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Johann Gottlieb Fichte to Johann Friedrich Gensichen

Krockow. d. 21. Aprill. 1792.
Theuerster, verehrtester Freund,
Sehen Sie, daß ich das, was Sie so freundschaftlich für einen Fehler anerkannten, nachgeahmt habe – nicht etwan, um mich zu rächen; noch weniger, wie ich wohl in Versuchung kommen könnte, es Ihnen anzurechnen, um Sie dadurch zu trösten, wenn mein Beispiel Sie trösten kann: – sondern, weil ich durch meine Lage in eine solche Unthätigkeit gekommen war, daß ich nicht einmal den Muth faßen konnte, ein paar freundschaftliche Briefe zu schreiben. – Diese Lage hat in Absicht ihrer Annehmlichkeit nichts verloren, sondern gewinnt täglich. Wenn ich aber meinem Amte als Gesellschafter, welches mein eigentliches zu sein scheint Genüge thun, und dabei noch Lehrer, und Erzieher sein soll, so urtheilen Sie, ob nicht schon dem leztern dadurch Eintrag geschieht, und ob mir noch Zeit übrig bleiben könne, auf mich selbst zu denken. Kurz, ich wollte daß ein wohlthätiger Sturm – im Guten werde ich freilich nicht gehen – mich von hier wegwehte!
Von meinem Versuche habe ich nicht einen Schatten von Nachricht. Der Hrr. Pfrr. Borowski hat mir nicht geschrieben, und – wird es nicht. Aber, was mehr [/] ist, an Hrr. Hartung habe ich [in] andern Angelegenheiten geschrieben, und er hat mir auch auf diese Anfragen – es war wegen eines Journals, das unsre Gräfinn zu sehn wünschte – nicht geantwortet. Hat etwa Hrr. Hartung Ursache böse auf mich zu sein, oder zu thun? – Ich gestehe, daß eine solche Vernachläßigung mich unwillig macht. Sollte Ihnen etwa gegen Herrn Pfrr. Borowski, oder sonst gegen jemanden, der Hrr. Hartung kennt, etwas von dieser meiner Aeußerung entfallen, so würde mir das gar nicht zuwider sein. – Ich vermuthe, daß mit meiner Handschrift etwas vorgenommen wird, was ich nicht wißen soll. Sollten Sie Gelegenheit finden etwas davon zu deterriren, so sein Sie im voraus der wärmsten Dankbarkeit eines nicht undankbaren Freundes für den grösten Liebesdienst versichert, den Sie ihm erweisen können. – So viel und nicht mehr über diese Sache, die ich fast selbst vergeßen habe.
Sehr schmerzlich hat mich die Nachricht von den traurigen GesundheitsUmständen unsrer würdigen Gönnerin betrübt. Mein Herz hoft, daß der wiederkehrende Frühling ihr Gesundheit, und Heiterkeit wiedergegeben habe.
Ich habe viel würdige Menschen gekannt und bin – fürchte ich – von vielen [/] vergeßen worden. Von meinem Aufenthalte in Königsberg hoffe ich nicht so alles zu verlieren. Die gute Meinung eines Kant, eines Schulz, und jener ehrwürdigen Frau, die wir beide lieben, und vorzüglich Ihre Freundschaft, Theuerster – möchten die mir bleiben!
Zur Probe derselben – eine dringende Bitte! Ich habe – durch meine Schuld zwar – seit langer Zeit keine Briefe aus Königsberg. Sollte die Fr. HofPredigerinn mir nicht jezt schreiben können, oder wollen, so bitte ich Sie einmal eine Ausnahme zu machen, und mir so bald als möglich zu antworten.
Leben Sie wohl. Ich bin mit inniger Ergebenheit
Ihr ergebenster Freund, u. Diener
Fichte.
Wollten Sie wohl die Güte haben den Einschluß an Herrn K. R. Hennig abgeben zu laßen. Er hat mir Empfehlungen nach Danzig versprochen, und, im Begriffe künftigen Monat eine Reise dahin zu machen, errinnre ich ihn daran.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 21. April 1792
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johann Friedrich Gensichen
  • Place of Dispatch: Krockow ·
  • Place of Destination: Königsberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 304‒306.
Manuscript
  • Provider: Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg
  • Classification Number: Ms. 2385, pièce 236
Language
  • German

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