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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Berlin, d. 29. März. 1793.
Gute, theure,
Aus innigem Herzensbedürfniß schreibe ich jezt an Dich; aus einem Bedürfniß, das wohl noch nie so stark gefühlt wurde. – Ich bin gegen 14. Tage in Berlin, mit Gesellschaften, u. Zerstreuungen aller Art umringt, deren aber keine mein Herz – nicht etwa ausfüllt, – sondern auch nur beschäftiget. Ich fühle die Leere deßelben stärker, als ich sie unter strenger Arbeit, der ich jezt mich nicht widmen darf, zu fühlen pflege; und gestehe mir, seitdem ich mit Dir ausgesöhnt bin offener was ich vorher so ungern mir gestehen mochte, woher diese Leere entsteht: – aus der Abwesenheit eines liebenden Herzens, dem ich mein volles, Liebegebendes, Liebeheischendes Herz aufschließen, mit dem ich in eine Einzige Seele voll Zärtlichkeit zusammenfließen könnte. Da setze ich mich denn, wenn ich ein Stündchen lang dem Wirwarr entfliehen kann, hin, und lese Deine beiden süßen Briefe; spüre gierig alle den feinen Zügen der edelsten, zärtlichsten Seele nach, die sich darin verräth, ohne es selbst zu wißen; schwärme mich hin zu Dir, sinke in Deine Arme, zu Deinen Füßen, um vor Zärtlichkeit, und Dank zu vergehen. Dann bin ich glüklich, und schöpfe neue Kraft, die Gegenwart zu ertragen, und die frohere Zukunft gehaltner zu erwarten. Aber mitten in diesem künstlichen Glüke fällt mir der Gedanke auf’s Herz: was mag Sie machen, die Holde, die Schöpferinn aller dieser Freuden? – Sie, in ihrer sich selbst überlaßnen Lage? – Sie, der du bei weitem nicht die Proben der Zärtlichkeit gegeben hast, die sie dir gab – der du gerechte Ursache gegeben hast, die Wankelmuth deines Herzens zu fürchten? – Sie, der es nicht einmal vergönnt ist, sich an den Ort deines Aufenthalts hinzudenken, die dich auf Reisen weiß – was mag sie nicht alles für dich befürchten, und für Sich zugleich, weil du, Beneidenswerther, ein Theil ihres Ich bist? – vielleicht kannst du durch ein paar arme Zeilen der Holden eine frohe Stunde machen, ihr, von der du das ganze Glük deines Lebens erwartest; der du dich selbst verdanken willst. Ich schreibe Dir diese Zeilen, und ich wünsche, daß sie Dir einiges Vergnügen machen, ohngeachtet sie ganz leer sind. Ueber die kleinen litterarischen, politischen, Reise=Begebenheiten Meiner werden wir ja wohl ein ander mahl reden können; jezt überlaße ich mich ganz der Empfindung. [/]
Wenn ich mich recht errinnere, so ist selbst mein lezter Brief aus Danzig nicht mit der hinschmelzenden Zärtlichkeit geschrieben, die Du verdienst, wenn je eine Sterbliche sie verdiente, und die ich jezt bis in das innerste meines Herzens fühle. Ich saß damals noch tief in Papieren, und dann fühle ich nur halb. – Armes Mädgen, daß Dein Herz Dich an einen Gelehrten kettete, der zwar, wo ich ihn recht kenne, kein Pedant, aber doch zu weilen in seine Zirkel zu sehr vertieft ist! Du wirst ihn beßern; Du wirst ihm weise Mäßigung, kluge Abwechselung der Stunden für den Verstand mit den Stunden für das Herz lehren. – Jezt, da ich von allen Seiten, kleine gelehrte Nekereien abgerechnet die ich verachte, frei bin, fühle ich ganz anders. Der Frühling zeigt sich in der Ferne selbst unter unserm nördlichern Himmel, die Luft wird seit einigen Tagen gelinder, und das Gras fängt an in’s grüne zu spielen. Ich schleiche in den wärmern Nachmittagsstunden in den Thirgarten an ein einsames Pläzgen, horche dem Lerchengesange, und ziehe das, was jezt meine einzige Lektüre ist, Deine beiden Briefe hervor – u. überlaße mich ganz meiner süßen Schwärmerei. Theure Gattinn; ich hoffe es zu Gott, wir werden glüklich seyn, wenn Liebe es macht; denn Du wirst geliebt, wie vielleicht noch nie eine Sterbliche es ward. Was ich einst gegen Andre fühlte – wie hätte mein Herz sich nicht täuschen sollen, ehe es die Einzige Auserwählte fand? – was ich selbst gegen Dich ehemals fühlte, war süß: aber es war nicht das, was ich jezt fühle: – eine Mischung zwischen dem Gefühle meiner Unwürdigkeit, und der Würde, die ich durch Deine Liebe bekomme; innige Hochachtung gegen Dich, der doch das Bewustseyn, daß Du mich Deiner würdig achtest, ihr Niederdrükendes benimmt; Anhänglichkeit an Deine ganze liebe Art zu Seyn; Vergegenwärtigung der süßen [/] Szenen, die wir ehemals zusammen verlebten: – dies alles vereinigt sich in das unbeschreibliche Gefühl: ich liebe Dich unaussprechlich.
