Ew. Wohlgeboren verlangen von mir belehrt zu werden, ob nicht für Ihre in der jetzigen strengen Censur durchgefallene Abhandlung eine Remedur gefunden werden könne, ohne sie gänzlich zur Seite legen zu dürfen. Ich antworte: Nein! so viel ich nämlich, ohne Ihre Schrift selber durchgelesen zu haben, aus dem, was Ihr Brief als Hauptsatz derselben anführt, nämlich „daß der Glaube an eine gegebene Offenbarung vernunftmäßig nicht auf Wunderglauben gegründet werden könne,“ – schließen kann.
Denn hieraus folgt unvermeidlich: daß eine Religion überhaupt keine andern Glaubensartikel enthalten könne, [/] als die es auch für die bloße reine Vernunft sind. Dieser Satz ist nun meiner Meinung nach zwar ganz unschuldig, und hebt weder die subjektive Nothwendigkeit einer Offenbarung noch selbst das Wunder auf, (weil man annehmen kann, daß, ob es gleich möglich ist, [Sie], wenn sie einmal da sind, auch durch die Vernunft einzusehen, ohne Offenbarung aber die Vernunft doch nicht von selbst darauf gekommen seyn würde, diese Artikel zu introduciren allenfalls Anfangs Wunder vonnöthen gewesen seyn können, die jetzt der Religion zum Grunde zu legen, da sie sich mit ihren Glaubensartikeln nun schon selbst erhalten kann, nicht mehr nöthig sey:) allein nach den, wie es scheint, jetzt angenommenen Maximen der Censur würden Sie damit doch nicht durchkommen. Denn nach diesen sollen gewisse Schriftstellen so nach dem Buchstaben in das Glaubensbekenntniß aufgenommen werden, wie sie von dem Menschenverstande schwerlich auch nur gefaßt, viel weniger durch Vernunft als wahr begriffen werden können; und da bedürfen sie allerdings zu allen Zeiten der Unterstützung durch Wunder und können [nie] Glaubensartikel der bloßen Vernunft werden. – Daß die Offenbarung dergleichen Sätze nur aus Accommodation für Schwache in einer sinnlichen Hülle aufzustellen die Absicht hege, und dieselbe insofern auch – ob zwar bloß subjektive Wahrheit haben können, findet bei jenen Censurgrundsätzen gar nicht Statt; denn diese fordern Anerkennung der objektiven Wahrheit derselben nach dem Buchstaben.
Ein Weg bliebe Ihnen aber doch noch übrig, Ihre Schrift mit den (doch nicht völlig bekannten) Ideen des Censor in Uebereinstimmung zu bringen: wenn es Ihnen gelänge, ihm den Unterschied zwischen einem dogmatischen, über allen Zweifel erhabenen Glauben und [einer] bloß moralischen, der freien aber auf moralische Gründe (der Unzulänglichkeit der Vernunft, sich in Ansehung ihres Bedürfnisses selbst Genüge zu leisten) sich stützenden Annehmung begreiflich und gefällig zu machen; da alsdann der auf [/] Wunderglauben durch moralisch gute Gesinnung gepfropfte Religionsglaube ungefähr so lauten würde: „Ich glaube, lieber Herr! [(]d. i. ich nehme es gerne an, ob ich es gleich weder mir noch Andern hinreichend beweisen kann;) hilf meinem Unglauben! d. h. den moralischen Glauben in Ansehung alles dessen, was ich aus der Wundergeschichts=Erzählung zu innerer Besserung für Nutzen ziehen kann, habe ich, und wünsche auch den historischen, sofern dieser gleichfalls dazu beitragen könnte, zu besitzen. Mein unvorsätzlicher Nichtglaube ist kein vorsätzlicher Unglaube. [”] Allein Sie werden diesen Mittelweg schwerlich einem Censor gefällig machen, der, wie zu vermuthen ist, das historische Credo zur unnachläßlichen Religionspflicht macht.
Mit diesen meinen in der Eile hingelegten, ob zwar nicht unüberlegten Ideen können Sie nun machen, was Ihnen gut däucht, ohne jedoch auf den, der sie mittheilt, weder ausdrücklich noch verdeckt Anspielung zu machen; vorausgesetzt, daß Sie sich vorher von deren Wahrheit selbst aufrichtig überzeugt haben.
