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Johann Gottlieb Fichte to Johann Friedrich Heinrich Pietzsch

Theurer Freund,
Ohngeachtet bei unsrer Trennung ein Briefwechsel zwischen uns verabredet worden, so könnte es doch wohl sein, daß ich von Ihrer Erlaubniß, Ihnen zu schreiben noch keinen Gebrauch machen würde, weil ich nicht wißen kann, ob Sie seitdem den Entschluß gefaßt haben möchten, zu antworten, wenn ich nicht eines kleinen Liebesdienstes von Ihnen bedürfte. Dies also vorerst aufrichtig, und rund wie es unter Biedermännern sein soll; u. jezt vor allen Dingen Befriedigung Ihrer Neugier!
Nach einer Menge von Abentheuern in Schlesien, u. Pohlen, welches ich 5. Wochen lang, meist nach meiner Art, durchreis’te, gelangte ich nach Warschau; und das Haus, für welches ich bestimmt war, gefiel mir so schlecht, daß ich sogleich bei meiner Ankunft eine Gelegenheit ergrif, die Verbindung abzubrechen. Fast wäre ein großer Proceß entstanden; endlich aber ließ ich mich mit ein paar Dutzend wohl geränderten Ducaten abfinden, und durchreis’te mit diesen einen andern Strich Pohlens; ging von da nach Königsberg, – Sie errathen, um welches Mannes willen. Hier brachte ich vorigen Sommer, in Gesellschaft der treflichsten Gelehrten, besonders Kants zu, deren Freundschaft ich mir erwarb; und wendete meine [/] übrige Zeit an, ein Buch zu schreiben, das unter dem Titel: Critik aller Offenbarung im Hartungschen Verlage in Königsberg gedrukt ist, und seiner Erscheinung in dortigen Gegenden begierig entgegen sieht. Sollte es je von ohngefähr in Ihre Hände fallen, so sein Sie versichert, daß ich alle Mängel, die irgendjemand darinn entdeken wird, eher, und beßer kannte, als Einer, und daß nur der Beifall eines Kant, dem ich es im Manuscripte vorlegte, mich so kühn machen konnte, es unter meines Namens Unterschrift auftreten zu laßen. – Von da aus kam ich durch mancherlei Ursachen ganz wider meinen Wunsch, weil [m]ich eine innige Abneigung gegen das HofmeisterLeben schon längst rührte, in das Haus eines Obristen, Grafen von Krockow, im WestPreußischen. Ich lebe in demselben seit drei Monaten ein Leben, wie ich nicht geglaubt habe, daß es in dieser Lage möglich sei; denn das Haus wird durch einen Engel in Menschengestalt, durch die Gemahlinn des Grafen, regiert, und die ganze Familie ist so liebenswürdig, wie ich unter dem Monde keine anzutreffen gehofft habe. – Bei der Benennung WestPreußen, auf dem Lande – werden Sie stutzen, und vielleicht noch mehr, wenn ich Ihnen [sage], daß es nichts seltenes ist, wenn ein Wolf sich einen Hund von unserm Hofe holt, daß die Wellen der OstSee nicht weit unter meinem Fenster sich brechen, daß alles rund um uns herum stokkatholisch, und polnisch ist – aber doch ist die Gegend eine der Paradisisch’sten, – wir haben außer dem Hause Englische, u. Französische Gärten, Kiosk’s, u. Cascaden, Chinesische Brüken, u. Tempel – in [/] dem Hause ein freundschaftliches Concert, u. ein Theater, fetten Braten, und guten Wein, etc. etc. Dank der wohlthätigen Gottheit, die alles durch ihren Einfluß belebt!
Aus der Begeisterung, mit der ich von diesem Hause spreche, scheint zu folgen, daß ich eben nicht große Lust habe, es so bald zu verlaßen, und Fleisch und Blut räth freilich davon gar sehr ab; aber Sie begreifen zugleich, daß man dadurch in ein gewißes SchlaraffenLeben geräth, das sich mit meinen neuerlich entstandenen großen Entwürfen für die litterarische Welt, wozu ich jezt Connexionen, und Muth genug hätte, nicht sonderlich verträgt. Jedoch werde ich in jedem Falle künftigen Sommer noch hier zubringen.
