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Johann Gottlieb Fichte to Johann Friedrich Gensichen

Krockow. d. 1. August. 1792.
Dennoch,
Theuerster Freund,
ob Sie mir es gleich nicht versichert haben, ersehe ich, daß Sie noch leben, und gesund sind, und mein Freund sind, aus der mir durch Herrn Pf. Borowski überschikten Recension meines Versuchs. Ich eile Ihnen meine Dankbarkeit darüber zu bezeugen. Ein Lob aus Ihrem Munde – aus dem Munde eines rechtschafnen Mannes, und eines Könners – war mir sehr angenehm. Ich konnte wißen, daß Ihr Herz u. Ihre Ueberzeugung redeten. – Aufrichtig! – ich glaube nicht völlig unverdientes Lob von Ihnen erhalten zu haben; u. das macht, daß ich es gern aufnehme; sonst würde es mich beschämen. Daß Sie aber meine Fehler nicht rügten – Fehler, die niemand lebhafter erkennen kann, als ich – das that der Freund; u. dafür erhalten Sie meinen innigsten, wärmsten Dank. Das Publicum wird sie über kurz oder lang gewiß entdeken, und – ich werde sie verbeßern; aber wenn die erste Beurtheilung meiner Schrift mir dies ganze SündenRegister hingestellt hätte, so hätte das einen nachtheiligen Einfluß auf die übrigen haben können. Diese schonende Grosmuth konnte nur der Freund haben; denn der Gelehrte – – Und nun erlauben Sie mir, daß ich Ihnen meine Hochachtung über diese Recension, blos als Recension betrachtet, bezeuge. In einen Ideengang, der wenigstens nicht allgewöhnlich war, der in einer Schreibart vorgetragen war, die ohne Eintrag der Gründlichkeit wohl leichter hätte sein können, [/] sich so hineinzusetzen, ihn in einer so fruchtbaren Kürze, ohne ein einziges HauptMoment auszulaßen, hinzustellen; das war ein Meisterstük, wenn je eine Recension eins war.
Was ist in der Sache meiner Drukfehler geschehen? H. Pf. Borowski, der so gütig ist alle Verlegerische Angelegenheiten mit mir zu verhandeln, schreibt mir davon nichts, und die Sache liegt mir am Herzen.
Meinen Vorsatz über Vorsehung und Wunder kritisch zu schreiben, werde ich wohl ausführen. Ich arbeite jezt, aber sehr langsam, an dem Plane des Ganzen. Der Himmel seegne Sie für den Wunsch, daß ich nicht so viele Hinderniße auf der schriftstellerischen Laufbahn antreffen möchte! Censoren sind die schwächste. Gesellschaften, Leute die lange Weile haben, und denen man es nicht gut abschlagen kann, zum Vehiculum ihres Entweilens zu dienen, sind eine weit größere.
An den Herrn HofPrediger schreibe ich – aus Schaam nicht. Ich wollte ihm im nächsten Briefe einen Entwurf über Vorsehung, u. Wunder schiken, schrieb ich lezthin – und damit hat es noch große Zeit. Haben Sie die Güte ihn meines dankbaren, u. verehrungsvollsten Andenkens zu versichern. Wollen Sie ihm die wahre Ursache meines beobachteten Stillschweigens sagen – nun wohl – Ich bin nicht dabei, u. werde nicht erröthen. – Nach H. Borowski Briefe befindet sich in dem Schulzischen Hause alles wohl, u. fährt fort sich meiner gütig zu errinnern. Die Nachricht thut meinem Herzen wohl. Versichern Sie das der Fr. HofPredigerinn, an die ich gleichfals nächstens schreiben werde. [/]
In meiner jetzigen Lage bleibe ich entweder nur noch dieses Jahr, oder bleibe recht lange in ihr. Da Sie selbst in der Welt gelebt haben, so wißen Sie sicher, was es heißt, mit meiner eben nicht höfischen Denkungsart in einem Hause durchzukommen, wo außer meiner Gräfinn, der würdigsten Dame, noch sechs andere Damen sind, von denen alle liebenswürdigen Eigenschaften der erstern nicht verlangt werden können. Die völlige Entscheidung naht sich, u. vielleicht ehe dieser Brief abgeht, ist sie gemacht. Antworten Sie mir doch bald; ich bitte Sie, und beantworten Sie mir doch zugleich besonders meinen vorigen Brief.
Leben Sie recht, recht wohl, u. glauben Sie, daß ich mit der innigsten Hochachtung, der wärmsten Freundschaft, und der wahrsten Freude über das Glük Sie unter meine Freunde zählen zu dürfen bin [/]
ganz der Ihrige
Fichte
Ich bin öfters ein großer Fremdling in der Litteratur, u wende mich dann an Leute, denen ich zutraue, daß sie mich darum nicht verachten werden u jetzt wende ich mich an Sie. Was ist das merkwürdigste, das zur Beleuchtung des Begriffs v. Wunder besonders in neuern Zeiten geschrieben ist? Hume hat unter andern sehr viel scharfsinniges darüber gesagt. Wo? Haben wir – woran ich zweifle – außer der Theodicee u ihren Nachgängern etwas wirklich philosophisches über den VorsehungsBegriff? [/]
Hier haben wir ohnlängst den Grafen v. Lehndorf gesehen, der Ihnen wohl bekannt sein muß. Dies melde ich Ihnen eben nicht als was intereßantes. Aber dieser hat eine Nachricht mit gebracht, die ich nicht glaube, u. die ich, gewißer Ursachen halber, sobald als möglich, berichtigt wünschte. Der Gielsdorfer Schulz nemlich soll seit seiner Absetzung Licentiat in Königsberg, mit einer Pension von 1000 rthr. sein – Meinen Nachrichten nach ist Schulz in Gielsdorf bei’m Herrn v. Pfuhl, wo er lebenslänglich Tisch, u. Wohnung frei bekommt; u. das Berliner Publicum hat ihm durch Subscription eine Pension von 800 rthr. versichert.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 1. August 1792
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johann Friedrich Gensichen ·
  • Place of Dispatch: Krockow ·
  • Place of Destination: Königsberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 322‒325.
Manuscript
  • Provider: Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg
  • Classification Number: Ms. 2385, pièce 237
Language
  • German

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