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Johann Friedrich Gensichen to Johann Gottlieb Fichte

Königsberg
d. 11ten März
1792.
Innigst geschätzter Freund
Beynahe besorge ich, meine gewöhnliche Unart, nach der ich auch Ihren freundschaftlichen Brief so spät beantworte, werde mich bey Ihnen in den Verdacht gesetzt haben, daß es mit der obigen Anrede wohl nicht so recht ernstlich gemeint seyn möge. Das wäre nun sehr traurig für mich. Indessen bin ich mir doch bewußt daß nichts in einem Briefe von Ihnen mir erwünschter hätte seyn können, als die Voraussetzung meiner Freundschaft gegen Sie, und die Versicherung der Ihrigen; freylich vielleicht nur aus dem sehr eiteln Grunde, daß ich mich hierdurch wegen der richtigen Bemerkung, Freundschaft könne ohne übereinstimmende Denkungsart nicht statt finden, berechtigt hielt, mir Gesinnungen, den Ihrigen ähnlich, zuzutrauen. Ich bitte Sie, dies’ nicht für Schmeicheley zu halten; so wie ich Ihnen nicht zutraue, daß Sie mir in der Stelle Ihres Briefes schmeicheln wollten, da Sie mich Ihren Meister (litterae non erubescunt) nennen, in dessen Gesellschaft wieder zu kommen Sie zu Ihrem wahren Besten herzlich wünschen. Ich kann freylich nicht dahin gebracht werden, daß ich ein sehr vortheilhaftes Urtheil über mich auch zu verdienen glauben sollte, aber ich kann doch wohl glauben, daß jemand, der so über mich urtheilt, es ernstlich meint, womit denn nothwendig der Gedanke verbunden ist, dieser Jemand irrt sich gewaltig.
Daß die Recension Ihrer Critik aller Offenb. noch bis heute für mich eine künftige Arbeit würde seyn müssen, hätte ich damals, als Sie mir die Ehre erzeigten, mich zu Ihrem Beurtheiler zu wählen, wohl nicht geglaubt. Um über das fernere Schicksal Ihrer Schrift etwas sicheres zu erfahren, wurde H. Pred. Borowski in das Schultzische Haus gebeten, so bald die Fr. Hofpred es ihrer Gesundheitsumstände wegen sich erlauben durfte, Gesellschaft bey sich zu haben. Er wußte damals selbst noch nichts weiter hierüber, versicherte aber, er werde in einigen Tagen mit H. Hartung sprechen, und dann dem H. Hofpr. weitere Nachricht geben. Seitdem sind 4 Wochen, wie ich glaube, verflossen und es ist nichts erfolgt. Ich vermuthe, H. Pr. Bor. wird selbst an Sie geschrieben haben, und Sie wissen daher vielleicht besser als wir, was aus dem Kindlein werden wird. [/]
Die von uns beyden verehrte Fr. Hofpr. hat seit einigen Monathen wieder sehr viel gelitten. Erst machten hämorrhoidalische Zufälle ihr sehr viele Schmerzen, und darauf fand sich ein Blutgeschwür, welches 5 bis 6 Tage hindurch sie aufs empfindlichste plagte. Bey dem Aufbrechen desselben erfolgte zwar einige Linderung, aber es entstand dadurch eine Wunde, die bis jetzt immer noch nicht geheilt ist. Wir haben die Hoffnung, die Sie in Ihrem letzten Briefe an den H. Hofpr. auch äußerten, daß alles dieses heilsame Revolutionen sind, die dieser vortreflichen Frau eine dauerhafte Gesundheit, deren sie so sehr würdig ist, bewirken werden. Ich habe nun den Auftrag, sie bey Ihnen zu entschuldigen, daß sie Ihren Brief jetzt nicht beantwortet, (worüber es unter diesen Umständen gewiß keiner Entschuldigung bedarf), Sie der unveränderten Fortdauer ihrer Ihnen bekannten Gesinnungen gegen Sie zu versichern und Sie zu bitten, daß Sie doch ja fortfahren, von Zeit zu Zeit Nachrichten von sich zu geben. Eben so sehr wünscht dieß der würdige H. Hofpr., und bedauert, daß dringende Geschäffte, denn die Messe rückt heran, es ihm jetzt nicht erlauben, Ihnen selbst zu versichern, wie sehr er Sie schätzt, und welchen Antheil er an Ihrem Glück nimmt.
Mein Geschreibe oder Geschmiere, wie es wohl in jeder Rücksicht genannt zu werden verdient, neigt sich zum Ende; denn wenn gleich noch Raum genug da ist, so fehlts doch an der Zeit. Nehmen Sie also, theuerster Freund, noch die aufrichtige Versicherung an, daß ich im Andenken an Sie für mein Vergnügen keinen angelegentlichern Wunsch habe, als den, Sie recht bald wieder zu sehn, und wo möglich wenigstens einige Wochen im täglichen Umgange mit Ihnen zu durchleben.
Ihr
Ihnen ganz ergebner Freund
Joh. Fr. Gensichen
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 11. März 1792
  • Sender: Johann Friedrich Gensichen
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Königsberg · ·
  • Place of Destination: Krockow ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 297‒299.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 54
Language
  • German

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