Single collated printed full text with registry labelling
TEI-Logo

Johann Gottlieb Fichte to Theodor von Schön

Krockow. d. 21. Aprill 1792.
Theuerster Freund,
Zürnen Sie nicht, daß ich so lange Zeit habe vorbeigehn laßen, ohne Ihnen zu schreiben. Man kommt manchmal in eine Vergeßlichkeit, u. Unthätigkeit, in der einem auch das leichteste, und angenehmste sauer ankommt[.] Erhalten Sie dafür die Versicherung, daß ich von nun an dieser Unthätigkeit mich zu erwehren suchen werde, wenn sie mich in der Beobachtung eines mir so angenehmen Geschäfts, als die Correspondenz mit Ihnen mir ist, stören zu wollen Mine macht; und zum Unterpfande Ihrer Verzeihung schreiben Sie mir, liebster Freund, so bald Sie diesen Brief erhalten haben. Ich bin sehr begierig Nachrichten von Ihnen zu erhalten, die ich nun in so langer Zeit – freilich durch eigne Schuld – nicht gehabt habe.
Wie steht es in Ihrer gelehrten Republik? Was macht jezt bei Ihnen Sensation? Ich habe hier kürzlich einige fliegende Blätter gelesen, die streng verboten sind, als: Ueber Dißenters, u. Orthodoxen in den Preußischen Staaten u. s. w. – eine gründliche, gemäßigte Schrift, für deren Verfaßern ich Kiesewettern, oder wenigstens einen sehr vertrauten Freund von ihm halte, und in der unter andern gesagt wird: Tieftrunk [/] habe sich mit Wöllnern, der ihn von der Güte seiner Absichten überzeugt habe, vereinigt; in der man Wöllnern sehr schonend behandelt, den König von aller persönlichen Anhänglichkeit gegen das neue System losspricht, u. dergl. Den Kreuzzug gegen die Franken Eine Rede, voll ächten De-mosthenischen Feuers um die deutschen Fürsten zu ermahnen Friede mit Frankreich zu halten, – welche erklärte Anticonstitutionärs bekehrt hat, u. jeden bekehren muß, der Ohren hat zu hören: Ich halte Marezoll für derselben Verfaßer. Und endlich, was man nicht verboten hat; zur Ehre der gesunden Vernunft aber, und selbst um des Intereße des neuen geistlichen Raths willen verbieten sollte, weil diese Sache sich doch bei aller ihrer Schaamlosigkeit schämen sollte, durch solche Waffen vertheidigt zu werden – Zurechtweisung des zudringl. u. s. w. Verf. der Freimüthigen Gedanken, u. s. w. für deren Verf. man Cranzen angiebt; ein Meisterstük von schändlicher Bosheit, und viehischer Dummheit, welches Sie ohne Zweifel gesehen haben. Für den Verf. der Freimüthigen Gedanken wird Campe doch fort gehalten, und selbst sein Widerleger scheint ihn dafür zu halten, da er etliche mahl namentlich plumpe Ausfälle auf ihn thut. Campens Styl ist, mit Ihrer Erlaubniß, eben nicht allemal sanft, sondern er hat sich als einen der fertigsten Klopffechter in der gelehrten Republik schon seit langem [/] gezeigt; und was mich hätte veranlaßen können, ihm die Schrift en question abzusprechen, war mehr die Würde des Tons, die darinne herrscht, und die Vermeidung der Affectation neue Wörter zu machen, die sonst Campens Erbsünde ist, als die Wärme derselben.
Von den Schiksalen meines Versuchs einer Critik habe ich seit langer Zeit keine weitere Nachricht. Vielleicht, daß Hrr. Hartung etwas kocht, das ich nicht wißen soll; weil Er, u. sein Herr Schwager Borowski ein so hartnäkiges Stillschweigen nicht nur gegen mich, sondern auch gegen alle meine Freunde in Königsberg beobachten. Die Zeit wird’s lehren, u. ich werde nicht schweigen, wenn man das etwa hoft. Doch dies alles unter uns! Ich verhalte mich bis zu authentischen Nachrichten ganz ruhig.
Mein Aufsaz über den BücherNachdruk wird nicht abgedrukt werden. Die Sache ist durch rüstigere Schreiber bis zum Ueberdruß abgedroschen. Habe ich doch Sie bekehrt, wenn Sie nur nicht etwa wieder umgesprungen sind. Das übrige Publicum wird sich durch seine Sprecher schon auch bekehren laßen.
Ueberhaupt bin ich durch den harten Winter, und durch den kalten [/] Frühling, der erst diese Nacht unsre Fluren mit Schnee bestreut hat – eine Witterung, die bei mir Geist und Körper niederdrükt in eine solche Unthätigkeit verfallen, daß ich genug zu thun habe, mein corpusculum zu pflegen. Ich erwarte jezt die Rückehr der belebenden Wärme, welche allein es ist, die mich fühlen läßt, daß ich außerdem auch einen Geist habe.
Leben Sie wohl, schreiben Sie mir bald.
Meine bisherigen Briefe mögen Sie getroffen haben. Aber ich weiß Ihre Addreße nicht recht. Schreiben Sie mir [sie] doch im nächsten Briefe.
Nochmals leben Sie wohl, u. bleiben Sie der Freund
Ihres
ergebensten Freundes
Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 21. April 1792
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Theodor von Schön ·
  • Place of Dispatch: Krockow ·
  • Place of Destination: Königsberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 302‒304.
Manuscript
  • Provider: Staatliches Archivlager Göttingen
Language
  • German

Basics · Zitieren