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Johann Gottlieb Fichte to Immanuel Kant

Wohlgebohrner Herr
Höchstzuverehrender Herr Professor,
Euer Wohlgebohrn verzeihen gütigst, daß ich abermals lieber schriftlich als mündlich mit Ihnen reden will.
Dieselben haben mich mit einer gütigen Wärme empfohlen, um die ich nicht gewagt hätte, Sie zu bitten; eine Grosmuth, die meine Dankbarkeit unendlich vermehrt, und mir Muth macht, mich Euer Wohlgebohrn ganz zu entdeken; welches ich in Absicht Ihres Charakters zwar auch vorher wagen, aber ohne eine nähere Erlaubniß von Ihnen mir nicht verstatten durfte, ein Bedürfniß, das derjenige, der sich nicht gern Jedermann entdekt, gegen den ganz guten Character doppelt fühlt.
Zuerst erlauben mir Euer Wohlgebohrn, zu versichern, daß mein Entschluß lieber nach Königsberg, als sogleich zurük nach Sachsen zu gehen, zwar in sofern eigennützig war, daß ich das Bedürfniß Dem Manne, dem ich [/] alle meine Ueberzeugungen und Grundsätze, dem ich meinen Character bis auf das Bestreben einen haben zu wollen verdanke, einen Theil meiner Empfindungen zu entdeken befriedigen, so viel kurzer Zeit möglich, Sie benutzen, und wenn es sein könnte, mich Ihnen für meine etwanige künftige Laufbahn vortheilhaft empfehlen wollte; daß ich aber ein so gegenwärtiges Bedürfniß Ihrer Güte nicht voraussetzen konnte, weil ich mir theils Königsberg so reich, und noch reicher an Hülfsmitteln, als z. B. Leipzig vorstellte, theils im äußersten Falle durch einen Freund, der in einem angesehnem Amte in Riga steht, von hieraus in Liefland unterzukommen glaubte. – Ich glaube diese Versicherung theils mir selbst schuldig zu sein, um auf Empfindungen, die rein aus meinem Herzen floßen, keinen Verdacht eines niedern Eigennnutzes zu laßen; theils Ihnen, wenn ein freier offener Dank des durch Sie unterrichteten und gebeßerten Ihnen lieb ist.
Ich habe das Geschäft des HausLehrers 5. Jahre lang [/] getrieben, und die Unannehmlichkeit deßelben, Unvollkommenheiten sehen zu müßen, die von wichtigen Folgen sind, und an dem Guten, das man stiften könnte, kräftig verhindert zu werden, so empfunden, daß ich es nunmehr vor 1½. Jahre auf immer aufzugeben glaubte; und daß ich ängstlich werde, wenn ein wohlwollender Mann es übernimmt, mich zu diesem Geschäfte zu empfehlen, indem ich befürchten muß, daß es nicht ganz zu seinem Vergnügen ausschlagen möchte. Ich ließ mich durch die wenig gegründete Hofnung es einmal beßer anzutreffen, und vielleicht unmerklich durch Aussicht auf Geld=Vortheil, und Größe ohne gehörige Ueberlegung hinreißen, dies Geschäft noch einmal in Warschau zu übernehmen; ein Entschluß, deßen Vereitlung ich nach Entwikelung der Verlegenheiten, in denen ich jetzo bin, seegnen werde. Ich fühle dagegen das Bedürfniß, alles das, was zu frühes Lob gütiger aber zu wenig weiser Lehrer, eine fast vor dem Uebertritte in’s eigentliche JünglingsAlter durchlaufene academische Laufbahn, und seitdem die beständige Abhängigkeit von den Umständen mich versäumen ließen, nachzuholen, ehe die Jahre der Jugend vollends verfliegen, mit Aufgebung aller ehrgeitzigen Ansprüche, die mich eben zurük[/]gesezt haben, mich zu allem zu bilden, wozu ich tüchtig werden kann, und das übrige den Umständen zu überlaßen, täglich stärker. Diesen Zwek kann ich nirgends sichrer erreichen, als in meinem Vaterlande. Ich habe Eltern, die mir zwar nichts geben können, bei denen ich aber doch mit