Es steht nicht wohl seine Gattinn zu loben, weil das Sich selbst gelobt heißt: aber zu seiner eignen Beruhigung darf man allenfals sagen, daß man wiße, was man an Ihr schätze und liebe. – Ward wohl je ein Frauenzimmer undankbarer behandelt; u. hat je eins edler verziehen? Nur zwei Anecdoten, die ich Dir mündlich weiter erklären werde. – Ich hatte in Königsberg eine Freundinn gefunden, die mir mehr war, als Mütter zu seyn pflegen. Nothgedrungen – wodurch? mündlich – sage ich ihr meinen Entschluß in Deine Arme zurükzukehren, und verschwieg ihr nicht meine Unwürdigkeit. „Ich kenne weibliches Herz, sagte sie mir, ich kann nur wünschen, daß man Ihnen verzeihe“. „Ich kenne meine Auserwählte, antwortete ich, und wenn kein Weib verzeihen könnte, so würde Sie es. Sie wird mir verzeihen“. — Ich fand einen Freund; am Herzen unserm Achelis gleich, an Talenten, u. Kenntnißen weit über ihm. Ich ließ ihn bald in meinem Herzen lesen: auch meinen Entschluß und mein Vergehen in Absicht Deiner ließ ich ihn lesen. – „Sie werden nicht der einzige glükliche seyn, dem das so abgeht; Sie werden einen sehr höflichen, und sehr kalten Brief bekommen, antwortete er mir.“. „Ich wette, ich bekomme einen herzlichen [“], sagte ich – und indeßen kam Dein erster Brief, der mich vor Schaam in den Abgrund der Erde geschmettert hätte, wenn nicht einer von mir unterwegs, oder schon in Deinen Händen gewesen wäre, als ich ihn erhielt. – Das ist Dein Verdienst, meine Einzige! Du hast meinen Glauben an Menschheit kräftigst gestärkt; Du hast meinen Plänen zu ihrer Veredlung einen neuen Schwung gegeben; und – wo bin ich! – Sie, die die ganze Menschheit vertreten kann, wird – Mein Weib. – Könnte ich es Dir in die Seele lodern, was ich jezt fühle! [/]
Den Plan, erst nach Hamburg, u. Lübek zu reisen, entwarf der noch in seine Papiere u. in seine litterarischen Entwürfe vertiefte laue Liebhaber. Hat unser (ich erlaube mir diese Benennung) unser würdiger Vater noch nicht schon die Empfehlungsbriefe geschrieben, so schone seine schwachen Augen. Der einzige Augenblik, nach dem ich jezt ringe, ist der, da ich in Deinen Armen von Entzüken vergehen werde. Einige Wochen muß ich in meinem theuren Vaterlande, das mich noch dazu, so wenig es sonst mich begünstigte, jezt auf die schmeichelhafteste Art aufsucht, zu bringen: dann reise ich ungesäumt zu Dir. Noch im Mäy hoffe ich bei Dir anzukommen. Ich werde Dir meine Reise=Route, u. die Zeit meiner Ankunft an dem Orte, wo wir uns treffen können, melden. – Soll ich, o Theurer Engel, soll ich als Dein Gatte nach Zürich kommen? Wird auch in diesem Wunsche, der jezt mein sehnlichster ist, Deine Güte und das Schiksal mich beglüken?
Ich hoffe mit Deinem nächsten Briefe das Maas zum Porträte zu bekommen. Hier in Berlin hätte ich die schönste Gelegenheit wenn ich es hätte – da doch Deine Liebe einmal auf Etwas einen Werth sezt, das nur durch sie Einen bekommt.
Und ob ich etwas zu unsers guten Vaters Augen Erleichterung mitbringen kann, schreibe mir doch ja. Ich hoffe noch einen Theil der Meße in Leipzig zuzubringen.
Lebe wohl, – Mit einer innigen Wehmuth reiße ich mich von diesem Blatte loß, das keinen Raum mehr hat, um darauf einen vernünftigen Perioden anzufangen; das zu nichts mehr Raum hat, als zu diesem Lebe wohl welchem nichts einen Werth geben kann, als das volle Herz
Deines
zärtlichen Liebhabers
Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 29. März 1793
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 386‒388.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 65
Language
  • German

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