird sich der Empfindung des edlen, und der Liebe öfnen; – dort, wo alles liebt. – Seiner Mutter kann ich jezt nicht füglich schreiben, weil ich erst Deinen Rath hören möchte, ob ich ihr etwas von meiner Ankunft nach Zürich schreiben soll oder nicht; eben so in Absicht des Herrn Ott. – Nichts zu schreiben ist unfreundschaftlich: etwas zu schreiben, vielleicht übereilt. Auch das hänge von Deinem Rathe ab. [/]
Deinem theuren Vater schreibe ich.
Ich darf Dich nicht beschwören, theure Seele, mir Deine Liebe zu erhalten; mir Dein Andenken, Dein Gebet, Dein Herz zu schenken: ich fühle die süße Ueberzeugung, daß ich alles das besize. Aber darum darf ich Dich bitten, ruhig zu sein, Dich nicht zu kränken; sicher auf die Vorsehung zu rechnen.
Achelis habe ich vor 4. Wochen nach Bremen geschrieben: aber noch keine Antwort. Es ist möglich, daß er meinen Brief noch nicht gehabt hat, als er nach Z. schrieb. Ich freue mich über seine fortdaurende Freundschaft.
Ja wohl war dies Jahr, [das] Du, indem Du diesen Brief liesest, vollendet haben <wirst>, wichtig für uns. Die Güte, die in demselben uns leitete, mache dasjenige, das wir im Begriffe sind anzutreten, uns seegensvoll: denn unser beider Schiksale sind vereinigt, und wir können nichts abgesondert von ihr bitten, ohne es für uns beide zu bitten.
Lebe wohl. Gott seegne Dich.
Verzeihe, wenn ich Deiner Bekanntschaft mit meiner Hand vielleicht zu viel zumuthe. Mein deutscher Buchstabe wird täglich schlechter, u. bald werde ich ihn selbst nicht mehr lesen können; und dennoch kann ich’s nicht ändern.
Meine Addreße ist, in Brauns Hause, neben dem Collegio Petrino. Leb wohl, gute Theure, u. bleibe die meinige, so wie ich ewig der
Deine.
F.
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Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 27. Dezember 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 203‒206.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 38
Language
  • German

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