geringem Aufwand leben kann. Ich kann da mich mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigen (das wahre Mittel der Ausbildung für mich, der ich alles in mich hineinschreiben muß, und der ich zu viel Ehrliebe habe, um etwas zum Druk zu geben, worüber ich nicht selbst völlig gewiß bin) und eben beim Aufenthalte in meiner vaterländischen Provinz (der Ober-Lausitz) am ehsten und leichtesten durch eine DorfPfarre die völlige litterarische Muße erhalten, die ich bis zu meiner völligen Reife wünsche. Das beste für mich scheint also, in mein Vaterland zurükzugehen. Hierzu aber sind mir die Mittel abgeschnitten. Ich habe noch 2. Ducaten, und diese sind nicht mein, denn ich habe sie für Miethe, u. dergl. zu bezahlen. Es scheint also kein Mittel übrig zu sein, mich zu retten, wenn sich nicht Jemand findet, der mir Unbekannten, bis auf die Zeit, da ich sicher rechnen kann wieder [/] zu bezahlen, d. i. bis Ostern künftigen Jahrs, gegen Verpfändung meiner Ehre, und im festen Vertrauen auf dieselbe, die Kosten der Rükreise vorstreke. Ich kenne niemanden, dem man dieses Pfand, ohne Furcht in’s Gesicht gelacht zu bekommen, anbieten dürfte, als Sie, tugendhafter Mann.
Ich habe die Maxime, niemanden etwas anzumuthen, ohne untersucht zu haben, ob ich selbst vernünftiger Weise bei umgekehrtem Verhältniße eben das für jemand thun könnte; und habe in gegenwärtigem Falle gefunden, daß ich, die physische Möglichkeit vorausgesezt, es für Jeden thun würde, dem ich die Grundsätze sicher zutrauen könnte, von denen ich wirklich durchdrungen bin.
Ich glaube so sicher an eine eigentliche Hingebung der Ehre zum Pfande, daß ich durch die Nothwendigkeit etwas auf sie versichern zu müßen, einen Theil derselben zu verlieren glaube; und die tiefe Beschämung, die mich dabei betrift, ist Ursache, daß ich einen Antrag von gegenwärtiger Art nie mündlich machen kann, da ich niemand zum Zeugen derselben wünsche. Meine Ehre scheint mir solange, bis das bei derselben geschehene Versprechen erfüllt ist, wirklich problematisch, [/] weil es dem andern Theile immer möglich ist, zu denken, ich werde es nicht erfüllen. Ich weiß also, daß, wenn Euer Wohlgebohrn meinen Wunsch erfüllen sollten, ich zwar immer mit inniger Verehrung und Dankbarkeit, aber doch mit einer Art von Beschämung an Sie zurükdenken werde, und daß das völlig freudige Andenken einer Bekanntschaft, die ich bestimmte, mir lebenslang wohl zu machen, mir nur dann möglich sein wird, wenn ich mein Wort werde gelös’t haben. Diese Gefühle kommen aus dem Temperamente, ich weiß es, und nicht aus Grundsätzen, und sie sind vielleicht fehlerhaft; aber ich mag sie nicht ausrotten, bis die völlige Festigkeit der leztern mir diese Ergänzung derselben ganz entbehrlich macht. In so weit aber kann ich mich auch auf meine Grundsätze verlaßen, daß, wenn ich fähig sein sollte mir ein Ihnen gegebnes Wort nicht zu halten, ich mich zeitlebens verachten, und scheuen müste einen Blik in mein Inneres zu thun, Grundsätze, die mich stets an Sie, und an meine Ehrlosigkeit errinnerten, aufgeben müste, um mich der peinlichsten Vorwürfe zu entledigen. [/]
Dürfte ich eine solche Denkungsart bei Jemanden vermuthen, so würde ich das, wovon die Rede ist, sicher für ihn thun; wie aber, und durch welche Mittel ich mich, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, von der Anwesenheit einer solchen Denkungsart bei mir überzeugen könnte, ist mir nicht eben so klar.
