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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Leipzig, d. 1. März. 1791.
Theuerste Geliebte,
Dein Brief hat mir sehr weh’ gethan; und hättest Du ihn ohne den Schluß, worinn Du mir den Empfang meines Briefs meldest, fortgeschikt, so würde er mich noch weit empfindlicher betrübt haben. O theure, zärtliche Seele; warum muß ich doch noch von Zeit zu Zeit Dir Betrübniß verursachen? ich der ich nichts thun sollte, und nichts sehnlicher wünsche zu thun, als das Glük Deines Lebens zu machen – Und auch dieser Brief wird wieder später zu Dir kommen, als Du ihn erwarten wirst: denn ich schike ihn mit der fahrenden Post (und ich weiß nicht, um [wie] viel diese langsamer geht) um die Ueberschikung der Augensalbe, die Herr Schiek noch nicht überschikt hat, nicht länger aufzuschieben. Wolle Gott, daß diese Augensalbe Deinem Vater wohl thue! Ich habe mich näher erkundigt: es ist die einzige in Leipzig, und vermuthlich ein Abkömmling von der, die Du mir anzeigtest. Ihre große Wohlfeilheit machte sie mir verdächtig. Ich habe Aerzte drüber consul[t]irt; ich habe sie auch in der Apotheke chemisch untersuchen laßen. – „Für jedes Auge sei sie nicht, sagt man; in manchen Fällen, besonders bei <triefenden> Augen, könne sie Dienste thun“. Man nimmt ja nicht mehr, als eine Nadelknupfe gros. – Du zärtliche sorgfältige Tochter wirst Dich derselben nicht, ohne alle gehörige Vorsicht bedienen. Erhalte doch Gott unserm guten Vater noch recht lange seine Augen um das Glük seiner Kinder zu sehen!
Mit Ende dieses Monats bin ich frei, und entschloßen zu Dir abzureisen. Ich sehe nichts, [das] mich abhalten könnte. Von meinen Eltern erwarte ich zwar die Einwilligung noch: aber ich bin seit langer Zeit von ihrer Liebe, fast darf ich sagen, von ihrer deference in meinen Willen so überzeugt, daß ich von ihrer Seite keine Hinderniße erwarte. Gebe Gott, daß nicht ein andrer Umstand meine Abreise verzögere. Es ahndet mir leider! so etwas; ob ich es gleich bis jezt nicht [/] glaube – Es hatte sich nemlich ein Niederträchtiger unterstanden, das Publicum mit einem erdichteten Unglüksfalle zu täuschen, u. von wohlthätigen Herzen eine Collecte zu sammlen. Auch mir kam der Aufsaz zu: ich intereßirte mich nicht ohne Wärme, u. Glük für ihn. Da aber einige Umstände dabei mir verdächtig schienen, so nahm ich mir die Freiheit die Sache zu untersuchen; und entdekte bald die frechste, u. unverschämteste Betrügerei. Ich machte sie, da der Betrüger sich überdies dem geistlichen Stande widmet, u. von ihm in dieser Lage alles zu befürchten ist, mit den überzeugtesten Beweisen belegt durch die Zeitungen, bekannt. Jezt macht mein Gegner bekannt, er habe die Sache gehörigen Orts angebracht; und ob mir gleich bis jezt davon noch nichts ist kund gethan worden, so könnte er doch die Frechheit gehabt haben, mich zu verklagen. Ohnerachtet ich nun in der Sache selbst nichts wage, da meine Beweise in die Augen springend sind, so könnte man sich doch einfallen laßen, die Sache in die Länge zu ziehen; und mich dadurch, da ich ohne meine Ehre zu wagen vor ausgemachter Sache Leipzig nicht verlaßen kann, länger hier aufhalten. Wolle Gott nicht, daß ich für eine That, bei der ich mir der unsträflichsten Bewegungsgründe bewust bin, so hart gestraft werde; und daß meine Besorgniße so ungegründet sind, wie sie es jedermann scheinen!
Mein armes Werkchen hat bis jezt in der Wäsche gelegen, u. nun ist es in den Klauen der raubgierigen Buchhändler. Ich bin, so sehr ich es hofte, über diesen Punct noch nicht in Richtigkeit. Der eine, an den ich empfohlen war, und mit dem ich sicher hofte Handels Eins zu werden, hat mir eine so geringe Entschädigung meiner Mühe geboten, daß es Schande gewesen wäre, sie anzunehmen – Ich werde ja weiter sehen.
