Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Johann Gottlieb Fichte to Theodor von Schön

Krockow, d. 30. Septembr. 1792.
Theuerster Freund,
Meinen herzlichen Dank, daß Sie mir sobald antworteten. Eben so schnell kann ich – verantworte es meine Lage, die mir Zerstreuung über Zerstreuung, und Zeitversplitterung über Zeitversplitterung über den Hals sendet! – nicht im Schreiben seyn: aber davon seyn Sie versichert, daß es für mich ein’s der angenehmsten Geschäfte ist, Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe, u. schätze. –
Ueber Inclination wüste ich jezt kaum etwas nachzuholen. – Die Deduction, die ich machte, machte ich nicht, als gültig, oder mir warscheinlich in meinem Namen; ich stellte nur das zweite Extrem auf, um dadurch die „Antinomie“, wie Kant es nennen würde, gehörig zu heben. Mein Particulär=Urtheil war: daß Inclination aus geistigen, und körperlichen Ingredienzien gemischt sei, daß aber diese Mischung bei jedem Individuum verschieden. Will man den Gegenstand dieser Inclination das Ideal nennen, so geht das an sich, inwiefern man sich das leztere als durch Geist, u. Einbildungskraft entstanden denkt, sehr wohl an. – Es giebt allerdings einen gar nicht unrichtigen Maasstab zur Beurtheilung des Characters Jemandes, ob dieses sein „Ideal“ mehr geistigen, oder mehr körperlichen Ursprungs sei.
Ihr Urtheil über Oeconomie finde ich vortreflich, u. es würde hinreichen, mich Sie lieben zu machen, wenn es dazu noch eines Grundes bedürfte. Unter allen Mitteln zur physischen Erhaltung, u. Vermehrung der Menschheit (welche wieder das Mittel zur geistigen Cultur ist) ist der Ackerbau das erste, und ihm müßen alle übrige Zweige untergeordnet werden. Aber wie will man das den Völkern begreiflich machen, ehe sie begriffen [/] haben, daß die Menschheit ihr eigner Zwek ist, und daß kein König lebt, um sich vom Volke die Caße füllen zu laßen, sondern, um das Volk zu beglüken.
Maçon bin ich nicht. Ohnerachtet der vielen Veranlaßungen es zu werden, hatte ich wichtige Gründe ihnen aus dem Wege zu gehen. – Ich bin – verzeyhen Sie, wenn Sie schon eingeweyht sind – so sicher überzeugt, als ein uneingeweyhter es sein kann, daß sie keinen allgemeinen Zwek haben, daß ihre ganze Arbeit ist, diesen Zwek, den sie aus Symbolen, u. Alterthümern aufzufinden hoffen, zu suchen, u. daß sich manche andere Gesellschaft hinter sie gestekt hat, um ihre particulären Zweke unter ihrer Maske zu erreichen. Ich befürchtete ferner durch eine nähere Vereinigung mit Einer Art der Maçons – u. zu einer muß man sich doch halten – eben mit den übrigen Feind zu werden. – Vom Unterschiede der stricten, u. laten Observanz weiß ich wenig mehr, als daß die erstem durch ihre innere Verfaßung sich mehr geschützt haben, keinem fremden Einfluße ausgesezt zu seyn, daß also sie am meisten zu empfehlen sind. – Als ein Mittel sich Bekanntschaften, u. heilsame Verbindungen zu erwerben, ist es vortreflich, u. ich rathe es Ihnen in dieser Absicht gar sehr.