Ich, Verehrungswürdiger Mann, schloß, wenn es mir erlaubt ist sehr großes mit sehr kleinem zu vergleichen, aus Ihren Schriften mit völliger Zuversicht auf einen mustermäßigen Character, und ich würde, auch noch ehe ich das geringste von Ihrer Handlungsart im bürgerlichen Leben wüste, alles verwettet haben, daß es so sei. Von mir habe ich Ihnen, jedoch zu einer Zeit da es mir noch gar nicht einfiel je so einen Gebrauch von Ihrer Bekanntschaft zu machen, nur eine Kleinigkeit vorgelegt, und mein Character ist wohl noch nicht fest genug, um sich in Allem abzudrüken; aber dafür sind Euer Wohlgebohrn auch ein ohne Vergleich größrer MenschenKenner, und erbliken vielleicht auch in dieser Kleinigkeit Wahrheitsliebe, und Ehrlichkeit, wenn sie in meinem Character sind.
Endlich – und dies setze ich beschämt hinzu – ist, wenn ich fähig sein sollte mein Wort nicht zu halten, auch meine Ehre vor der Welt in [/] Ihren Händen. Ich denke unter meinem Namen Schriftsteller zu werden; ich werde Sie, wenn ich zurückreisen sollte, um Empfehlungsschreiben an einige Gelehrte bitten. Diesen, deren gute Meinung ich dann Ihnen dankte, meine Ehrlosigkeit zu melden, wäre, meiner Meinung nach Pflicht; so wie es überhaupt, glaub ich, Pflicht wäre, die Welt vor einem so schlechterdings unverbeßerlichen Character zu warnen, als darzu gehören würde, um zu dem Manne, in dessen Atmosphäre der Falschheit weh’ werden sollte, zu kommen, und durch angenommene Mine der Ehrlichkeit seinen Scharfblik täuschen, und der Tugend und der Ehre so gegen ihn zu spotten.
Das waren die Betrachtungen, die ich anstellte, ehe ichs wagte, Euer Wohlgebohrn diesen Brief zu schreiben. Ich bin, zwar mehr aus Temperament und durch meine gemachte Erfahrungen, als aus Grundsätzen, sehr gleichgültig über das, was nicht in meiner Gewalt ist. Ich bin nicht das erstemal in Verlegenheiten, aus denen ich keinen Ausweg sehe; aber es wäre das erstemal, daß ich in ih[n]en bleibe. Neugier, wie es sich entwikeln wird [/] ist meist alles, was ich in solchen Vorfällen fühle. Ich ergreife schlechtweg die Mittel, die mir mein Nachdenken, als die besten zeigt, und erwarte dann ruhig den Erfolg. Hier kann ich es um desto mehr, da ich ihn in die Hände eines weißen, und guten Mannes lege. Aber von einer andern Seite überschike ich diesen Brief mit einem ungewohnten Herzklopfen. Ihr Entschluß mag sein, welcher es will, so verliere ich etwas von meiner Freudigkeit zu Ihnen. Ist er bejahend, so kann ich das verlohrne einst wieder erwerben; ist er verneinend, nie, wie es mir scheint.
Indem ich schließen will, fällt mir die Anecdote von jenem edlen Türken bei, der einem ganz unbekannten Franzosen einen ähnlichen Antrag machte. Der Türk ging gerader und offener; er hatte unter seiner Nation warscheinlich nicht die Erfahrungen gemacht, die ich unter der meinigen gemacht habe: aber er wuste auch nicht mit der Ueberzeugung, daß er mit einem edlen Manne zu thun habe, mit der ich es weiß. Ich schäme mich der Schaam, die mich zurükhält bei dieser Empfindung meinen Brief ins Feuer zu werfen; hinzugehn; und Sie anzureden, wie der edle Türk den Franzosen. [/]
Wegen des Tones, der in diesem Briefe herrscht, darf ich Euer Wohlgebohrn nicht um Verzeihung bitten. Das ist eben eine Auszeichnung des Weisen, daß man mit ihm redet, wie ein Mensch mit einem Menschen.
Ich werde, sobald ich hoffen darf, Dieselben nicht zu stören, Ihnen aufwarten, um Ihren Entschluß zu wißen; und bin mit inniger Verehrung und Bewunderung
Euer Wohlgebohrn
ganz gehorsamster
J. G. Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 2. September 1791
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Immanuel Kant
  • Place of Dispatch: Königsberg · ·
  • Place of Destination: Königsberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 260‒264.
Manuscript
  • Provider: Akademie der Wissenschaften zu Berlin
Language
  • German

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