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Johann Gottlieb Fichte to Theodor von Schön

Krockow, d. 23. August 1792.
Es ergreift mich in allem Ernste, so wie ich die Feder ansetze, eine unangenehme Empfindung, daß ich Ihrer Verzeihung so oft bedürfen soll,
Würdigster Freund. Besonders ist für diesesmal, ich gestehe es, mein Langes Stillschweigen desto häßlicher, da Sie seit Ihrem leztern Briefe in eine einsamere Lage gekommen sind, wo man sich, wie ich selbst aus Erfahrung weiß, an seine abwesenden Freunde enger anschließt, und lebhafter wünscht, sich wenigstens schriftlich mit ihnen zu unterhalten – Nur das einzige, Liebster Freund, schreiben Sie mein Stillschweigen ja nicht einer Erkaltung der Freundschaft, oder einer Stumpfheit den Werth der Ihrigen zu schätzen, sondern lieber jeder andern Ursache zu, und bestrafen Sie mich ja nicht mit gleichem Stillschweigen.
Doch wenn ich zu entschuldigen bin, so habe ich die triftigsten Entschuldigungen von der Welt. Seit Ihrem leztern Briefe habe ich Unruhen, Zerstreuungen, Geschäfte von so mancherlei Art gehabt: habe eine so starke Correspondenz führen müßen, daß ich eine meiner angenehmsten, die mit Ihnen, eine Zeitlang aufschob.
Mein Aufsatz hat nun längst, wie Sie vielleicht wißen werden, die Preße verlaßen, und auch seit seiner öffentlichen Erscheinung, sowie vor derselben, mancherlei Schiksaale gehabt. Was in der Allgem. LttrZtg. darüber zur Sprache gekommen, werden Sie, der Sie dieselbe eher bekommen, als ich, vielleicht schon gelesen haben. Ich weiß es nur durch die Nachrichten meiner Königsberger Freunde, d. h. sehr unbestimmt. Ueber das Geträtsch, das sich in dem Intelli[/]genz Blatte derselben erhoben, hat mich Kant benachrichtiget. Kant ist ein edler Mann, und ich – Ihnen darf ich das sagen, denn Sie wißen, daß ich es Ihnen in keiner andern Absicht mittheile, als um Ihrem freundschaftlich gesinnten Herzen eine Freude zu machen – ich darf mir schmeicheln, seine Freundschaft in einem hohen Grade zu besitzen. –
In den Königsberger Anzeigen hat man mich sehr günstig beurtheilt, u. die Recension ist von einem Manne, der in meine Schrift sich so hineingedacht hat, daß er einen Auszug von derselben geliefert, den ich – ich sage nicht [nicht] beßer, sondern gewiß nicht so gut gemacht hätte. Die Recension in der A. L. Ztg. habe ich noch nicht gelesen. Kant schreibt: sie sei weitläuftig, mir sehr rühmlich, und auch gründlich. – Kurz, bis jezt habe ich mit meinem ersten Ausfluge viel unverdientes Glük gehabt.
Seit meiner Abreise von Königsberg habe ich – ich sage es warlich nicht zu meinem Ruhme – so ziemlich das Leben eines Tagediebs geführt. Ganz müßig sein, kann ich nun freilich nicht, aber nichts vollkommnes, ganzes, zwekmäßiges. Wie werde ich meinen gütigen Freunden; wie werde ich dem Publicum, wenn dies sich um mich bekümmern sollte, Rechenschaft von meiner Muße ablegen können? – Doch – zu etwas angenehmern! Sie haben das gütige Zutrauen [/] zu mir, mir Ihren Aufsatz über Inclination zur Beurtheilung zu übersenden. Ohne Verbeugungen einer stolzen Demuth, die unter uns nie statt finden müßen, haben Sie hier mein unvorgreifliches, und garnicht etwa auf besondre Beobachtungen, oder auf sehr tiefes Nachdenken sich gründendes Urtheil.
