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Theodor von Schön an Johann Gottlieb Fichte

Etwas lange haben Sie wohl, Verehrungswürdiger Freund! mich auf eine Antwort warten lassen, sollte ich aber wohl auf den Mann deshalb zürnen können, den ich als meinen Freund hochachte? Wahrlich, es war alles vergessen da ich nur eine Zeile von Ihnen laß, denn meine Vorliebe für Sie, entschuldigte alles. Sie beraubten mir wohl einige angenehme Augenblike, die ich stets bey Lesung Ihrer Briefe habe, allein das Bewustseyn, daß wichtige Hinderniße Sie davon abgehalten haben, u. die Hofnung daß diese in der Folge mir nicht mehr ein Vergnügen berauben werden beleben mich so, daß ich schon wieder an Sie schreibe. – Ihr Brief traf mich in der grösten Beschäftigung mit oeconomischen Sachen, seit einiger Zeit war dieses mein einziges Thun, denken Sie sich daher, was für ein wahrer Balsam mir Ihr Brief war? – Den Satz; daß man erst in einer Sache eingeweiht seyn muß, um an ihr Geschmack zu finden, finde ich immer mehr bestätigt; mit einer gewissen Abneigung fieng ich dieß Fach an, je mehr ich aber damit bekannt werde, um so angenehmer wird es mir. – ich finde eine Wissenschaft, die, ausser – der UrWissenschaft: Philosophie, – an Umfang nicht ihres gleichen hat, dazu kommt noch, daß Hypothesen sich auf einander häufen, u. alles auf blosses Raisonement berut, so, daß es damit geht, wie Reitdnitz vom NaturRecht behauptet, daß jeder eine eigne Finanzwissenschaft hat. – Jede der andren Wissenschaften ist doch schon so ziemlich auf Grund Principia zurückgeführt, in der Finanzwissenschaft u. Oeconomie suchet man diese aber vergeblich, da die meisten, u. fast alle Schriften von unphilosophischen blos praktischen, gewöhnlich durch Eigennutz dazu bestimmten Verfassern verfertigt sind. mein erstes Bemühen gieng daher [/] auf die Ausmittelung u. Festsetzung eines GrundPrinzip’s. Hiemit war es auch besonders gegangen: der eine hatte die Beförderung der Fabriken angenommen, statt daß der andre den Flor des Handels annahm. – ich bin endlich dahin gekommen daß ich als Princip der Finanzwissenschaft u. Oeconomie, die Beförderung der <moralischen> u. physischen menschlichen Existenz annehme: Suche den Dünger zu vermehren. Hievon geht alles aus, alles reducirt sich darauf. Dieß ist der Stein der Weisen, der Cammeralisten, hiedurch allein kann Ackerbau empor kommen, durch diesen sind blos Wissenschaften u. Künste im Flor gekommen, u. dieß hat uns also erst zu rechten Menschen gemacht. – Der Ackerbau war der einzige Grund, weshalb Römer sich vor alle hervorthaten, u. mit dessen Fall, fiel alles. Was stürzte Frankreich? Blos der große Vorzug der Fabriken, u. Zurücksetzung des Landbaues, u. Ackerbau allein, ist die beste Stütze von England wo der Handel kaum ein Drittel des Ackerbaues einbringt. – Ihr Vaterland zeichnet sich hierinn vor alle andere Länder aus, u. ich wünschte nichts so sehnlich, als einmahl in Ihrem Sachsen die Landwirthschaft zu sehen; ich arbeite jetzt sehr daran, daß ich künftigen Sommer eine Reise in Ihr Vaterland machen kann, wie glücklich wäre ich, wenn wir zusammen reisen könnten. Sie werden sich kaum vorgestellt haben, daß sich alles auf eine so schmutzige Sache reducirt, aber denken Sie nach, Sie werden selbst dahin kommen, meine Ausführung würde überflüssig seyn. – Dazu kommt noch, daß der uncultivirteste Theil der Nation dieses Gewerbe treibt, was ist also natürlicher, als daß nirgends mehr Vorurtheile herrschen, man an keinem Orte so sehr am