Verehrungswürdiger Mann,
Denn andre Titel mögen für die bleiben, denen man diesen nicht aus der Fülle des Herzens geben kann: – Ich kam nach Königsberg, um den Mann, den ganz Europa verehrt, den aber gewiß in ganz Europa wenig Menschen so lieben, wie ich, näher kennen zu lernen.
Ich stellte mich Ihnen dar. Erst später bedachte ich, daß es Vermessenheit sei, auf die Bekanntschaft eines solchen Mannes Anspruch zu machen, ohne die geringste Befugniß dazu aufzuweisen zu haben. Ich hätte Empfehlungsschreiben haben können. Ich mag nur die[/]jenigen, die ich mir selbst mache. Hier ist das meinige.
Es ist mir schmerzhaft, es Ihnen nicht mit dem frohen Bewustsein übergeben zu können, mit dem ich mir’s dachte. Es kann dem Manne, der in Seinem Fache alles tief unter Sich erbliken muß, was ist, und was war, nichts neues sein, zu lesen, was Ihn nicht befriedigt; und wir andern alle werden uns Ihm, wie der reinen Vernunft selbst in einem Menschenkörper, nur mit bescheidner Erwartung Seines Ausspruchs nahen dürfen. Es würde vielleicht mir, deßen Geist in mancherlei Labyrinthen herumirrte, ehe ich ein Schüler der Critik wurde, der ich dies erst seit sehr kurzer Zeit bin, und dem seine Lage nur einen kleinen Theil dieser kurzen Zeit diesem Geschäfte zu widmen erlaubt hat, von einem solchen Manne, und von meinem Gewißen verziehen werden, wenn meine Arbeit auch noch unter dem Grade der Erträglichkeit wäre, auf welchem der Meister das Beste erblikt. [/]
Aber kann es mir verziehen werden, daß ich sie Ihnen übergebe, da sie nach meinem eignen Bewustsein schlecht ist? Werden die derselben angehängten Entschuldigungen mich wirklich entschuldigen? Der große Geist würde mich zurükgeschrekt haben, aber das edle Herz, das mit jenem vereint allein fähig war, der Menschheit Tugend und Pflicht zurükzugeben, zog mich an. Ueber den Werth meines Aufsatzes habe ich das Urtheil selbst gesprochen: ob ich jemals etwas beßeres liefern werde, darüber sprechen Sie es. Betrachten Sie es als das Empfehlungsschreiben eines Freundes, oder eines bloßen Bekannten, oder eines gänzlich Unbekannten, oder als gar kein’s. Ihr Urtheil wird immer gerecht sein. Ihre Größe, vortreflicher Mann, hat vor aller gedenkbaren menschlichen Größe das Auszeichnende, das Gottähnliche, daß man sich ihr mit Zutrauen nähert. [/]
Sobald ich glauben kann, daß Dieselben diesen Aufsatz gelesen haben, werde ich Ihnen persönlich aufwarten, um zu erfahren, ob ich mich ferner nennen darf
Euer Wohlgebohren
innigsten Verehrer
Johann Gottlieb Fichte
Denn andre Titel mögen für die bleiben, denen man diesen nicht aus der Fülle des Herzens geben kann: – Ich kam nach Königsberg, um den Mann, den ganz Europa verehrt, den aber gewiß in ganz Europa wenig Menschen so lieben, wie ich, näher kennen zu lernen.
Ich stellte mich Ihnen dar. Erst später bedachte ich, daß es Vermessenheit sei, auf die Bekanntschaft eines solchen Mannes Anspruch zu machen, ohne die geringste Befugniß dazu aufzuweisen zu haben. Ich hätte Empfehlungsschreiben haben können. Ich mag nur die[/]jenigen, die ich mir selbst mache. Hier ist das meinige.
Es ist mir schmerzhaft, es Ihnen nicht mit dem frohen Bewustsein übergeben zu können, mit dem ich mir’s dachte. Es kann dem Manne, der in Seinem Fache alles tief unter Sich erbliken muß, was ist, und was war, nichts neues sein, zu lesen, was Ihn nicht befriedigt; und wir andern alle werden uns Ihm, wie der reinen Vernunft selbst in einem Menschenkörper, nur mit bescheidner Erwartung Seines Ausspruchs nahen dürfen. Es würde vielleicht mir, deßen Geist in mancherlei Labyrinthen herumirrte, ehe ich ein Schüler der Critik wurde, der ich dies erst seit sehr kurzer Zeit bin, und dem seine Lage nur einen kleinen Theil dieser kurzen Zeit diesem Geschäfte zu widmen erlaubt hat, von einem solchen Manne, und von meinem Gewißen verziehen werden, wenn meine Arbeit auch noch unter dem Grade der Erträglichkeit wäre, auf welchem der Meister das Beste erblikt. [/]
Aber kann es mir verziehen werden, daß ich sie Ihnen übergebe, da sie nach meinem eignen Bewustsein schlecht ist? Werden die derselben angehängten Entschuldigungen mich wirklich entschuldigen? Der große Geist würde mich zurükgeschrekt haben, aber das edle Herz, das mit jenem vereint allein fähig war, der Menschheit Tugend und Pflicht zurükzugeben, zog mich an. Ueber den Werth meines Aufsatzes habe ich das Urtheil selbst gesprochen: ob ich jemals etwas beßeres liefern werde, darüber sprechen Sie es. Betrachten Sie es als das Empfehlungsschreiben eines Freundes, oder eines bloßen Bekannten, oder eines gänzlich Unbekannten, oder als gar kein’s. Ihr Urtheil wird immer gerecht sein. Ihre Größe, vortreflicher Mann, hat vor aller gedenkbaren menschlichen Größe das Auszeichnende, das Gottähnliche, daß man sich ihr mit Zutrauen nähert. [/]
Sobald ich glauben kann, daß Dieselben diesen Aufsatz gelesen haben, werde ich Ihnen persönlich aufwarten, um zu erfahren, ob ich mich ferner nennen darf
Euer Wohlgebohren
innigsten Verehrer
Johann Gottlieb Fichte