Die ausschließende Vorliebe eines Individuum des einen Geschlechts gegen eins des andern, ist allerdings ein merkwürdiges, eine philosophische Untersuchung lohnendes Phänomen. Ihr Aufsatz stellt auf die ingeniöseste Weise die Art dar, wie diese Vorliebe in jedem so gut gebildeten Herzen entstehen müße, wie das Ihrige es ist. Sie sind vom Geiste ausgegangen. Ein anderer, der blos vom Körper ausginge, würde die seinige ohngefähr folgendermaaßen machen:
Den Menschen, als NaturProduct betrachtet – ist ein Geschlecht dem andern so nothwendig, daß nur vereint sie ein organisirendes Ganzes ausmachen: (getrennt sind sie nur halb, sind nicht einmal ein wahres Ganzes). Wie diese wechselseitige Bestimmung für die ganze Art gilt, so läßt sich a priori wohl auch eine durch besondre blos physicalische Gesetze des Individuum nothwendige Bestimmung eines gegebnen Individuum eines Geschlechts für ein gegebnes des andern denken; so daß nur dies eine seiner Organisation das adäquateste, und jedes andere, nur in unmerklichen Abstufungen es weniger wäre. Es fragt sich nur, wie diese Bestimmung sich äußern solle; und ob wir etwas einer solchen Aeußerung ähnliches in der Erfahrung wirklich wahrnehmen? – [/]
Aehnliche Aeußerungen eines Bedürfnißes der organisirenden Kraft in uns in Rüksicht der Materie bemerken wir an dem Appetite, der uns, besonders bei Kränklichkeiten, eben zu den Speisen reizt, welche diejenigen Säfte enthalten, die unsrer Mischung am meisten fehlen: und vielleicht bedarf es nur noch größerer Vorschritte in der Kunde des menschlichen Körpers, um zeigen zu können, daß die Verschiedenheit des Sinnengeschmaks in Rüksicht des Angenehmen, oder Unangenehmen (vid. Kants Crtk. d. Urtheilskraft. 1. Th.) sich auf dergleichen geheime Winke der Organisation von der Heilsamkeit oder Schädlichkeit der Objecte dieses Geschmaks für die besondre Constitution des Subjects gründe.
In Rüksicht auf Personen (die wir hier blos als organisirte Materie betrachten) bemerken wir eine dunkel gefühlte Sympathie, oder Antipathie gegen gewiße Menschen, oder Thiere. Die Ursache davon habe ich zwar bei Menschen meist immer in der dunkel gefühlten Aehnlichkeit mit Personen gefunden, die uns einst wohl, oder übel gethan haben: und sollten wir auch nicht immer eine solche Errinnerung mit Bewustseyn in uns antreffen, so verhindert doch nichts anzunehmen, daß die Errinnerung selbst verwischt, und nur ihre Folgen geblieben seien. Aber eben so wenig verhindert etwas, es durch obige Hypothese zu erklären. (Die Gedanken, die ich mir hier denke, erklärt eine launige Erzäh[/]lung in einer Englischen Wochenschrift von einem Beobachter, dem die Ausdünstungen der Menschen in Gestalt kleiner Kügelchen mit Häkgen sichtbar gewesen, von welchen Kügelchen die einiger Personen sich gegenseitig angezogen, u. an einander gehängt, die andrer aber sich gegenseitig zurükgestoßen hätten.) Denkt man daran, daß wir ohne Unterlaß uns mit Personen, mit denen wir viel u. häufig umgehen, Atomen wechselseitig mittheilen; daß dieses Commercium in der engesten Vereinigung beider Geschlechter sehr merklich und von den wichtigsten Folgen seie – (NB. ich rede hier blos von der Mittheilung durch die unmerkbare Transspiration) so läßt sich wohl einsehen, daß solche geheime Winke der Natur nicht überflüßig, und ohne Zwek sein würden.