Schlendrian hengt, u: mein Vater hat es so gemacht, öfters der einzige Grund einer Handlung ist. – Doch genung davon! und nun zu unserer Inclination: Sie führen in Ihrem Briefe den Grund der Inclination von einer andern Seite aus, Sie gehen etwas weiter zurük, sind aber dabey nicht sehr [/] von meiner Meinung entfernt; Sie glauben mit Kant : daß bey größeren Fortschritten in der Kunde des menschl. Körpers man auf die geheimen Winke der Organisation von der Heilsamkeit oder Schädlichkeit des Objects dieses Geschmacks kommen (vielleicht) würde, wie sich dieß schon bey dem Appetit äussert; Dieß gebe ich Ihnen gerne zu, daß es in Rüksicht des Menschen, der blos durch Sinnlichkeit bestimmt wird, ganz recht ist, u. auch vielleicht bey dem aufgeklärtesten, helldenkensten Menschen in gewisser Art statt finden kann, denn ich sagte, es hat ein jeder ein Ideal, da er selbst nun theils physisches, theils intellectuelles Wesen ist, so muß auch so sein Ideal seyn, findet er nun beim blossen Ansehn sein körperliches Ideal vollkommen erreicht, so wird sich schon bey dem Helldenkenden eine gewisse Vorliebe (dieser Ausdruk ist noch zu stark) finden, indem er die Realisation seines geistigen Ideals hofft, statt deßen der Sinnliche ganz hingerissen wird. – Die Natur kann uns nur, wie bey dem Appetit, so auch bey der Bestimmung unseres Ideals einige geheime Winke eingepflanzt haben, die uns zur Festsetzung gerade eines solchen Ideals bestimmen[.] Es kommt daher blos darauf an, wovon der Mensch mehr bestimmt wird, ob Sinnlichkeit oder Vernunft ihn regiert. – Man kann aber auch sagen, daß wenn Vernunft ihn bestimmt, er dennoch diesen geheimen Winken selbst im intellectuellen folgen kann, u. hierinn eben so gut geheime Winke statt finden, die natürlich seine Vernunft billigt, u.deren Befolgung er in sein Ideal setzt. – Die Erfahrung beweiset uns dieß noch mehr, man wird nehmlich selten finden, daß ein Mann, der irgend eine Ausartung des männlichen Charakters z. E. Eigensinn, an sich hat, eine sehr nachgebende Frau wählen wird. er wird eine standhafte Gattinn sich wünschen, indem er dieß zu seyn glaubt, durch die Concurrenz dieses beiderseitigen Eigensinns, wird er von [/] beiden Seiten abnehmen, Liebe beider Theile, wird sie nicht erlauben ihn wechselseitig zu exerciren, u. so wird dieser Fehler allmählich aufhören. – Sie haben blos die Entstehung des Ideals, weiter ausgeführt. – ich sagte vorher: daß der blos sinnliche Mensch, u. unter gewissen Bedingungen allein, der helldenkende Mann durch den blossen Adspectus (wie der Lateiner sagt) zu Neigung bestimmt werden kann, u. ich glaube dieß jetzt um so mehr, denn als intellectuelles Wesen werde ich auch einige geheime Winke haben, u. dieser Erreichung muß man sich vorzüglich bestreben. – Aufrichtig, liebster Freund! der Mensch, der bey dem blossen Anblik eines schönen Gesichts schon ganz hingerissen wird, verliehrt bey mir sehr viel, u. die Romanschriftsteller, die darauf ihren ganzen Plan bauen haben nicht meinen Beifall, denn ich schließe vom Vater auf’s Kind. – Jeder helldenkende Mann wird in einem schönen Körper sein geistiges Ideal auch realisirt wünschen, u. es daher mit grösserem Eifer suchen, aber nie vollkommene Neigung – was ich mir darunter denke, – empfinden. Sie sagen am Ende, – daß kein Mensch blosser Geist, u. keiner; blosses Thier ist, also aus der verschiednen Mischung der Ingredienzien beider Art entstände Inclination; ich bin ganz Ihrer Meinung, nur, daß ich statt Inclination: Ideal hinsetzen