Und damit Sie überzeugt seyen, daß dieser Rath von Herzen kommt, so nehme ich keinen Anstand, Ihnen zu sagen, daß ich selbst darauf denke, es zu werden, und daß ich in einiger Zeit es vielleicht seyn werde. Da ich nicht darauf denke, je eine Rolle in der Welt zu spielen, sondern warscheinlich zeitlebens privatisiren werde, so thue ich es nicht um der erstern Absicht [/] willen, sondern um einer höhern. Es scheint mir nemlich in unserm durch Luxus zur Sclaverey, und durch diese zu allem Verderben gebrachten Zeitalter, eine Gesellschaft, die für daßelbe ein Saame des Guten – die ihm ohngefähr das werde, was das Vehmgericht, u. die Ritterschaft unsern verdorbenen VorEltern war, sehr nöthig; und dazu könnte sich denn die Freymaurerey, – nicht in ihrer gegenwärtigen Verfaßung, aber wenigstens ihre schon autorisirte Hülle qualificiren. – Zu so etwas mit beyzutragen – – doch, ich rede, was bis jezt noch Träume sind, u. nur einem Freunde, wie Sie sind, durfte ich einen Wink über meine Träume geben. – Werden Sie also FreyMaurer; einst, so Gott will, begegnen wir uns.
Meines Buchs fürs schöne Geschlecht gedenken Sie noch. Daraus sehe ich, seit wie lange ich Ihnen nicht muste geschrieben haben. Diesen Plan habe ich längst, warscheinlich auf immer aufgegeben. O! könnte ich doch nur diejenigen, die mich näher angehen, ausführen! Hartung verlangt eine zweyte Ausgabe meiner Critik, die, wie ich auch aus Zuschriften von ganz unbekannten Personen gesehen habe, mehr Beyfall hat, als meine kühnste Hofnung sich schmeicheln konnte. Ich muß meinen durch ein glükliches Ohngefähr mir zugeworfnen Ruf behaupten, so gut ich kann: ich darf keine neue Ausgabe, sondern ich muß statt derselben ein ganz neues, umfaßenderes Werk geben. Dazu habe ich jezt nur nicht Freyheit des Geistes. Ich arbeite an etwas weniger speculativem: an Reden über WahrheitsLiebe, worinn ich meinem Zeitalter überhaupt, u. besonders den Königen, u. Weisen deßelben einige nützliche, u. nöthige Worte sagen möchte. Werde ich auch das vollenden? Ich weiß es nicht. [/]
An Reisen kann ich vorjezt nicht denken; erst müßen einige Arbeiten, die mehr in Bildung meiner selbst, als in Arbeiten für das Publicum bestehen, in’s Reine. Künftigen Frühling aber werde ich warscheinlich nach Königsberg kommen. Sollten Sie dann mich so glüklich machen wollen, bei meiner Anwesenheit eben dahin zu kommen, so würde meine Freude vollkommen seyn.
Die gütige Meynung von mir, die sich in mehrern Stellen Ihres Briefs verräth, ist mir, ob ich sie gleich nicht ganz verdiene, dennoch sehr schätzbar, weil sie in Ihnen Freundschaft gegen mich begründet, und selbst wieder auf diese sich stützt. – In den Wißenschaften – o, je tiefer man in sie sich einläßt, desto mehr bemerkt man seine Mängel; u. besonders zu unsern Zeiten ist es sehr schwer mit fort zu kommen, da so große Männer vorhanden sind, u. da unser JahrZehend warscheinlich mit weit größern schwanger ist. Nur das darf ich von mir sagen, daß ich ein ehrlicher Mann zu seyn, den wenigen hellen Begriffen, die ich habe, auch gemäß zu leben suche, u. zur Verbeßerung meiner MitMenschen hier u. da etwas beytragen möchte; daß ich meine Freunde liebe bis an den Tod, u. daß ich mich glüklich schätze Sie unter der Zahl derselben zu wißen.
Ganz
der
Ihrige
Fichte.
Den Lieut. v. Jasky. haben wir hier nicht gesehen; aber er ist bekannt im Hause, u. das von einer sehr guten Seite.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 30. September 1792
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Theodor von Schön
  • Place of Dispatch: Krockow ·
  • Place of Destination: Tapiau ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 347‒349.
Manuscript
  • Provider: Staatliches Archivlager Göttingen
Language
  • German

Weitere Infos ·