Das Wohlbehagen, die Leichtigkeit der vitalen Bewegungen u. s. w. in der Atmosphäre gewißer Personen wäre dann ein Wink der Natur im Mittelpuncte derselben zu bleiben, und uns so innig mit ihnen zu verwechseln, als sie uns leiten würde; und so wäre denn das augenblikliche Ergriffenwerden, ehe man den Geist der andern Person nur im mindesten kennt, und das um so merkwürdiger ist, wenn es gegenseitig ist – das schnellere Rollen des Bluts, kurz alles das, was Sappho ihrem Phaon gegenüber empfand, erklärt.
Eine solche Deduction nun, deren roheste Idee ich Ihnen hinwarf, die sich aber, wie [/] mirs scheint, sehr stattlich herausputzen ließe, wäre, als blos vom Körper aus geführt, das gerade entgegengesezte Extremum von der Ihrigen. Die Wahrheit aber liegt nie an den äußersten Enden; sie liegt in der Mitte. Kein Mensch ist bloßer Geist, und vielleicht keiner bloßes Thier. Aus einer unmerklichen, freilich der Menge der Ingredienzien nach bei verschiednen Subjecten unendlich verschiedenen Mischung von beiden, entsteht, meiner Meinung nach, die Inclination. Glüklich derjenige, bei deßen Inclination Ihr Prinzip am meisten wirksam war. Bei Ihnen wird es so sein, und Ihre Freunde, unter denen ich nicht der unempfindlichste bin, werden sich Ihres Glüks freuen.
Doch, es scheint, werden Sie denken, daß ich auf mein Geplauder einen großen Werth setze, da ich es Ihnen auf solch Pappier (aber ich lebe auf dem Lande, und wenn da das BriefPappier einmal ausgegangen ist, so ist es so leicht nicht, wieder welches an sich zu bringen) in so einer unleserlichen, und kleksigen Hand (aber von allen Eigenschaften eines Gelehrten besitze ich wenigstens die male pingendi) ohne Schonung auftische. Ich eile also zum Schluße. [/]
Erfreuen Sie mich ja recht bald wieder mit einem angenehmen Briefe: Sein Sie versichert, daß ich Ihnen das beste Glük wünsche, und daß ich mit einem wohlthätigen Gefühl, und mit Stolz Sie unter meinen Freunden nenne; denn Sie wurden es blos darum, weil Sie einigen Geschmak an meinem Geiste, u. Herzen fanden, und Sie sind ein Mann, dessen Beyfall ehrt. Ohnlängst lernte ich einen andren jungen Mann kennen; den Graf v. Lehndorf, der hier durch auf Reisen ging. Er hat mir – das sub rosa gesagt! – sehr schlecht gefallen. Sein Wißen ist Stükwerk; aber seine Meynung davon gros. Sein Geist ist mit Vorurtheilen geschwängert, die man kaum dem halbpolnischen Landjunker, aber schlechterdings nicht dem gelehrten Cavalier verzeiht. Sein Betragen ist sehr ungebildet, suffisant, u. dedaigneux. Er kann ein guter Mann werden; aber es wird Zeit, und scharfe Lauge erfordern. Von der leztern habe ich ihm eine solche Provision mitgegeben, daß er, wenn er sie wohl eintheilt, damit recht gut bis Berlin ausreichen kann. Aber leider fühlt er sich nicht, und hält sich bei versilberten Pillen blos an das Silber. – Das alles blos unter uns; denn ich mag keinen Menschen zum Feinde haben. [/]
Leben Sie recht wohl, und bleiben Sie der Freund
Ihres
warmen innigen Freundes
Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 23. August 1792
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Theodor von Schön ·
  • Place of Dispatch: Krockow ·
  • Place of Destination: Tapiau ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 330‒334.
Manuscript
  • Provider: Staatliches Archivlager Göttingen
Language
  • German

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