Jezt noch ein paar Worte – so offen wie ich zu reden pflege – von unserm Verhältniße, und dann zu meinem Auftrage! Ich habe Sie von Jugend auf geschätzt, und in Leipzig knüpften gemeinschaftliche Vergnügungen unsern Umgang fester. In der Zeit meines zweimaligen Aufenthalts in Oppach habe ich aus Ihrer muntern offenen Laune das innigste Vergnügen genoßen. Daß die meinige Ihnen auch nicht ganz unangenehm ist, und daß Sie von meinen Naturgaben eine nur zu vortheilhafte Idee haben, ist mir bekannt. Was aber unser beiden moralischen Character anbelangt, so haben wir beide seit dere langen Trennung unsers nähern Umgangs, seit den nothwendigen Veränderungen, die dieselbe nothwendig in unsrer beiden Denkungsart gemacht haben muß, und besonders seit der so sehr verschiedenen Erziehung, die unsre seitdem so heterogene Lage uns gegeben haben muß, zu wenig Gelegenheit gehabt, uns schätzen zu lernen – und daher erkläre ich mir die Reste einer gewißen Meinung von mir, die ich bei Ihnen zu entdeken geschienen habe. Ich habe mich schon längst bemüht das Gegentheil von dem zu sein, für was Sie mich noch ein wenig zu halten scheinen, und gelte dafür auch schon längst bei allen, die mich seit dieser Bemühung näher kennen. – Uebrigens hängt es ganz von Ihnen ab, ob Sie unsre Verbindung noch freundschaftlicher machen wollen, wozu ich von ganzem Herzen die Hände biete. [/]
Jezt mein Auftrag! Sie erboten sich in Oppach gegen mich, mir in der Entfernung Leinwand, welche wohlfeil, und gut wäre, zu verschaffen. Jezt wünscht meine Gräfinn Sächsische Leinwand. – Daß Sie mir dieselbe nicht geradezu ohne baares Geld anvertrauen werden, habe ich derselben nicht sagen können, weil Sie mir es nicht geglaubt haben würden. Ich habe ihr also gesagt, ich wüste nicht, ob mein Correspondent immer in der Lage wäre, die Auslage zu machen. Wir sind also so übereingekommen, daß Sie mir den Preis meldeten; ich Ihnen das Geld zuschikte, und Sie sodann die Leinwand unter der Addreße der Gräfinn anhero auf der Post sendeten. Meine Bitte ist daher jezt mir zu melden, wie hoch eine Webe, (à 72. Ellen, wo ich nicht irre) von der besten Leinwand, auf’s allerwohlfeilste eingekauft, zu stehen kommt; und ob Sie die Güte haben wollen, den Einkauf, so als ob es für Sie selbst wäre, zu besorgen. Ich schike Ihnen nach Ihrer ersten Antwort darauf das Geld. – Zugleich wünschte die Fr. Gräfinn von den bunten Leinwanden, die in unsern Sechsstädten verfertiget werden. Könnten Sie so gütig sein, und in Ihr Antwortsschreiben Proben von denselben einlegen, nebst Bestimmung der Preise, so würden Sie uns verbinden. – – Sie sehen, daß ich bei diesem Briefe einer Antwort entgegensehe, und daß ich Sie bitte, dies Einemal sorgfältig zu sein.
Ihre Frau Gemahlinn, nebst SchwiegerMutter versichere ich meines ehrfurchtsvollsten Andenkens. –
Meine Addreße ist – Krockow bei Neustadt in West=Preußen, über Danzig. Das Porto, so Ihnen dieser weite Briefwechsel verursacht, da ich nicht ganz frankiren kann, werde ich Ihnen bei Uebersendung des Geldes ersetzen.
Ich bin ewig, in so weit Sie es erlauben,
Ihr
warmer, warmer Freund
Fichte.
Krockow.
d. 15. Jenner. 1792.
Verzeihen Sie, daß ich mich dieser Gelegenheit bediene, noch ein Briefgen nach Sachsen gelangen zu laßen. Haben Sie ja die Güte inliegendes bei erster Gelegenheit wieder in Bautzen, oder Löbau auf die Post zu geben. – Nochmals Bitte um Antwort! Ja, oder Nein. –
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 15. Januar 1792
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johann Friedrich Heinrich Pietzsch
  • Place of Dispatch: Krockow ·
  • Place of Destination: Oppach ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 280‒283.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 50
Language
  • German

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