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Johanna Fichte to Johann Gottlieb Fichte

Z: d: 11. Decemb: 1792.
Nun hab ichs einmahl erfahren, daß Sie Gottlob noch Leben; hab es seit langen, finstern traurigen Zeiten einmahl erfahren; wie mir wurde als ichs erfuhr, mag ich Ihnen nicht sagen, auch nicht wie ich diese Zeit durchlebt habe; ich weiß ja nicht ob Sie’s zu wißen wünschen: das weiß aber ich, daß ich mit unaussprechlicher Sehnsucht wünsche zu wißen, was Sie machen, wie Sie sich befinden, wie es Ihnen in allen Absichten geht; ob Sie vergnügt? ob Sie glüklich sind? Mein Herz, [das] durch keine Veränderung der Zeiten, durch keine Abwesenheit, durch kein langes todtes Stillschweigen sich verändern kann, wünscht mit allem Feuer, der innigsten Freundschaft, daß Sie glüklich seyen; haben Sie auch die Güte gegen mir, es mir zu sagen, daß Sie’s seyen, damit ich mich drüber freuen könne.
Sie riethen mir, mein Herz, wie Sie sagten einem Würdigern zu schenken; das hab ich nicht gethan, und werd es nie thun, denn diese innigste Anhängigkeit, hatte zu viel überwiegende Gründe; sie entstand aus Achtung, ich möchte fast sagen, aus Verehrung; aus Dankbahrkeit für die mir geschenkte Liebe, für eine Liebe die aus dem feinsten, zärtlichsten, edelsten Herzen kamm; dieses, und noch mehreres von dem ich nun schweige, feßlete ein Herz wie das Meinige zu innig, als daß es sich jemahls verändern könnte; auch könnte ich mir nie erlauben, solche, mehr als eidliche Betheurungen, welche vor dem Angesicht des Allwißenden Gottes gethan wurden, durch wiedrige Zufälle aufzuheben. Ich kenne die Wege der Vorsehung nicht; ich bin viel viel zu ohmächtig, um nur zu ahnden, durch welche Labirinthe, die nie zu ergründende Weisheit mich zu führen denkt, für gut findt, aber das weiß ich, daß ich immer nach dem Ausspruch meines Gewißens handlen möchte. Leben Sie wohl! Seyen Sie recht glüklich, so wie mein Herz es Ihnen wünscht, und sagen Sie mir doch mit erster Poost was Sie machen; ich verlange zu sehr darnach; mein Herz bleibt bis in den Tod, und jenseits des Grabes, immer das gleiche, gegen Sie.
Meine Addresse ist die gleiche, wie vormahls, so wie ich die gleiche bin, welche Sie kennen. [/]
Ich kann dieses Papier nicht leer vortschiken, sondern will Ihnen von Ihren ehemahligen Freunden erzehlen; welche auch izt Ihre Freunde sind: Mein Theurer Vatter war vor einem Jahr 23: Wochen lang krank, und schwebte eine lang[e Zei]t am Rand des Grabes; wie mir da zu muthe war, fühlt Ihr theilnehmendes Herz ganz; ach, wie oft sehnte ich mich auch damahls nach ein Lebens-Zeichen von Ihnen, wie schwebte ich in Gedanken um Sie herum, wie war meine Seele von Leiden, von inniger Betrübniß zerißen: welche Erquikung wäre nicht, eine Zeile des Trosts, der Aufmunterung von Ihnen, mir gewesen! welcher Balsam der Gedanke! daß Sie noch Leben, noch an mich denken, noch für mich sind; aber das alles ward mir nicht zu theil; ich litt unaussprechlich: Gott, der Allgütige half mir durch, und nun lebe ich nach vielen Stürmen so in der Stille, mit dem beständigen, ganz unbeschreiblichen Verlangen zu wißen, was Sie machen wie es Ihnen geht: dieses so natürliche Verlangen, werden Sie gewis mit der ersten Poost stillen; Ihr Herz ist viel zu gütig, es kann nicht anderst; Sie sind immer der gute, redliche, rechtschaffne Ficht; mein Herz [das] unaussprechlich gelitten hat, kann nichts anderst von Ihnen glauben.
Von Ihren Freunden wollt ich reden, und kamm zu Ihnen, und mir zurük. Lavater allso ist gesund. Papa ist in seiner Dienstags Gesellschaft, und mit ihm liirter als vormahls. Pfenninger der redliche, ist lezten Herbst an einem Faulfieber gestorben; seine Frau und Kinder kammen durch diesen Tod sehr in die Klemme, durch edle Freunde, und mit Lavaters Hülfe, ward Rath geschaft, so daß sie nun artig zu leben haben. Achelis ist, Ficari bey einem Pfahrer im <Klevieschen>, und lebt sehr eingezogen; hat oft nach Sie gefragt; des Jahrs erhält er 2. Briefe von mir, wo ich ihm erzehle, was seine Zürcher machen. Dockter Beyer ist diesen Winter in Zürch, wo es ihm, wie er sagt am besten gefällt, er ist in Engeland, Frankreich, Italien gewesen, und in Deutschland herum gereist: Brüni ist immer hier, ohne während der Zeit vort gewesen zu sein, wir sehen ihn fast nie. Hottinger, Steinbrüchli, Tobler, Heß, und die übrigen welche Sie kannten Leben noch, und fragten nach Sie; auch die arme Titot, fragte in ihren Briefen oft nach [Sie]. Sie lebt nun in einem deutschen Städchen so kümmerlich, und empfängt dann und wann von der Herzogin Unterstüzung; ihre Gesundheit ist schwach; die arme Leidende! Nun soll ich wieder von Ihnen Abschied nehmen; Ach laßen Sies nicht für lange sein. Gott sey mit Ihnen, und Ihrer Betrübten,
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Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 11. Dezember 1792
  • Sender: Johanna Fichte
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Danzig · · , Königsberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 368‒370.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 63
Language
  • German

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