würde, u. nicht entstehen; sondern: bestimmte. – ich glaube, wir sind nicht weit, nach Ihrer Deduction aus einander, wollen Sie mich eine sehr große Freude machen, so schreiben Sie mir Ihre ganze Meinung hierüber, ich hätte Ihren Brief deshalb noch 10 mahl so lang, gewünscht, Ihre Freundschaft läst mir hoffen, daß Sie meine Bitte erfüllen werde[n]. Sie sind der einzige, an den ich jetzt in solchen Sachen appelliren kann; [/] ich schätze mich glüklich; daß ein Mann, wie Sie, die Freundschaft für mich hat, meine Meinungen anzuhören, u. im Fall ich fehle, oder unrichtig schlöße mich zu recht zu weisen. Versagen Sie mir daher meine Bitte nicht, u. bringen Sie dieselbe bald in Erfüllung. – Ihr Urtheil soll mir doppelt werth seyn. denn erstlich bürgt mir der Werth des Mannes für dessen Gründlichkeit, u. zweitens wird Freundschaft Sie nicht heucheln, sondern mir die Wahrheit nackt darstellen lassen. A. propos! wie ist es, mit Ihrer Abhandlung für das schöne Geschlecht, von der Sie mir letzhin schrieben? Kann ich bald etwas hoffen?
Liebster Freund, eben da ich dieß geschrieben habe, erhielt ich die Litt: Zeitung, u. finde im IntelligenzBlatt derselben Nro. 82. die Bekanntmachung Ihres Werks, u. zugleich die Anzeige: daß man Kant für den Verfasser hält. – Empfangen Sie hiezu, theurester Freund, meinen aufrichtigsten Glükwunsch, denn ich glaube, ein größeres Lob werden Sie sich nicht gewünscht haben, seyn Sie wahrhaft versichert ich empfinde Ihre Freude mit, ich habe den Mann nie verkannt, der eines solchen Lobes würdig ist: ich bin jetzt doppelt Stolz darauf Sie zu meinem Freunde zu haben. Ihre redliche Denkungsart machte mir Sie schon werth, aber jetzt fühle ich mich werther, da ich der Freund eines solchen Mannes bin! Nehmen Sie diesen Glükwunsch so an, als ich ihn hinschreibe, das heist: aufrichtig, wie ich es denke, schmeicheln ist nie mein Fehler gewesen, ich empfinde wirklich Ihre Freude mit. Vermuthlich hat man geglaubt; Kant hat wegen des ReligionsSpektakels nicht seinen Nahmen hinsetzen wollen, würden Sie aber auf den Freund zürnen, der die Welt zurechtzeigte, u. ihr den wahren Verfasser entdekte? Doch Hartungs Katalog, worinn Sie nahmentlich aufgeführt sind, wird [/] Sie bald der Welt bekannt machen. – Wahrlich, werthester Freund! dieß macht mich auf einige Tage vergnügt, in der Recension wird Kant auch ganz als Verfasser angesehen, u. Recensent scheint es sicher zu glauben. Empfangen Sie daher nochmahl, als wahrer Freund meinen Glückwunsch, ich bin wirklich nicht wenig erfreut. –
Tausend Dank für Ihre Offenherzigkeit, daß Kant ganz Ihr Freund ist. Sie verdienen es aber auch wahrlich, denn wie sollte er gegen den nicht freundschaftlich denken, den die Welt für ihn selbst hält. – Möchte doch Hippel u. die andern ihren Plan realisiren, Sie in Königsberg anzustellen! Kann mein Wunsch etwas dazu beitragen, so ist er es wahrlich. –
Sie haben also auch unsern Herrn Doctor Juris G. v. L. kennen gelernt[.] Ihr Urtheil stimmt ganz mit dem meinigen überein, er hat besondere Fata in Königsberg gehabt, Sie wissen doch, daß er seine (von Schmalz verfertig[t]e) Disputation: de matrimonio inaequali in alle Sprachen hat übersetzen lassen. Bey der deutschen Uebersetzung ist er vorzüglich an einen Menschen gekommen, der das Latein nicht einmahl verstanden hat. Er hat sich auch in Kupfer stechen lassen, u. in summa ist dieser Mann: eine wahre Satire auf die DoctorWürde. Der Himmel vergellte Ihnen Ihre ihm mitgegebene Pillen, vielleicht würcken sie.