Uebrigens wünsche ich Ihnen in Ihrer gegenwärtigen häuslichen Lage Zufriedenheit, und im Falle eines Verlangens, sie zu verändern, Mittel zu Verbesserung derselben in meinem Vermögen zu haben, und bin mit Hochachtung und Freundschaft
Ew. Hochedelgebohren
ergebenster Diener
I. Kant.
Königsberg den 2 Febr. 1792.
Denn hieraus folgt unvermeidlich: daß eine Religion überhaupt keine andern Glaubensartikel enthalten könne, [/] als die es auch für die bloße reine Vernunft sind. Dieser Satz ist nun meiner Meinung nach zwar ganz unschuldig, und hebt weder die subjektive Nothwendigkeit einer Offenbarung noch selbst das Wunder auf, (weil man annehmen kann, daß, ob es gleich möglich ist, [Sie], wenn sie einmal da sind, auch durch die Vernunft einzusehen, ohne Offenbarung aber die Vernunft doch nicht von selbst darauf gekommen seyn würde, diese Artikel zu introduciren allenfalls Anfangs Wunder vonnöthen gewesen seyn können, die jetzt der Religion zum Grunde zu legen, da sie sich mit ihren Glaubensartikeln nun schon selbst erhalten kann, nicht mehr nöthig sey:) allein nach den, wie es scheint, jetzt angenommenen Maximen der Censur würden Sie damit doch nicht durchkommen. Denn nach diesen sollen gewisse Schriftstellen so nach dem Buchstaben in das Glaubensbekenntniß aufgenommen werden, wie sie von dem Menschenverstande schwerlich auch nur gefaßt, viel weniger durch Vernunft als wahr begriffen werden können; und da bedürfen sie allerdings zu allen Zeiten der Unterstützung durch Wunder und können [nie] Glaubensartikel der bloßen Vernunft werden. – Daß die Offenbarung dergleichen Sätze nur aus Accommodation für Schwache in einer sinnlichen Hülle aufzustellen die Absicht hege, und dieselbe insofern auch – ob zwar bloß subjektive Wahrheit haben können, findet bei jenen Censurgrundsätzen gar nicht Statt; denn diese fordern Anerkennung der objektiven Wahrheit derselben nach dem Buchstaben.
Ein Weg bliebe Ihnen aber doch noch übrig, Ihre Schrift mit den (doch nicht völlig bekannten) Ideen des Censor in Uebereinstimmung zu bringen: wenn es Ihnen gelänge, ihm den Unterschied zwischen einem dogmatischen, über allen Zweifel erhabenen Glauben und [einer] bloß moralischen, der freien aber auf moralische Gründe (der Unzulänglichkeit der Vernunft, sich in Ansehung ihres Bedürfnisses selbst Genüge zu leisten) sich stützenden Annehmung begreiflich und gefällig zu machen; da alsdann der auf [/] Wunderglauben durch moralisch gute Gesinnung gepfropfte Religionsglaube ungefähr so lauten würde: „Ich glaube, lieber Herr! [(]d. i. ich nehme es gerne an, ob ich es gleich weder mir noch Andern hinreichend beweisen kann;) hilf meinem Unglauben! d. h. den moralischen Glauben in Ansehung alles dessen, was ich aus der Wundergeschichts=Erzählung zu innerer Besserung für Nutzen ziehen kann, habe ich, und wünsche auch den historischen, sofern dieser gleichfalls dazu beitragen könnte, zu besitzen. Mein unvorsätzlicher Nichtglaube ist kein vorsätzlicher Unglaube. [”] Allein Sie werden diesen Mittelweg schwerlich einem Censor gefällig machen, der, wie zu vermuthen ist, das historische Credo zur unnachläßlichen Religionspflicht macht.
Mit diesen meinen in der Eile hingelegten, ob zwar nicht unüberlegten Ideen können Sie nun machen, was Ihnen gut däucht, ohne jedoch auf den, der sie mittheilt, weder ausdrücklich noch verdeckt Anspielung zu machen; vorausgesetzt, daß Sie sich vorher von deren Wahrheit selbst aufrichtig überzeugt haben.
Uebrigens wünsche ich Ihnen in Ihrer gegenwärtigen häuslichen Lage Zufriedenheit, und im Falle eines Verlangens, sie zu verändern, Mittel zu Verbesserung derselben in meinem Vermögen zu haben, und bin mit Hochachtung und Freundschaft
Ew. Hochedelgebohren
ergebenster Diener
I. Kant.
Königsberg den 2 Febr. 1792.