Es hat meinem Herzen innig wohl gethan, zu hören, daß es der guten Titot beßer geht, und daß sie endlich Hofnung hat, unter den Augen der Freundschaft den Rest ihrer mühseeligen Tage zu verleben. Ich hoffe allerdings über Tübingen zu reisen, und sie, wie auch ihre ehrwürdige Beschüzerinn, u. Deine Freundinn, D. Märklin, zu sehen. – In Z. habe ich niemanden geschrieben, und werde niemand schreiben, bis Du mir es befielst. [/]
Und nun, theuerste HerzensGeliebte, zu Dir! nachdem ich kurz über Dinge hinweg geschlüpft bin, die nicht Du sind, und mich also nicht intereßiren können. – Ist es wahr, oder ist es ein süßer Traum, daß ich dem Einzigen, dem süßesten Glüke meines Lebens so nahe bin, die herrlichste Seele, die unter allen Seelen für mich auserwählte, u. vom Schöpfer mir bestimmte Seele zu besizen; sie mein zu nennen; daß mein Glük, meine Ruhe, der Gegenstand ihrer Wünsche, ihrer Sorgen, ihres Gebets sein wird? Könnte ich Dir doch meine Empfindungen so heiß hingießen, wie sie in diesem Augenblike meine Brust durchströmen, und sie zu zerreißen drohen!
Nimm mich hin, theures Mädgen, mit allen meinen Fehlern. Es wird mir wohl, zu gedenken, daß ich mich einer Person gebe, der ich mich mit diesen Fehlern geben kann; die Weißheit, u. Muth genug hat, mich mit diesen Fehlern zu lieben; sie mir austilgen zu helfen, daß ich einst an ihrer Hand gereinigter vor dem erscheine, der uns beide für einander schuf. Nie hat mich dies Gefühl meiner Fehler lebhafter durchdrungen, als seit Erhaltung Deines lezten Briefs, der mich alle der Armseligkeiten errinnert, die ich Dir in meinem vorigen mag gesagt haben; der mich der schwankenden Gemüthsverfaßung errinnert, in der ich ihn mag geschrieben haben. – O, was bin ich doch bis jezt für ein Mensch gewesen! Man hat mir einigemal Festigkeit des Characters nachgesagt; und ich bin wohl gar eitel genug gewesen, dies für wahr anzunehmen. Welchem Umstande habe ich wohl diese Meinung zu verdanken? ich, der ich bis jezt mich immer von den Umständen habe leiten, meine Seele die Farbe der Gegenstände habe annehmen laßen, die mich umgaben. Mit gewaltigen Ansprüchen an die Welt, die ich nicht würde haben behaupten können, verließ ich Zürich. Meine Hofnungen scheiterten. Aus Verzweiflung mehr, als aus Geschmak, warf ich mich in die Philosophie, fand eine Ruhe, die ich wohl am meisten meiner guten Gesundheit, und dem Schwunge meiner Phantasie zu ver[/]danken hatte; täuschte mich wohl so sehr, daß ich die erhabnen Gesinnungen, die ich meinem Gedächtniße einprägte, aus mir selbst, als in mir einheimisch zu schöpfen glaubte. Die Umstände führten mich zu einer andern, das Herz weniger füllenden Beschäftigung; die Leere ward merklicher. Der Winter, der mir nie gut thut, ein armer Cathar, die Zerstreuungen einer kleinen Reise konnten den so tief gewurzelten Frieden des großen Philosophen stören, und mich in eine so fürchterliche Mißlaunigkeit bringen. – Soll ich immer so wie eine Welle hin, und her getrieben werden? Nimm Du mich hin, männlichere Seele, und fixire diese Unbeständigkeit!
Doch, indem ich meine Unbeständigkeit anklage, wie glüklich bin ich, daß ich diese Klagen in ein Herz ausschütte, [das] sich, und mich zu wohl kennt, um mich miszuverstehen. Eine meiner Empfindungen kann ich von Unbeständigkeit ausnehmen. Ich darf es sagen: daß ich Dir nie, auch nicht in Gedanken ungetreu gewesen bin; u. es ist mir ein rührender Beweiß Deiner edlen DenkungsArt gewesen, daß Du, bei allen Deinen zärtlichen Besorgnißen um mich nie etwas dem ähnliches besorgt hast.
Den Tag meiner Abreise ganz bestimmt angeben, kann ich bis jezt noch nicht, und werde es schwerlich eher können, bis ich abreise. Ich denke, daß es einer der ersten Tage des Aprills sein wird. Ich werde ihn Dir vor meiner Abreise schreiben; so wie ich Dir auch von der Reise aus fleißig schreiben werde. Der Rath meinen Koffer an Deinen Vater zu addreßirn ist gut, und ich werde ihn warscheinlich befolgen.
Grüße ihn, diesen theuren Vater, und versichere ihn meiner ganzen kindlichen Zärtlichkeit. Auf Ihn, auf Dich will ich alle die Empfindungen übertragen, die ich denen schuldig war, die ich hier verlaße.
In einer sehr sanften Rührung schließt diesen Brief ewig der Deine
F.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 1. März 1791
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 217‒220.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 40
Language
  • German

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