Bahrdt ist todt, u. zwar an einer venerischen Krankheit, nach einem Briefe aus Halle, den ich selbst gelesen habe. Ich habe hier Gelegenheit den Mann näher aus seinen Schriften kennen zu lernen, ewig schade ist es, daß ein Mann mit solchen Grundsätzen, einen solchen LebensWandel verkennet. [/]
In Königsberg soll, wie mir letzhin geschrieben wurde, die Inquisition, bestehend in H: Kirchen Rath Hennig, Kirchen Rath Neumann, u. noch einen, in vollem Gange seyn. Der erste wird wohl nicht schaden, aber der 2te ist so etwas fähig[,] indeß stehe ich nicht für die Wahrheit. – Haben Sie, das Buch über Neologie, (von Hasse) gelesen? Der Mann spricht frey, aber er hängt der Hetrodoxie einen solchen Mantel von Ortodoxie um, daß der Dumme das Gewand vor den Kern nimmt, ich weiß nicht ob sie Maçon sind? man hat es mir aber in Kgsbg versichert, ich bin jetzt im Begriff es zu werden, innerhalb 6 Wochen werde ich wohl recipirt werden, u. zwar bey der stricten Observanz in 3 Kronen. Viele auffallende Sachen, scheinen mir dabey zu seyn, die ich als Laye jetzt nicht einsehen kann, z. E. man muß über eine Sache urtheilen, die man nicht kennt. mich bestimmt blos dazu, die nähere Verbindung, mit so vielen redlichen Leuten. – Sind Sie Maçon, so schreiben Sie mir doch mit ehestem, (in wiefern Sie können) ob ich gut gethan habe, daß ich stricte Observanz gewählt habe, u. sind Sie es nicht; so können [Sie] noch freier als Philosoph darüber urtheilen. – Bahrdt hat mir in seinem Zamor, (den Sie wohl kennen werden) von einer doppelten Seite vorgestellt, u. mir verschiedene Skrupel gehoben, so daß der Ausschlag auf die gute Seite fiel. – ich werde mich an Schmalz addressiren. ich vermuthe, daß ReligionsMeinungen nicht der Gegenstand der Arbeit seyn können, da ortodoxe u. heterodoxe Maçons sind. – Mein Gewissen ließ ich mich auch nicht gerne binden, daher gehe ich um so offener dazu. [/]
Von Ihrer Gräfin habe ich durch den Lieut: v. Jasky eine sehr vortheilhafte Schilderung erhalten, der über 3 Wochen auch wohl nach Krockow kommen wird.
Antworten Sie mir bald und leben Sie wohl, recht vergnügt, so wie es Ihnen nur wünscht
Ihr
stets wahrer Freund
Theodor v. Schön.
Tapiau p Königsberg
den 5ten Septembr: 1792.
Jetzt ist es gerade ein Jahr, wie wir zusammen spazieren fuhren, wo das Schiksal uns schon zerstreut hat! Woltersdorff soll gemeiner Husar in Oels in Schlesien seyn. Schade um den Jungen! Sollten Sie diesen Herbst nach Königsberg kommen, welches zu Wasser sehr leicht geschehen kann, so bitte mich im Voraus davon zu benachrichtigen. Haben Sie schon den Religions=Prozeß des Prediger Schulz gelesen? Er ist des Lesens werth, u. ein Muster preuß. unpartheischer Gerechtigkeit. Leben Sie nochmahls wohl, u. bleiben Sie ein Freund
Theodor v Schöns
Briefkopfdaten
  • Datum: Mittwoch, 5. September 1792
  • Absender: Theodor von Schön ·
  • Empfänger: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Absendeort: Tapiau ·
  • Empfangsort: Krockow ·
Druck
  • Bibliographische Angabe: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 335‒340.
Handschrift
  • Datengeber: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Signatur: B 59
Sprache
  • Deutsch

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