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Johann Gottlieb Fichte to Karl Gottlob Sonntag

Königsberg, d. /. Juli 1791.
Theuerster Freund,
Denn ich wage es, im Vertraun auf die nähere Bekanntschaft unserer frühen Jugend, und auf Ihre auch nachher von mir bezeugte vortheilhafte Meinung Sie so zu nennen; obgleich Ihre günstigere Lage, und der weise Gebrauch derselben Sie seitdem weit über mich erhoben hat, welches ich mit Hochachtung, und Glückwünschen für Sie anerkenne. –
Zuerst meine Entschuldigung über einen Zug in meinem [/] Leben, der Sie betrifft, und der, unter allen Vorfällen meines Lebens mich am meisten beschämt. Sie dienten mir in Leipzig vor Ihrer Abreise nach Radeberg auf die freundschaftlichste, und offenste Art mit einem Darlehn. Ich hatte damals die gegründetste Hoffnung, mir durch die Reise, wozu ich es begehrte, aus aller meiner Verwirrung zu helfen. Ich fiel tiefer hinein. – Ich habe Sie seitdem nicht gesehn; und dies giebt mir einen so häßlichen Anstrich, daß ich vor mir selbst erröthen würde, wenn dies eine andere Ursache hätte, als den Zufall. In Radeberg konnte ich Sie nicht sehen, denn ich mußte über Hals und Kopf nach Leipzig zurück. Ob Sie wieder nach Leipzig gekommen sind, weiß ich nicht: aber das weiß ich, daß es in meiner Abwesenheit geschehen seyn müßte; denn ich machte kurz darauf von Leipzig eine anderweitige Reise. Ich wand mich damals auf alle Art, und Weise, um mich Verlegenheiten zu entwinden, in die ich mich immer tiefer verwickelte; und unter allen war mir die drückendste: jene Schuld, die im wahreren Sinne, als die gewöhnlich so genannte, Ehren Schuld war. Zu spät entdeckte ich meine Beängstigung hierüber meinen Freunden Weißhuhn, und Kindervater, und zu spät sagten sie mir, daß der Sache hätte abgeholfen werden können, wenn ich es eher gesagt hätte. – In Ihrer gegenwärtigen Lage ist Ihnen wahrscheinlich eine Kleinigkit, was mir in meiner gegenwärtigen ein großes Object ist. Ich bitte Sie also um fernere Geduld; aber besonders darum, mich von allem Verdachte der Ehrlosigkeit loszusprechen, wenn Ihr Herz nicht schon grosmüthig gewesen ist, um mich [nicht], ohnerachtet der mir sehr nachtheiligen Umstände, derselben fähig zu halten. Unter allen meinen Leidenschaften ist die für die wahre Ehre die stärkste, und ich mache mich hierdurch feierlich anheischig, Sie mögen es wollen, oder nicht, diese Schuld zu bezahlen, so bald ich von meinen dringendsten Bedürfnissen einen louisd’or mißen kann. Jetzt zu etwas anderm! Kann Sie die sehr bunte Geschichte eines Abentheurers ohne sein Verschulden freuen: – hier ist sie! Ich wurde bald nach Ihrer Abreise [/] von Herrn Weise in eine Hofmeister Stelle nach Zürich geschickt. Hier machte ich interessante Bekanntschaften an verschiedenen Originalen, die Zürich sowohl, als die übrige Schweiz aufstellt; hatte außer dem Hause die angenehmste, und schmeichelhafteste Existenz; das häusliche Glück aber in einem geringern Grade. Ich ging zurück, durchstrich einen Theil der Schweiz, und das Reich, und lebte darauf ein Jahr ruhig in Leipzig. Dieses Jahr widmete ich vorzüglich dem Studium der kritischen Philosophie, und duris urgens in rebus egestas nöthigte mich auch meine Schulstudien wieder hervorzusuchen, wo ich zum Glück fand, daß mein Bogen noch ganz sey. Jetzige Ostern bekam ich eine Verschreibung nach Warschau. So abgeneigt ich auch seit einiger Zeit dem Stande des Hauslehrers geworden war, so übernahm ich doch den Antrag, in Betracht der ziemlich vortheilhaften Bedingungen, die mir gemacht wurden. – Ich lange an. Madame ist indeßen das Gelüst nach einem deutschen Erzieher vergangen: ich soll ein Franzose seyn, was ich unter allen existirenden Dingen am wenigsten bin. Sie schicanirt mich bei der ersten Vorstellung, und ich schreibe ihr statt allem, daß dies nicht so gehe, und daß wir schwerlich mit einander gute Seide spinnen werden. Es entstand ein Federkrieg. Man hezt mich, zu proceßiren, hohe Entschädigung zu fordern. Sanft, und friedliebend, wie ich bin, begnüge ich mich mit einer Kleinigkeit, und verlasse Warschau, das sich mir nicht sonderlich empfohlen hatte. – Aber wohin? Nach Sachsen zurück ist weit; ich kenne es zur Genüge; und was verliere ich da, das ich nicht allenthalben auch finde? Die nächste Stapelstadt der Gelehrsamkeit ist Königsberg, und da ist der Stolz des menschlichen Geistes, Kant – so denke ich, und reise hierher. Zur Zeit weiß ich noch nicht ganz, ob meine Erwartungen möchten erfüllt werden, ich bin noch nicht eine Woche hier. Kant ist wirklich alt. Doch existiren seine Schriften, ob ich diese in Königsberg studire, oder wo anders, ist immer Eins, und wenn ich seine Schriften habe, ist Er selbst mir [/] allenfalls entbehrlich. Ich könnte also wohl 2 bis 3 Monat, wenn meine kleine Kasse soweit reicht, hier verbleiben.
Was aber dann weiter thun? – Und hier ist es denn eigentlich, wo ich Ihre Freundschaft in Anspruch nehme. In Königsberg, oder von Königsberg aus möchte wenig zu machen seyn, wie ich schon vorläufig sehe: und wenn etwas zu machen wäre – ich bin hier, wie aus den Wolken gefallen. Wem soll man es zumuthen, einen ganz unbekannten Menschen zu empfehlen? Sie aber sind im Mittelpunkte von Provinzen, wo man geschickte Leute braucht, und sie ehrt; Sie besitzen verdiente Achtung, Ehre, und Einfluß. Von mir wissen Sie von der Schule aus wenigstens so viel, daß ich nicht ganz ohne Fähigkeiten gebohren war. Daß, ohnerachtet der unaufhörlichen Zerstreuungen, und Verwirrungen, in denen es seitdem meinem Schicksale gefiel, mich herumzuwerfen, mir dennoch zuweilen einige ruhige Monate, und Vierteljahre blieben, die ich meiner weitern Ausbildung habe widmen können, kann ich Ihnen sagen. Mein eigentliches Wißen (dies gesteh’ ich nicht gern allgemein, aber meinen Freunden gesteh’ ich es gern) ist nicht weitläuftig; dagegen glaube ich aber etwas von der Kunst zu verstehen, mit Wenigem haus zu halten, und mehr damit auszurichten, als manche mit Vielem; auch das, was seyn muß, bald so zu erlernen, als ob ich es lange gewust habe, um es, mündlich oder schriftlich vortragen zu können. Was ich am besten verstehe, ist Räsonnement, und meine geliebteste Beschäftigung ist Predigen. (Es thut mir wohl, dass Sie, bei weitem der beste Kopf unter meinen Jugendfreunden, eben dies zu der Ihrigen gewählt zu haben scheinen). Mein Betragen ist schon längst so, wie das eines denkenden, und gesetzten Mannes seyn soll: Festigkeit des Characters, etwas Welt=Kenntniß, und etwas Gegenwart des Geistes sollten mir wohl die mancherlei Abentheuer meines Lebens verschaft haben. Dies ist eine getreue Schilderung von mir, soweit ich mich selbst kenne. Findet sich nun eine Gelegenheit, oder vielmehr – nam qui semel verecundiae fines transierit, eum bene et naviter oportet [/] esse impudentem – können Sie durch Aufsuchen, durch Ihre Korrespondenz, durch Empfehlung etwas auffinden, wo so ein Mensch, wie ich, sich, und andern nützlich werden könnte, so bitte, so beschwöre ich Sie, es mir zu verschaffen: es sey, was es sey, (beßer ist freilich immer beßer) denn ich sehe schon aus der Ferne die Noth herbeikommen, die mir nicht erlauben wird, lange zu wählen: – und ich verspreche Ihnen dafür Zeitlebens Verehrung, Dankbarkeit, Anhänglichkeit, Freundschaft. Darf ich noch sagen, daß der Gedanke, Sie in Riga zu wißen, nicht wenig beigetragen hat, meine Wahl für Königsberg zu bestimmen? Ich habe kürzlich die meisten unserer gemeinschaftlichen Freunde, die von einiger Bedeutung sind, gesehen: aber dieser Brief ist durch das Reden von Mir selbst schon zu lang geworden, als daß ich hier noch von ihnen reden könnte. Dies also – ein andermal, oder, will’s Gott, mündlich!
Ich weiß, daß Sie Ihre Stelle verändert haben, aber ich weiß nicht Ihren gegenwärtigen Charakter: daher verzeihen Sie meine Addreße. Sie rührt aus einer Unwissenheit her, der ich Sie bitte bald abzuhelfen. – Ich weiß auch, daß Sie verheirathet sind, oder es in Kurzem seyn werden; und bitte Sie meiner wärmsten Wünsche für Ihr Glück versichert zu seyn. Was ich vorläufig bitte, und was ich sehr wünsche zu erbitten, ist dies, mir bald zu schreiben, und mich zu benachrichtigen, ob, und in wiefern ich auf Ihre gütige Empfehlung rechnen könne? Meine Addreße ist; bei der Altstädtischen Kirche, im Gartenmannischen Hause.
Ich bitte Sie zu glauben, daß ich mit der grösten Hochachtung, und der wärmsten Freundschaft bin
Deroselben
ergebenster Freund, und gehorsamster Diener.
J. G. Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 7. Juli 1791
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Karl Gottlob Sonntag ·
  • Place of Dispatch: Königsberg · ·
  • Place of Destination: Riga · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 248‒251.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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